Ennepetal. Der Ennepetaler Lutz Huth ist gesundheitlich eingeschränkt, seine große Leidenschaft aber gibt der Ausdauersportler deswegen nicht auf.
Kilometer 42, Lutz Huth (75) aus Ennepetal steht mit seinem Rollator kurz vor dem Ziel des Helgoland Marathons. Noch knapp 200 Meter, dann ist er einen Marathon gelaufen. Schon wieder. Durch steinige Wege kämpfte sich der 75-Jährige als einziger Teilnehmender mit seinem kleinen Rollator über acht Stunden durch. Der Rollator steht ihm eigentlich mehr im Weg, trotzdem ist Huth auf ihn angewiesen. Durch den unebenen Boden fällt es ihm schwer, durchzuhalten. Er spürt seine Beine kaum noch, die Schultern hängen erschöpft nach unten und seine Arme zittern. Spät läuft er durchs Ziel, die Menge klatscht, zufrieden ist er nicht. An Ruhestand ist gar nicht zu denken. Huth hat seine ganz eigene Lebensgeschichte und hebt sich aus der Menge hervor.
Schon im Kindesalter entdeckte der gebürtige Ennepetaler die Liebe zum Sport. Vom Amateurhandball gelangte er zum Laufen, 1994lief er dann seinen ersten Marathon. Viele sollten folgen. „Die Angst vor dem ersten Marathon war groß, ich zweifelte, trat aber trotzdem an, ich habe es einfach gemacht. Während des Laufs merkte ich, okay, das kann ich schaffen. Nach dem Lauf dachte ich mir, das war ja gar nicht so schlimm“, erinnert sich Huth.
Für den damals 45-Jährigen beginnt 1994 somit die große Leidenschaft. Das Laufen sprach ihn so sehr an, dass er auch mal zwei Marathons an einem Wochenende absolvierte. Wann das war, erinnert er sich bei all den Läufen, die er seither machte, nicht mehr. 1996 zog der einstige Maurer nach Hamburg, er strebte eine Umschulung zum Kaufmann an. In der hanseatischen Metropole lief er viele Marathons, auch seinen besten mit einer Zeit von 3:33:52 Stunden. Nach zwei Jahren ging es 1998 zurück in die Heimat. Nach Hamburg sollte er nochmals zurückkehren, wo auf ihn ein schwerer Rückschlag warten sollte.
Gehirnbluten: Nach Unfall auf Rollator angewiesen
2010 war Huth in der Hansestadt an einem kalten Wintertag zu Gast, als er und sein Labrador auf eine hektische junge Frau trafen. Verzweifelt suchte diese ihren Hausschlüssel. Sofort bot der Kaufmann Unterstützung an, doch die Situation wendete sich und plötzlich brauchte Huth selbst Hilfe. Ihm wurde schwarz vor Augen, ab da endet seine Erinnerung. Die Diagnose im Krankenhaus: Huth war wegen einer Gehirnblutung umgekippt, kurze Zeit später erlitt er auch noch einen Schlaganfall. Bis heute fällt es ihm schwer, über diesen Tag zu sprechen.
Die Folgen sollten seine Läuferkarriere prägen. Huths Nervensystem funktioniert seitdem nicht mehr vollständig, er bekommt Probleme mit dem Gleichgewicht. Entgegen dem Rat der Ärzte läuft er aber weiter, ist ab diesem Zeitpunkt aber an den Rollator gebunden. Sein Nervenleiden setzte sich allerdings fort, eine Operation am Fuß wurde notwendig, dort wurden Nerven durchtrennt, sodass er heute nur noch auf dem Vorderfuß richtig gehen kann. Umso erstaunlicher, dass Huth alleine seit 2010 14-mal den Helgolandmarathon gerannt ist.
Besonders gut im Gedächtnis des Rentners blieb der Jahrtausendmarathon im niedersächsischen Stüde, der von Silvester 1999 ins Jahr 2000 hineinging. Ein Lauf durch die Silvesternacht, Feuerwerke und dunkle Gassen, überall Menschen. Derdamals 51-Jährige wird Zweiter, nachdem er gegen zwei Uhr in der Nacht am Ziel völlig überwältigt angekommen war. Eigentlich sollte ihm kalt sein, doch das für ihn unbeschreibliche Gefühl nach diesem Marathon unterdrückte jegliche andere Wahrnehmungen.
Zufrieden war er nicht – ihm fehlte etwas
Beim vergangenen Lauf auf Helgoland fehlte ihm genau das Gefühl. Der Ennepetaler kam zwar im Ziel an, doch seine Zeit von fast neun Stunden missfällt ihm. „Für mich war es der erste Marathon, der mir keinen Spaß gemacht hat.“ Einzig positiv war für ihn seine Auszeichnung als Ehrenläufer, da er an jedem bisher ausgetragenen 25 Helgoland Marathon-Läufen teilnahm.
Huths Rollator ist nicht geeignet für solche Läufe, besonders beklagt der 75-Jährige dessen Federung, denn bei der diesjährigen Strecke ging es sehr holprig zu. Dieses Jahr traten zusätzlich unerwartete Schmerzen beim Lauf auf, was für den Ennepetaler natürlich kein Grund war, vorzeitig aufzugeben. Vor Gericht hat er Zuspruch für einen besseren und geeigneten Rollator bekommen, nur seine Krankenkasse stimmte bisher nicht zu. Ohne diesen neuen Rollator sieht er sich nicht in der Lage, auch zukünftig an Veranstaltungen wie auf Helgoland teilzunehmen. „Mit meinem jetzigen schaffe ich das nicht mehr, da mache ich meinen Körper kaputt. Deshalb bleibe ich weiterhin dran, einen neuen zu bekommen“, sagt er.
„Man muss einfach weitermachen!“
Wie so oft gibt dieser Lutz Huth nicht so einfach auf. In seinem Leben absolvierte er über 80 Marathons, umgerechnet sind das 3300 Kilometer. Doch die Erfolge sind nur der positive Teil seiner Geschichte, viele Trainings und Behandlungen wegen seiner Nervenprobleme gehören aber ebenso dazu. Trotzdem war bei dem unvorhersehbaren Weg für ihn immer klar, dass das Laufen weitergehen muss.
Und dafür trainiert Huth weiterhin, denn er hat noch große Träume. Der größte ist es, eines Tages am New York Marathon teilzunehmen. „Das ist das größte Laufevent der Welt, die Stadt, die Strecke, die Leute, alles daran reizt mich“, sagt er. Schon in der Vergangenheit nahmen Gehbehinderte am berühmten Lauf teil, über einen Freund aus alten Marathonzeiten erhofft er sich einen Kontakt nach Amerika. Die Chancen möchte Huth allerdings sich nicht zu groß ausmalen, eines steht jedoch fest: Huth wird weiter Marathon laufen, ob in New York, Hawaii oder Ennepetal, Lutz Huth findet für sich immer einen Weg.