Gevelsberg. Mit 13 Jahren muss Yevhenii Vlasenko seine Heimat wegen des Krieges verlassen. Durch den Fußball konnte er in Gevelsberg Fuß fassen.
Es ist kein normaler Morgen im März 2022 im ukrainischen Saporischschja. Sirenen läuten, Einschläge von Bomben sind zu hören. Angst macht sich breit. Tagelang wachen die Bewohner in Sorge vor russischen Soldaten auf, die die Ukraine seit dem 24. Februar in Angst und Schrecken versetzen. Der 13-jährige Yevhenii Vlasenko liegt noch im Bett, als seine Mutter ihn aufweckt. Im Nachbarhaus ist eine Rakete eingeschlagen. Auch wenn man lange die Hoffnung hatte, in der Heimat bleiben zu können, ist Flucht nun bittere Realität. Die russischen Truppen sind schon nahe der Stadtgrenze. Jetzt muss alles ganz schnell gehen. Yevheniis Familie muss flüchten, das Ziel: unbekannt. Der Vater bleibt daheim. Traurig packt Yevhenii das Nötigste ein, ihm bleiben weder Zeit noch Platz, um viel mitzunehmen. Eines ist ihm aber klar: Sein Fußball muss mit.
Zwei Jahre nach den traumatischen Erlebnissen spielt er wieder Fußball. Mittlerweile steht er im Stadion Stefansbachtal beim FSV Gevelsberg wieder auf dem Rasen – weit entfernt von Bomben und Sirenen. Er berichtet von seinen schlimmen Erfahrungen auf der Flucht. Als sie das Haus verlassen mussten, wollten sie eigentlich im Land bleiben. Nach über 15 Stunden Zugfahrt, quer durchs Land, hielt der Zug an. Russische Truppen hatten auf Gleise und auch andere Züge gebombt. Über fünf Stunden stand der Zug. „Wir hatten riesige Angst, weil Russland auch auf die Züge Bomben schickte“. Als sie in der erst sicher geglaubten Westukraine ankamen, nahmen Mutter, Bruder und Yevhenii, als sich herausstellte, dass sie auch dort nicht in Sicherheit sind, einen Bus bis nach Warschau, ehe es weiter nach Berlin ging. Dort kamen sie in ein Flüchtlingslager. Nach einem Monat ging es nach Bielefeld, in eine neue Flüchtlingsunterkunft. „Bielefeld war am schlimmsten, dort waren sehr viele Ukrainer auf wenig Platz.“
Integration durch ,,seine Familie hier“
Die lange Flucht findet nach sechs Monaten ein Ende in Gevelsberg. Anfangs hat Yevhenii Schwierigkeiten, Freunde zu finden. Durch den FSV Gevelsberg fiel ihm das leichter. Er hat sich in der neuen Mannschaft mit dem Rufnamen „Giny“ gut eingebracht, sein Trainer Tim Sonntag erlebte seine ersten Tage im Verein mit. „Es war anfangs sehr schwierig zu kommunizieren, zum Glück haben wir einen Spieler, der etwas Russisch sprechen kann. Sonst war er erstmal sehr ruhig, was natürlich mit der Sprachbarriere zusammenhing“, so der 35-Jährige.
„Ich wurde gut aufgenommen, am wichtigsten jedoch war es für mich, endlich wieder Fußball spielen zu können.“
Giny ist fußballerisch und menschlich eine Bereicherung und strahlt viel positives aus: ,,Er hat eine unfassbare Magie am Ball“, sagt Sonntag. Der junge Ukrainer lebt sich beim FSV trotz Sprachbarriere schnell gut ein. „Ich wurde gut aufgenommen, am wichtigsten jedoch war es für mich, endlich wieder Fußball spielen zu können“. Eine große Hilfe bei der Integration war sein neues Team beim FSV. In Gevelsberg hat der mittlerweile 15-Jährige gute Freunde gefunden, die für ihn wie Brüder sind und die er inzwischen als „seine Familie hier“ bezeichnet. Dieses familiäre Verhältnis stärkte die Mannschaft wieder einmal vor kurzem, als sie am zweiten Jahrestag des Beginns des russischen Angriffskriegs eine gemeinsame Schweigeminute in der Kabine abhielten.
Ein echtes Talent am Ball
Durch seinen Vater startete er seine Fußballkarriere zunächst beim Futsal. Mit 11 Jahren fing er dann auch auf dem Feld mit dem Fußball an. Sein Talent fiel schon früh auf. Das sieht man auch aktuell beim FSV. Die Torjägerliste führt er souverän an. Yevhenii sticht heraus. Das wissen auch seine Trainer. Die kommende Saison soll er aber noch bei Gevelsberg spielen. Langfristig gehen Tim Sonntag und Christian Strack davon aus, das er den nächsten Schritt gehen wird. Dabei wollen Sie ihn unterstützen. Tim Sonntag sagt den zahlreichend anrufenden Trainern ab, gerade wenn diese aus dem Bereich Kreisliga A oder Bezirksliga kommen. Giny selber ist auch nur dann bereit, seine Mannschaft zu verlassen, wenn es wirklich ein erheblicher Schritt nach vorne wäre.
„Jeden Tag habe ich Angst und das beschäftigt mich.“
Doch all die schönen Erlebnisse in Gevelsberg, haben eine traurigen Hintergrund. Durch die Flucht riss der Kontakt zu vielen Menschen ab, am meisten fehlt ihm dabei sein Vater. Dieser blieb in der Ukraine, kämpft zwar nicht als Soldat an vorderster Front, darf aber als erwachsener Mann das Land nicht verlassen. Kontakt halten die beiden täglich per Telefon, von Angesicht zu Angesicht haben sie sich seit mehr als zwei Jahren nicht mehr sehen können. Auch wenn er nach außen viel Zuversicht austrahlt, denkt er oft an seine Familie und Freunde, die noch immer im Kriegsgebiet leben. „Jeden Tag habe ich Angst und das beschäftigt mich“, sagt er.
Beim FSV Gevelsberg lernte er Christian Strack kennen. Dieser kam 2023 zum FSV, seither hat er dort eine wichtige Rolle als Trainer und Ansprechpartner für die Spieler eingenommen. Nachdem Giny auf ihn zuging, bauten sie ein sehr inniges Verhältnis zueinander auf. „Er hat sich mir geöffnet, mir viel von seiner Flucht und seinen Gedanken erzählt. Das Verhältnis ist schon ein besonderes.“ sagt Strack. Er merkt es ihm an, wenn es ihm nicht gut geht, als Vater-Ersatz sieht Strack sich aber nicht und sagt das dieser auch gar nicht ersetzt werden kann. Ihre Beziehung bezeichnen beide als besondere Freundschaft.
,,Ich hoffe, dass wir bald wieder zusammen wohnen könnnen“
Für die Zukunft hofft Yevhenii Vlasenko, dass er sich seinen Traum vom Profifußball erfüllen kann. Er weiß natürlich, dass bis dahin ein harter Weg vor ihm liegt. Erst einmal steht für ihn aber jetzt die Rückrunde mit der B-Jugend des FSV Gevelsberg an. Was für ihn aber über allem steht, ist der Wunsch, wieder mit seiner Familie, besonders mit seinem Vater zusammen zu sein. Giny wird die Hoffnung nicht aufgeben und glaubt daran, seinen Vater eines Tages wiederzutreffen.