Tokio/Oeventrop. Nur ein Starter bei Olympia, der früh ausschied: Helena Stanek, geb. Fromm, spricht über die Medaillenflaute und Probleme im deutschen System.
Fast neun Jahre ist es her, dass Helena Stanek, die damals noch Fromm hieß, ihren Frust herausschrie und die Arme jubelnd in die Höhe streckte. Die Oeventroperin holte bei den Olympischen Spielen 2012 in London Bronze – und damit die erste Medaille einer deutschen Dame im Taekwondo. Zuvor hatte in der Sportart lediglich Faissal Ebnoutalib (2000 in Sydney/Silber) olympisches Edelmetall für Deutschland gewonnen. Bei den zwei Medaillen bleibt es auch nach den Spielen von Tokio, da der einzige Starter der Deutschen Taekwondo Union (DTU), Alexander Bachmann, früh ausschied. Helena Stanek (33), Referentin für Medien und Marketing der DTU, spricht über die Medaillenflaute, ihre Tokio-Reise und Probleme im deutschen System.
Hallo Helena, der einzige deutsche Starter, Alex Bachmann, verpasste die erhoffte Medaille. Wie groß ist die Enttäuschung auch bei Ihnen?
Helena Stanek: Natürlich war auch ich enttäuscht. Was heißt enttäuscht – ich war traurig, dass Alex sich für seine harte Arbeit nicht belohnen konnte. Ich weiß, dass er alles investiert hat für diesen Tag.
Das ist Helena Stanek
Helena Stanek, geb. Fromm, stammt aus Arnsberg-Oeventrop. 2012 gewann die heute 33-Jährige bei den Olympischen Spielen Bronze. Mittlerweile lebt sie mit ihrem Mann und drei Kindern in Polen.In Tokio betreute Stanek auch Kimia Alizadeh, die von der DTU unterstützt für das Flüchtlingsteam antrat und knapp eine Medaille verpasste.
Das Gefühl, mit leeren Händen von den Olympischen Spielen nach Hause zu kommen, kenne ich von meinen Spielen 2008. Doch man lernt enorm viel daraus, um es bei den nächsten Spielen anders anzugehen. Das hoffe ich auch für Alex.
Sie gewannen 2012 mit Bronze in London eine von bislang nur zwei Olympia-Medaillen für die Deutsche Taekwondo Union. Warum ist es für deutsche Athleten offenbar so schwierig, eine Medaille zu holen?
Diese Spiele waren natürlich für alle sehr speziell. Hier reicht nur ein Stichwort: Corona. Aber dieses „Problem“ hatten alle Sportler und es soll keine Ausrede sein. Im Fall Alex Bachmann jedoch ist es etwas komplizierter: Er war erst im Mai mit Corona infiziert und niemand weiß zu einhundert Prozent, was eine Infektion im Körper eines Leistungssportlers auslöst. Warum es generell für deutsche Athleten so schwer ist, kann man nur schwer verallgemeinert beantworten.
Versuchen Sie es bitte trotzdem?
Es spielen viele Faktoren eine Rolle. Bei einigen ist es die Psyche, die nicht mitspielt, weil Olympia und das Drumherum einen erdrückt. Bei anderen lief vielleicht in der Vorbereitung nicht alles optimal. Auch Alex hatte zum Beispiel erst vor sechs Wochen eine Operation an der Hand.
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Es ist vielleicht auch so, dass die Solidarität, sich für einen anderen Sportler „zu opfern“ und diesen Teamkollegen im täglichen Training über seine Grenzen zu bringen, nachgelassen hat. Meinen damaligen Trainingskolleginnen Melli und Melda bin ich heute noch dankbar. Generell sieht man im internationalen Vergleich, dass Nationen, die zentralisiert in der Nationalmannschaft oder in einem Verein mit vielen Nationalkaderathleten trainieren, zurzeit die erfolgreichsten sind.
Das war damals bei Ihnen aber auch nicht der Fall.
Ich hatte das zwar damals nicht, aber die Zeiten haben sich verändert und das Leistungsniveau ist enorm gestiegen. Und man muss einen Taekwondo verrückten Trainer haben, der den ganzen Tag Zeit hat, mit dir zu trainieren. So wie ich meinen Carlos Esteves hatte. Auch sehe ich das Mentaltraining, was ich über Jahre mit meinem Mentaltrainer Ulli Kuhl hatte, als den entscheidenden Faktor zum Gewinn einer Medaille. Aber wie gesagt, diese Frage ist schwer zu beantworten. Es gibt mehrere Faktoren, die aktuell nicht passen.
Wie erleben Sie mit Ihrer Olympia-Erfahrung die Spiele in Tokio? Spüren Sie den olympischen Geist?
In mir schlummert der Geist, doch es ist schon erschreckend, welche Stille in der Wettkampfhalle herrscht. Gerade bei Olympischen Spielen machen die jubelnden Fans in unserer Sportart den Unterschied zu anderen Turnieren aus. Ich habe mit einigen Athleten gesprochen.
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Sie hat dies in ihrer Leistung nicht beeinflusst. Aber für mich sind die leeren Ränge einfach nur traurig mit anzusehen. Ansonsten erlebe ich diese Spiele noch total emotional und mit vollem Herzen. Als die Siegerehrung in meiner alten Klasse lief, war ich extrem gerührt, weil ich weiß, was diese Mädels geleistet haben.
Was fehlt Ihnen besonders?
Die Fans. Die Leichtigkeit. Und die emotionalen Umarmungen nach Sieg oder Niederlage.
Wie kompliziert ist Ihre Arbeit als Pressesprecherin der DTU in Japan?
Oeventrop feiert Olympia-Heldin Fromm
In Japan ist sie ganz und gar nicht kompliziert, da ich meine Kinder ja nicht dabei habe. Zuhause die Arbeit zu bewältigen, wenn drei Kinder wegen der Sommerferien Zuhause sind, das war deutlich anstrengender. Hier bin ich mal kurz wieder in einer anderen Welt. Dennoch freue ich mich jetzt auf meine drei Kinder und auf ein paar ruhigere Arbeitstage.
Konnten Sie in Tokio andere Sportarten besuchen?
Nein. Ich habe eine Akkreditierung ausschließlich für das Taekwondo bekommen. Generell sind die Möglichkeiten, sich hier zu bewegen, sehr eingeschränkt. Man fühlt sich ständig bewacht.
Der Abschied von Tokio geht nun auch für Sie schnell mit dem Heimflug nach Deutschland bzw. Polen?
Ja. Der Abschied geht schnell und ist hoffentlich nicht so kompliziert wie der fünfstündige Einreiseprozess beim Hinflug. Zunächst geht’s für mich ins Sauerland, meinen jüngsten Sohn von Oma und Opa abholen, die sich in den Olympiatagen um ihn gekümmert haben. Am nächsten Tag geht’s dann weiter nach Polen.