Willingen. Platz 15 am Samstag, eine Steigerung am Sonntag: Skispringer Stephan Leyhe hat auf seiner Heimschanze einen emotionalen Weltcup erlebt.
In Augenblicken wie diesem am frühen Samstagabend, 3. Februar, wird diese besondere Geschichte am deutlichsten. Es regnet in Willingen. Es windet in Willingen. Vom erhofften winterlichen Glanz ist rund um den so genannten Kult-Weltcup der Skispringer nichts, aber gar nichts zu spüren. Doch während seine Mannschaftskollegen nach dem obligatorischen Gang durch die Mixed-Zone inklusive Fan-Selfies und Autogrammen zügig aus der Szenerie verschwinden, bleibt Stephan Leyhe lange am Zaun stehen, der die Fans von den Stars trennt, und plaudert mit ihnen wie mit alten Bekannten – die einige tatsächlich sind.
„Stephan Leyhe freut sich extrem auf den Heimwettkampf, er ist dort aufgewachsen, kennt jeden Zentimeter der Schanze und wahrscheinlich jeden Helfer“, sagte auch Leyhes Mannschaftskollege Andreas Wellinger vor dem Weltcup-Wochenende am Rande des Sauerlandes im Interview mit der „WLZ“. Der aus dem Willinger Ortsteil Schwalefeld stammende Leyhe schmunzelt bei solchen Äußerungen in seiner ihm eigenen, zurückhaltenden Art.
Doch aus dem kleinen Nachwuchsspringer, der vor 21 Jahren als Kinder-Reporter für den „Tigerenten Club“ den damaligen Top-Skispringer Sven Hannawald nach dem Reiz der Sportart befragte, ist längst ein in der Weltspitze etablierter DSV-Adler geworden. Einer, der vom Party-Volk rund um den Auslauf der Mühlenkopfschanze noch mal lauter ins Tal gejubelt wird als seine Mannschaftskollegen. Einer, der an diesem verregneten und vom Wind arg beeinträchtigten Weltcup-Wochenende zu den besten Deutschen zählt.
Am Samstag führt Leyhe das bescheidene Mannschaftsergebnis als 15. sogar an. Damit rechnet am Tag zuvor nach der so gerade gepackten Qualifikation kaum jemand. Doch der 32-Jährige springt mit 131 und 135,5 Metern konstant und verbessert sich nach Rang 19 im ersten Durchgang noch leicht. Weil zum Beispiel Karl Geiger oder Stefan Kraft den Finaldurchgang gar nicht erreichen, ist der Schwalefelder zufrieden – und sieht während des Interviews in der Mixed Zone aus dem Augenwinkel, dass Johann Andre Forfang mit einem neuen neuen Schanzenrekord zum Sieg springt. „Das war Schanzenrekord“, kommentiert Leyhe noch vor der Weitenbekanntgabe.
Heimat Mühlenkopfschanze
Er kennt die Mühlenkopfschanze eben wie kein Zweiter, wenngleich sie nur zu Weltcups oder neuerdings wieder zu Continentalcups mit Schnee präpariert wird. Und er feiert ausgerechnet auf seiner „Heimschanze“ den ersten Weltcupsieg. Am 8. Februar 2020 lässt er bei seinem Coup den Norweger Marius Lindvik sowie den Polen Kamil Stoch hinter sich und springt 139,5 und 144,5 Meter weit.
Das 50. Podest für Schmid
Skisprung-Weltmeisterin Katharina Schmid überzeugte in Willingen mit zwei Top-Platzierungen. Nach Rang drei am Samstag bewies die Vorjahressiegerin 24 Stunden später als Sechste im Dauerregen erneut aufsteigende Form. Ihren ersten Saisonsieg holte am Sonntag die Norwegerin Silje Opseth mit einem Traumflug auf 150,0 Meter. „Ich bin mehr als zufrieden. Ich glaube, das war mein bestes Wochenende im Weltcup, so darf es gerne weitergehen“, sagte Schmid. Die 27-Jährige war am Samstag beim Sieg der Österreicherin Jacqueline Seifriedsberger mit einer starken Aufholjagd vom neunten auf den dritten Rang gestürmt. Es war die 50. Podestplatzierung ihrer Karriere.
Bei der Siegerehrung erklingt damals nicht nur die Nationalhymne, sondern auch das Waldecker Lied, das eine Art Hymne der Region ist. „Für Stephan ist das wie ein Märchen gewesen“, erinnert sich Stefan Horngacher, der vor vier Jahren schon der verantwortliche Bundestrainer der deutschen Skispringer ist. Eine Woche vor dem diesjährigen Heim-Weltcup am Rande des Sauerlandes holt sich Leyhe bei der Skiflug-Weltmeisterschaft am Kulm in Bad Mitterndorf im Einzelwettkampf viel Selbstvertrauen. Er wird Zehnter – eine starke Platzierung.
Am Sonntag, 4. Februar, bestätigt Leyhe, der mittlerweile zwar in Hinterzarten wohnt, aber weiter für den SC Willingen startet, seine Heimstärke. Als zweitbester Deutscher wird er bei Andreas Wellingers Sieg Elfter. „Natürlich möchte man immer besser sein“, sagt er und ist doch zufrieden mit dem Wochenende in der Heimat, weil nicht nur am Samstag Top-Springer von den äußeren Bedingungen aus dem Wettbewerb gespült oder geweht werden. Leyhe trotzt den Bedingungen – auf der Schanze und neben ihr. Während er mit Bekannten plaudert, zieht er sich eben die Mütze der Jacke etwas tiefer ins Gesicht.