Olsberg. Vor vier Jahren schlug das Schicksal bei Kaan Koparan zu. Nun ist der Fußballer zurück auf dem Platz und will andere inspirieren.
Der Fußball spielte in Kaan Koparans Leben schon von klein auf eine zentrale Rolle. In Brilon, wo der mittlerweile 30-Jährige geboren wurde, kickte er als kleiner Junge stets auf dem Rathausplatz. „Ich war damals ein bisschen eigensinnig, wollte nicht in den Verein und habe lieber mein eigenes Ding gemacht“, erinnert sich Kaan lachend zurück. Sehr spät erst, in der B-Jugend, ging er zum TSV Bigge-Olsberg und durfte direkt auf die Zehner-Position: „Genau wie mein damaliges Idol: Ronaldinho“. In den folgenden Jahren kam Kaan für seine sportliche Passion viel im Sauerland herum, spielte unter anderem für Assinghausen und hatte ein kurzes Intermezzo mit Bruchhausen. Vor vier Jahren schlug jedoch das Schicksal zu.
Eine seltene Tumorart
„Ein Knochentumor im rechten Unterarm war die Diagnose“, erinnert sich Kaan noch genau an den Tag der Krankheitsfeststellung. „Ich konnte meinen Arm und meine Hand noch bewegen, aber das hat sehr geschmerzt.“ An Fußball war nicht mehr zu denken, vor allem, weil sich der Tumor ausweitete. „Ich hatte eine sehr seltene Tumorart - so selten, dass es in Deutschland dafür nicht einmal einen Namen oder eine Bezeichnung gab“, erklärt er. Trotzdem ließ sich Kaan nicht aus der Bahn bringen und blieb locker, zumindest bis zur ersten Operation, bei der ihm sein rechter Unterarmknochen herausoperiert wurde.
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„Da bin ich schon nervöser geworden. Nachdem der Knochen raus war, haben die Ärzte mit einem Fixateur versucht, ihn nachwachsen zu lassen, aber dann kam die zweite Diagnose“, erinnert sich Kaan. Nach einigen Wochen erwartete den 30-Jährigen der nächste herbe Rückschlag. Die ärztliche Behandlung in der Münsteraner Uniklinik, in der Kaan operiert wurde, stellte sich nach seinen Angaben als falsch heraus, sodass der Tumor nach der Operation in seinen Unterarm streute. „Dann war die Diagnose Weichgewebetumor, und alles ging wieder von vorne los“, beschreibt Kaan seine damalige Situation.
Vertrauen in Ärzte verloren
Auch Cousin Ali kann sich noch gut erinnern: „Im Nachhinein macht es mich fertig, dass zwischen der ersten Diagnose und dem Beginn der Behandlung so eine riesige Zeitspanne lag. Wir als Kaans Familie haben uns machtlos gefühlt, wir wussten nicht, was er hatte. In der Zeit haben wir alle viel gelitten“, versichert er mit Nachdruck.
Wobei einer der Situation etwas gelassener begegnet ist: „Ich wollte nicht wie der Arme behandelt werden, dessen Leben so schwierig ist. Das hätte es nur schlimmer gemacht. Also bin ich eigentlich cool geblieben. Wäre ich in der Zeit zusammengebrochen, wäre das für alle nur komplizierter geworden – auch für mich“, berichtet Kaan retrospektiv von seinem Durchhaltevermögen. Allerdings verlor er das Vertrauen in die deutschen Ärzte und reiste für seine zweite Operation in die Türkei „Der Arzt in der Türkei war super und hat die Operation sehr gut durchgeführt“, erzählt der Sauerländer.
Eine Nacht durchgeweint
Am 24. Mai dieses Jahres war es dann so weit, Kaan unterzog sich der Amputation. „Wir haben die Nacht durchgeweint“, erinnert sich Ali an den Tag, die Ungewissheit habe ihn und die Familie geplagt. Die Operation verlief diesmal jedoch deutlich besser, sodass Kaan nach wenigen Tagen noch im Krankenhaus schon wieder Späße mit seinen Liebsten machen konnte. In der langen Leidenszeit von vier Jahren habe den 30-Jährigen seine Familie insgesamt wahnsinnig unterstützt, aber auch im Glauben fand Kaan Halt: „Ich sage immer ,Gott is great´, dafür kennen mich meine Jungs. Er gibt dir keine Last, die du nicht tragen kannst. Und so war das auch bei mir“, sagt er. Im Rückblick wirke es für den 30-Jährigen manchmal so, als habe die Erkrankung seine Familie mehr belastet als ihn selbst.
Wenige Wochen nach der Amputation stand Kaan dann tatsächlich in Olsberg schon wieder auf dem Platz. „Der Junge ist einfach fußballverrückt“, erzählt sein Trainer Stephan Kohl, „aber das tut ihm auch gut und ich glaube, das hat ihn auch ein bisschen durch die schwere Zeit getragen.“ Stephan und Kaan kennen sich bereits seit über zehn Jahren, und seit der Saison 2017/18 stehen die beiden auch im Trainer-Spieler-Verhältnis zueinander. In der langen Zeit sei zwischen den beiden eine gute, freundschaftliche Verbindung entstanden. „Dementsprechend tat es mir unfassbar leid für Kaan, als er mir von seiner Diagnose erzählt hat“, betont Kohl: „Aber ich habe gleichzeitig auch immer gesagt, dass Kaan jederzeit einen Platz in meinem Team hat, wenn er zurückkehren kann und möchte.“
Comeback im Oktober
So kam es, dass Kaan nach einigen Wochen Training im Oktober sein Comeback geben konnte. „Dass der rechte Unterarm fehlt, macht mir überhaupt nichts aus. Ich habe eher meine Zeit gebraucht, weil ich vier Jahre nicht trainieren konnte und die Therapie mich geschwächt hat“, berichtet Kaan. Wobei die Amputation zumindest in einer bestimmten Situation auffällt: „Wenn ich einen Einwurf machen müsste, rufe ich immer zu meinen Kollegen: ,Hey, komm schnell, ich kann ja nicht!´“, erzählt Kaan lachend und strahlt dabei eine optimistische, lebensbejahende Aura aus, wie es sie nur selten gibt.
Wie aus einem Hollywooddrehbuch ging es für Kaan dann weiter. Bei seinem zweiten Einsatz nach der krankheitsbedingten Langzeitpause wird der Fußballverrückte in der 68. Minute beim Stand von 1:1 gegen Velmede-Bestwig eingewechselt – und trifft drei Minuten vor Schluss zum finalen 2:1. „Ich habe mich in dem Moment gefühlt, als hätte ich die Weltmeisterschaft gewonnen. Das war ein wichtiges Spiel für uns und am Abend vorher habe ich noch mit den Jungs gescherzt, dass ich treffen würde“, erinnert sich Kaan an den Moment. Auch Stephan Kohl rekapituliert: „Ich habe mich extremst für Kaan gefreut, das war ein großartiger Moment.“ Nach vier Jahren der Ungewissheit, der Krankheit, der Schmerzen, der Zwangspause und der Herausforderung war Kaan durch den Befreiungsmoment, in dem er das Siegtor schoss, überwältigt.
Abstiegsgefahr
Beruflich möchte sich Kaan Koparan in die IT-Branche weiterentwickeln. „Mein Arzt meinte, dass das ganze Thema rund um KI in den kommenden Jahren auch wichtig für meine Prothese sein wird. Das finde ich super interessant“, sagt er. Spannend, allerdings auf andere Art und Weise, verläuft die Saison für den TSV Bigge-Olsberg. Als Tabellen-14. mit 14 Punkten aus 16 Spielen überwintert die Mannschaft von Trainer Stephan Kohl auf dem ersten Nicht-Abstiegsplatz. Die gefährdete Zone kann sich aber noch ausweiten, wenn mehrere Teams aus der Bezirksliga in die Kreisliga A HSK absteigen.
Für ihn ist dabei wichtig, dass sich seine emotionale Geschichte nicht „nur“ auf seine eigene Vita auslebt. „Ich bekomme bald eine Prothese, die mit 30 verschiedenen Handgriffen einiges kann“, erzählt Kaan vorfreudig, obwohl der geborene Rechtshänder mit seiner linken Hand mittlerweile auch schon gut zurechtkommt, und ergänzt: „Dann möchte ich weiter Fußball spielen und eine Umschulung machen. Als Schlosser kann ich so jedenfalls nicht weiter arbeiten“, blickt Kaan lachend voraus. Das Wichtigste sei ihm aber: „Andere zu inspirieren. Es gibt nichts, was man nicht überwinden könnte.“