Werl. Ein Jahr ohne Silvesterlauf Werl-Soest - unser Redaktionsleiter teilt seine Gedanken zu einem etwas anderen Jahresfinale..

Irgendwas fehlt. Seit 1990 gab es keinen Silvestermorgen und -mittag, den ich nicht an der Werler Stadthalle verbrachte, an dem ich nicht mit dem Silvesterlauf von Werl nach Soest beschäftigt war, an dem ich nicht dieses besondere Fieber verspürt habe. Als Läufer, als Journalist und als Helfer und Organisator der Kinderläufe - und meist als alles in Personalunion. Heute um 13.29 Uhr stehe ich in Laufschuhen dort, wo sonst der Countdown zum Startschuß heruntergezählt wird. Allein drehe ich gleich ein Ründchen. Corona macht es nötig. Und klar ist: es gibt jetzt wichtigeres als Volksläufe - in einer Zeit, in der täglich zu viele Menschen an und mit einem Virus sterben und die Gesundheit aller in erster Stelle stehen muss.

Liebe fürs Leben

Dennoch: Ich liebe diesen Lauf. Als Läufer habe ich auf der Strecke gekämpft, gelitten, gejubelt und gefeiert, die Stimmung und Anfeuerung am Straßenrand genossen und mich im Miteinander der Läuferinnen und Läufer zu Hause gefühlt. In 48:20 Minuten bin ich in den 90er-Jahren meine Bestzeit gelaufen, bei minus 16 Grad mit Platz drei die beste Platzierung erreicht, mit Luftballons auf dem Kopf (immer dann, wenn ich kränkelte) als "Tempomat" für 60 Minuten auf der 15km-Strecke unterwegs gewesen, mal aus Jux mit Taucherflossen mitgerannt und zuletzt einfach nur noch gesellig mit Freunden an den Start gegangen. Die Zeit spielt keine Rolle mehr.

Fieber vor dem Start

Werl ist heute meine Heimatstadt, hier begann ich meine berufliche Laufbahn und hier wurden meine Kinder groß. Erstmals die Stadt betrat ich in Laufschuhen - zum Silvesterlauf. Es wurde eine Liebe fürs Leben. Urlaub über Silvester? Nicht mit mir. Ich brauche dieses Fieber, das zwei Tage vor dem Lauf aufkommt, wenn die Startnummernausgabe in der Stadthalle beginnt. Egal, ob als Abholer oder Ausgeber mit meinen Vereinsfreunden/-innen der DJK Werl - der Silvesterlauf zieht mich in den Bann. Jahr für Jahr.

Rituale

Das frühe Aufstehen am Silvestermorgen, der Gang zur Stadthalle, dessen Vorplatz sich zunehmend mit Menschen füllt und der Blick in Augen, die sich einfach nur freuen gemeinsam das Jahr "auslaufen" zu lassen - das alles ist Silvesterlauf. Das Ankommen im Ziel, das Bierchen mit Freunden auf dem Soester Marktplatz, dann schnell in die Wanne und Fertigmachen für die Silvesterparty. The same procedure as every year.

Seit 15 Jahren turne ich zwei Stunden vor dem Start des Hauptlaufes vor hunderten Kindern herum, hüpfe mich mit ihnen warm, moderiere deren Lauf und sehe die Silvesterlaufsieger von morgen. Und wenn nicht die, dann zumindest die, die mit dem Virus dieser besonderen Veranstaltung infiziert wurden.

Das Virus

Ja, das Virus. Es stoppt den Silvesterlauf 2020 und schafft das, was Eisregen und Schnee nicht bewirken konnten (auch wenn der Lauf das eine oder andere mal knapp vor der Absage stand). Heute laufen, wandern und walken nicht mehr als 6000 Menschen nach Soest. Heute wird Abstand gehalten. Jeder für sich, jeder alleine.

Absage auch ohne Lockdown alternativlos

Und das ist gut. Schon vor dem Lockdown light und seinem harten Nachfolger war für mich und unsere DJK als Mitveranstalter klar, dass eine Absage alternativlos ist. Es wäre zu eng geworden, egal ob bei zeitversetzten Starts in Kleingruppen oder im großen Pulk. Das Risiko war zu groß. Es ist nicht die Zeit für diesen Lauf. So bitter das auch ist, so richtig ist es, dass heute nicht gelaufen wird (selbst wenn es erlaubt gewesen wäre) und so bewegend ist es, dass ganz viele Menschen trotzdem ihre Verbundenheit mit dem Silvesterlauf zeigen und sich an dem #silvesterhomerun beteiligen, ihr Startgeld bezahlen, alleine ihre Runden für den guten Zweck rennen. Eine großartige Alternative, hinter der sich die Silvesterlauffamilie vereinen kann. Das alles macht Hoffnung auf 2021 - auf ein besseres Jahr mit der Wende im Kampf gegen die Pandemie und mit Silvesterlauf.

Heute morgen schlief ich aus (gab es das schon einmal für mich am Silvestermorgen?). Keine nervöse Vorfreude, aber mit Gedanken beim Lauf. Das Smartphone meldet sich, eine WhatsApp-Nachricht kommt an. "Ich habe die Tage in der Stadthalle mit der Silvesterlaufvorbereitung und vielen lieben Menschen sehr vermisst", schreibt eine engagierte Helferin unseres Vereins in einen Chat. "Ja, da fehlt irgendwie was", ergänzt ein anderer. Wie recht er doch hat.