Gelsenkirchen. Die Schlagzeilen und Zitate ähneln sich - vor 30 Jahren befand sich Schalke 04 in einer Krise. Folge: Die Tönnies-Familie betrat die Bühne.

Es sind Texte, die so auch aus diesem Jahr, aus diesem Februar 2024, stammen könnten - sie standen aber im Februar 1994 in der WAZ, exakt 30 Jahre ist das nun also her. Schalke suchte zu dieser Zeit einen neuen Präsidenten - und der zur damaligen Zeit langjährige, ehemalige Vereinschef Oskar Siebert sagte: „Schalke steht vor der schwierigsten Stunde in seiner Geschichte.“ So sieht es aktuell auch aus, wenn der Weg wirklich in die Dritte Liga führen sollte.

Ex-Schalke-Chef Siebert im Jahr 1994: „Ich bin überzeugt, Bernd Tönnies will und kann helfen“

Den sechs Kandidaten für den Präsidentenposten Anfang 1994 wurden als Zahl 14,6 Millionen Mark Schulden genannt - kein Vergleich zu den rund 165 Millionen Euro Gesamtverbindlichkeiten, die Schalke heute belasten. Dennoch erklärte der damalige Präsidentschaftskandidat Walther Seinsch: „Die Gefahr des Konkurses besteht.“ So weit wäre Schalke bei einem Abstieg in die Dritte Liga auch nicht davon entfernt.

Clemens Tönnies im Dezember 1994 bei einer außerordentlichen Mitgliederversammlung.
Clemens Tönnies im Dezember 1994 bei einer außerordentlichen Mitgliederversammlung. © firo

Einer der sechs Kandidaten war Bernd Tönnies - ein 41 Jahre alter Fleischfabrikant aus Rheda-Wiedenbrück, zu diesem Zeitpunkt eigentlich nicht lange Mitglied genug, um das höchste Vereinsamt zu übernehmen. Oskar Siebert, zwischen 1967 und 1988 insgesamt dreimal Schalke-Präsident und Kandidat für eine vierte Amtszeit, sprach sich für den millionenschweren Tönnies und eine Satzungsänderung aus: „Ich bin überzeugt, er will und kann dem Verein helfen.“ Er selbst stelle sich nur zur Verfügung, wenn die Mitglieder der Satzungsänderung nicht zustimmen würden. Auch der Verwaltungsrat um den Vorsitzenden Jürgen Möllemann unterstützte Bernd Tönnies.

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Das Ergebnis ist bekannt: Tönnies wurde am 7. Februar 1991 zum neuen starken Mann auf Schalke gewählt. Der damalige Geschäftsführer Peter Peters schilderte vor einen paar Jahren im WAZ-Gespräch mit Hilfe einer Anekdote, wie ernst Tönnies sein neues Amt direkt nahm. Tönnies hätte kurz nach Amtsantritt ganz früh die Geschäftsstelle betreten und Peters angewiesen, die Tür zum Büro von Manager Rudi Assauer zu öffnen. Tönnies setzte sich auf Assauers Stuhl und wartete. „Was machst du hier?“, sagte Assauer laut Peters völlig perplex, als er kam. „Steh’ auf!“ Doch Bernd Tönnies wäre sitzen geblieben. Die beiden Alphatiere redeten wild aufeinander ein, beinahe wäre es zu Handgreiflichkeiten gekommen, so Peters. Am Ende stand Bernd Tönnies auf, näherte sich Assauer mit der Nasenspitze bis auf wenige Zentimeter und sagte nur: „Das machst du mit mir in diesem Ton nie wieder!“ Peters deutete die Auseinandersetzung so: „Damit war klar, wer der Chef war.“

Clemens Tönnies seit 1994 Schalke-Mitglied

Bernd Tönnies machte während seiner kurzen Amtszeit Schalke wieder kreditwürdig und fit für die Zukunft, die schon drei Jahre später zum Uefa-Pokal-Sieg führte. Und 1994 trat auch sein Bruder Clemens Tönnies in den Verein ein. Nach nur 145 Tagen im Amt starb Bernd Tönnies am 1. Juli 1994 an einer Lungeninfektion als Folge einer Nierentransplantation. Bruder Clemens übernahm die Fleischfabrik und einen Posten im damals neuen Aufsichtsrat des FC Schalke 04, der den Verwaltungsrat ersetzte und S04 eine moderne Vereinsstruktur gab.

Sieben Jahre später übernahm Clemens Tönnies am 10. November 2001 den Posten den Aufsichtsrats-Vorsitzenden von FDP-Politiker Möllemann und führte den Klub bis zum 30. Juni 2020. Er feierte mit Schalke große Erfolge - die Pokalsiege 2002 und 2011 fielen ebenso in seine Amtszeit wie vier Vizemeisterschaften (2005, 2007, 2010, 2018), sieben Teilnahmen an der Champions League (2006, 2008, 2011, 2013, 2014, 2015, 2019) sowie drei an der Europa League (2012, 2016, 2017). Schalke war Dauer-Titelkandidat. Allerdings gab es etliche Kritikpunkte an Tönnies‘ Amtsführung: Der Erfolg blieb auch wegen etlicher personeller Fehlentscheidungen in den letzten Jahren aus, die Schulden des Klubs stiegen trotzdem, fast alle Gremien waren mit Tönnies-Freunden besetzt, diskriminierende Äußerungen im Jahr 2019 sowie das jahrelange Festhalten am Sponsorenvertrag mit Gazprom bescherten ihm zahlreiche Gegner im Kreise vor allem der Ultras Gelsenkirchen. Nach einem Corona-Ausbruch in seinem Fleischwerk 2020 geriet Tönnies bundesweit unter Druck und trat mit Hinweis auf Schwierigkeiten in seinem Unternehmen zurück.

Das ist nun drei Jahre und sieben Monate her - und nicht wenige Schalke-Mitglieder sehnen sich angesichts der schwierigen sportlichen Situation nach Tönnies‘ Rückkehr, der aktuell nur als Premiumpartner mit seinem Unternehmen Böklunder Kontakt zu Schalke hat. Eine Rückkehr des 67-Jährigen ins aktive Geschäft ist für ihn aktuell kein Thema - auch wenn er noch blendende Kontakte zu vielen Führungspersönlichkeit im Fußball-Business unterhält und über vieles bestens Bescheid weiß. Die Entscheidungen seiner Nachfolger kann Tönnies aktuell wenig nachvollziehen. Dass eine Oppositionsgruppe seinen Namen als Zugpferd benutzt, nimmt er wohlwollend zur Kenntnis - 30 Jahre, nachdem seine Familie in den Verein eintrat.

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