Gelsenkirchen. Schalke steht gegen Magdeburg unter Zugzwang. Olaf Thon skizziert, worauf es jetzt ankommt und was für die Spielerentwicklung enorm wichtig ist.
Schalke-Idol Olaf Thon (57), der beim Zweitliga-Topspiel am Samstag (20.30 Uhr) gegen den 1. FC Magdeburg als Sport1-Experte im TV im Einsatz ist, spürt bei den Königsblauen bereits Druck auf dem Kessel. Nach nur einem Sieg aus den ersten fünf Meisterschaftsspielen steht der Bundesliga-Absteiger gegen die noch ungeschlagenen Magdeburger unter Zugzwang. Im WAZ-Interview spricht der Weltmeister von 1990 über die die Torwart-Situation, Trainer Thomas Reis, Talent Assan Ouedraogo und sagt, dass die Zeit zum Experimentieren in der jetzigen Phase vorbei sein muss.
Herr Thon, machen Sie sich schon Sorgen um Schalke 04 oder ist der schwache Saisonstart noch unter als normaler Startruckler einzuordnen?
Olaf Thon: Normal ist das nicht. Schalke 04 befindet sich in einer prekären Situation. Zweitliga-Experte Torsten Mattuschka hatte Schalke vor dem Saisonstart als Aufstiegskandidaten Nummer eins genannt. Man sieht, dass auch Fachleute mal daneben liegen können. Trotzdem bin ich überrascht, dass der Start so schlecht war.
Worauf kommt es jetzt an?
Die Mannschaft muss die Fans schnell wieder hinter sich zu bringen und Samstagabend den 1. FC Magdeburg in der Veltins-Arena niederringen. Dieses Spiel kann man nur über den Kampf gewinnen. Ein Heimsieg ist enorm wichtig für das Selbstvertrauen, für Trainer Thomas Reis und für die Einheit. Dass Schalke nicht gut in die neue Saison gekommen ist, weiß jeder. Laut Statistik steigen nur 2,8 Prozent der Mannschaften, die so einen Start hingelegt haben, am Ende auf. Das sind Zahlen, die noch nichts heißen müssen, aber durchaus aufzeigen, was das für ein Kraftakt werden kann.
Inwieweit spielt das aufgekommene Torwart-Theater, das durch Aussagen von Ralf Fährmanns Berater entfacht wurde, eine Rolle in der aktuellen Situation?
Dass die Probleme mit Ralf Fährmann aufgekommen sind, war sicherlich nicht förderlich. Man wusste vor der Saison nicht, dass sich Neuzugang Marius Müller etabliert. Jetzt hat Schalke zwei gute Torhüter. Zwei Mal Plus ergibt Minus. Man muss immer als Einheit auftreten. Wenn man nicht mit einer Zunge spricht, nicht an einem Strang zieht, dann ist das insgesamt schwierig.
Hat Trainer Thomas Reis die Angelegenheit jetzt unter Kontrolle?
Der Trainer hat deutlich gemacht, dass er die Entscheidungen trifft. Marius Müllers Leistungen haben bisher gestimmt, Ralf Fährmann war verletzt. Müller hat klar gezeigt, wer im Tor zu stehen hat. Das ist eigentlich eine positive Geschichte.
Schon vor dem 1:1 in Wehen Wiesbaden kamen Diskussionen um Trainer Thomas Reis auf. Wie bewerten Sie das?
Ich hoffe, dass Schalke einen langen Atem hat, was den Trainer betrifft. Ihn jetzt schon in Frage zu stellen, ist nicht gut und nicht förderlich. Das gibt wieder ein Minus. Fünf Saisonspiele sind erst ein kleines Wegstück, wenn man die Saison insgesamt als Marathon ansieht.
Was schätzen Sie am S04-Coach?
Er gefällt mir als Typ sehr gut. Ich spüre, dass er eine Handschrift hat, die sich in dieser Saison noch nicht ganz gezeigt hat. Man merkt einfach, dass da etwas ist, was Schalke weiterhilft. Thomas Reis ist durchaus mit Mike Büskens vergleichbar. Aber er braucht als Trainer auch Spielertypen, die durchs Feuer gehen.
Sebastian Polter hat nach dem Testspiel in Ulm seine Stammplatz-Ansprüche deutlich gemacht und herausgestrichen, die Nummer eins auf der Neuner-Position werden zu wollen. Kann die Konkurrenz zwischen ihm und Publikumsliebling Simon Terodde einen positiven Effekt auslösen?
Ich halte die Konkurrenzsituation für förderlich. Sie ergibt Leistungsdruck. Die Mannschaft kann sich daran hochpushen. Und grundsätzlich ist es immer gut, mehrere Optionen im Angriff zu haben. Wichtig ist für Schalke, dass es einen Mann im Mittelfeld gibt, der die Geschicke lenkt. Ich denke da als Erstes an Danny Latza. Das ist ein Spieler, der die Zügel in die Hand nehmen kann, der mit Selbstvertrauen und Ausstrahlung vorangehen kann.
In der Bundesliga wurde Abwehrspieler Henning Matriciani für jede Grätsche gefeiert, aber zuletzt lernte er die Kehrseite der Medaille kennen.
Henning Matriciani wurde regelrecht gehypt, aber jetzt merkt er, wie es sich anfühlt, wenn man mal nicht so gut wegkommt. In Wehen Wiesbaden ist ihm dieser unglückliche Klärungsversuch unterlaufen, der zum späten Gegentor führte. Er hat den Gegner angeschossen, aber so etwas kann jedem mal passieren. In dieser Situation geht es so schnell, da mache ich ihm keinen Vorwurf. Und wenn du mit einer Mannschaft ohnehin in einer Negativspirale steckst, dann passieren solche Gegentreffer.
Mit Assan Ouedraogo verfügt Schalke 04 über einen hochveranlagten Offensivspieler, der bisher fünf Mal in der 2. Liga zum Einsatz gekommen ist und die Fans regelrecht in Verzückung versetzt. Sie selbst haben als S04-Talent in den 80er Jahren eine ähnliche Euphorie erlebt. Worauf kommt es in solchen Phasen an?
Als Tipp kann ich sagen: Erst einmal sollte einem jungen Spieler immer die Gelegenheit gegeben werden, Wettkampfpraxis zu sammeln. Nur so kommt er weiter. Das hat mir der damalige Trainer Diethelm Ferner in meiner Anfangszeit in Schalkes Profi-Mannschaft ermöglicht. Man muss als junger Spieler immer wissen, dass der Trainer zu einem steht. Aber man muss als Talent auch die Philosophie mittragen, auch nach hinten mitzuarbeiten.
Wie ist Ihre Prognose bei Assan Ouedraogo?
Er besitzt eine hohe Qualität und wird sich auf Schalke noch weiterentwickeln. Martin Max, der auf Schalker als Stürmer-Trainer bei den U-Mannschaften arbeitet, hat mir schon vor einem Jahr gesagt, dass mit Assan Ouedraogo etwas Großes heranwächst. Entscheidend ist aber bei aller Freude um dieses Talent und allem Entwicklungs-Ehrgeiz, dass die Ergebnisse stimmen müssen. Du musst in dieser Situation die jeweils besten Spieler aufstellen und nicht für die Galerie. In der aktuellen Phase muss das Experimentieren vorbei sein. Jetzt zählen nur Resultate.