Essen/London. Der BVB spielt gegen Real Madrid ein herausragendes Finale – und bekommt auf brutale Weise aufgezeigt, was noch fehlt. Ein Kommentar
Manchmal sind es nur Zentimeter, die entscheiden zwischen Legende oder Leiden. Frag nach bei Niclas Füllkrug, dem Stürmer von Borussia Dortmund, der in der ersten Halbzeit des Champions-League-Finales gegen Real Madrid den Ball mit dem ganz langen Bein an den Innenpfosten spitzelte. Ein Zentimeter, vielleicht auch nur ein paar Millimeter weiter links und der Ball wäre ins Netz gesprungen, so aber klatschte er zurück ins Feld. Wäre er im Tor gelandet, dann hätte freilich der Videoassistent eingegriffen, um zu prüfen, ob jener Füllkrug zuvor nicht vielleicht doch mit ein paar Zentimetern seines massiven Oberkörpers im Abseits gestanden hatte.
Und später, in der zweiten Halbzeit, ist Füllkrug dann bei einem Eckball dann ganz nah an Dani Carvajal, aber es fehlen in diesem Fall dann doch einige Zentimeter, und deswegen köpft der Spanier den Ball ins Tor. Und als er dann selbst traf, stand Füllkrug eben doch im Abseits. So nah liegen die Dinge eben beieinander im Fußball, lange ja auch auf der Anzeigetafel. Erst in der Schlussphase, als der BVB alles riskierte, schössen die eiskalten Madrilenen einen deutlicheren Vorsprung heraus.
Nur die Gefühlswelten, die klafften natürlich meilenweit auseinander: Freudetrunkene Madrilenen auf der einen Seite, die den 15. Champions-League-Titel der Klubgeschichte gewonnen hatten, auf der anderen Seite am Boden zerstörte Dortmunder, Spieler wie Mats Hummels und Marco Reus, die zum zweiten Mal in einem solchen Endspiel gestanden und es zum zweiten Mal verloren hatten, denen die Krönung der Karriere versagt blieb.
Der BVB-Matchplan ging gegen Real Madrid lange hervorragend auf
Mit ein paar Tagen Abstand aber werden die BVB-Profis erkennen: Auf diese Champions-League-Serie dürfen sie stolz sein. Niemand hat ihnen irgendetwas zugetraut, aber sie spielten sogar gegen das große Real furios auf, sie waren lange die bessere Mannschaft. Der Matchplan hatte hervorragend gepasst, die Abwehr stand sicher, nahm den pfeilschnellen Real-Angreifern die Tiefe, die sie für ihr Spiel brauchen, und dem Mittelfeld-Tausendsassa Jude Bellingham den Spaß am Fußball.
Nur die Tore, die machte der BVB nicht, und so ahnte jeder, was kommen würde: Dass dieses Real wieder einmal geduldig auf seinen Moment wartet und dann eiskalt zuschlägt. Von dieser Abgeklärtheit, dieser Kaltschnäuzigkeit, kurz: dieser Klasse ist der BVB noch ein gutes Stück entfernt. Daran zu arbeiten, wird die große Aufgabe für die nächsten Jahre.