Dortmund. Martin Kree war dabei, als der BVB die Königsklasse gewonnen hat. Hier spricht er über die Feier, eine Bombendrohung und besondere Riedle-Worte.
Martin Kree wurde nicht weit entfernt von Dortmund in Wickede (Ruhr) geboren, er hat als Verteidiger eine West-Karriere hingelegt, sich beim VfL Bochum, bei Bayer Leverkusen und bei Borussia Dortmund in Zweikämpfe geschleudert, heute leitet 59-Jährige ein IT-Firmen. Vor allem war er 1997 dabei, als der BVB sensationell gegen Juventus Turin die Champions League gewann. Erinnerungen, die wieder hochkommen, weil die Borussia nun erneut im Königsklassen-Endspiel etwas Magisches erreichen möchte.
Sie haben den Champions-League-Pokal in den Händen gehalten. Wie fühlt er sich an?
Es ist ein schönes Gefühl, dass man das erreicht hat, Champions-League-Sieger werden halt nicht so viele Fußballer. Dass ich diesen Pokal in den Händen gehalten habe, das begleitet mich mein Leben lang. Das hat aber damals auch den Druck ausgemacht.
Das müssen Sie erklären.
Es ist ein großer Unterschied, ob man als Abwehrspieler in so ein Spiel geht oder als Stürmer. Ich war mit Kalle Riedle auf dem Zimmer, laut ihm hat er damals zu mir gesagt: ,Ich mache zwei Tore.‘ So geht er in so ein Spiel. Ein Abwehrspieler denkt: ,Wenn ich heute einen Fehler mache und wir verlieren dadurch, dann bekomme ich das ein Leben lang nicht mehr weg.‘
Also genießen konnten Sie das Endspiel nicht?
Wir, Jürgen Kohler und ich, waren damals in der Verteidigung froh, dass Del Piero zunächst nur auf der Bank saß, denn der passte zu uns beiden nicht. Dann hat Kalle das erste Tor geschossen, aber die Spieler von Juventus haben nur gedacht: ,Na gut, dann gewinnen wir halt nicht zu null.‘ Aber dann schießt Kalle das zweite Tor. Ab diesem Moment hatten sie auf einmal Panik in den Augen.
Martin Kree über das BVB-Finale: „Ab der 85. Minute war es ein Genuss“
Alessandro Del Piero hat den Anschluss geschossen, es folgte das Jahrhunderttor von Lars Ricken.
Dieses tolle Tor hat Juventus den Zahn gezogen. Lars, so haben wir in der Mannschaft damals geflachst, hätte in der Zeit auch in Richtung Eckfahne schießen können, er hätte irgendeinen gegnerischen Spieler getroffen, der den Ball Richtung Tor abgefälscht hätte. Das war krass. Nach diesem Tor habe ich gemerkt, dass es wirklich etwas werden könnte. Ab der 85. Minute war es dann wirklich ein Genuss, ich wusste, wir schaffen das jetzt. Das kann ja gar nicht sein, habe ich gedacht.
Jetzt trifft der BVB auf Real Madrid. Wäre ein Sieg eine noch größere Sensation?
Es ist schwierig, das zu vergleichen. Aber wir hatten schon eine tolle Mannschaft, wir hatten durchweg Spieler, die viele Titel geholt hatten. Paulo Sousa war ein Gedicht, was der für ein Spielverständnis hatte, oder Andy Möller, oder Chappi, Kalle. Ich könnte aber jetzt auch die Mannschaftsaufstellung nennen.
Martin Kree: „Der BVB hat gezeigt, dass er sich in einzelnen Spielen zusammenreißen kann“
Was für Tipps können Sie den aktuellen Borussen geben?
Sie müssen an die eigene Stärke und die vorhandene Chance glauben. Am besten den Druck in einen positiven Druck verwandeln. Wenn man um seine Existenz spielt, wie zum Beispiel der VfL Bochum, dann ist das ein anderer Druck, viel unangenehmer und größer. Natürlich braucht es auch einen guten Plan, unser Trainer Ottmar Hitzfeld war ein brillanter Stratege. Edin Terzic kann in diesem Spiel auch der Öffentlichkeit zeigen, was er kann. Damals spielte uns der Verlauf des Spiels komplett in die Karten, wir haben mit der ersten Chance das erste Tor und kurz danach das 2:0 erzielt. Kurz nach dem Anschlusstreffer kam dann Lars. Das kann man natürlich nicht immer so beeinflussen. Ich wünsche der Mannschaft gegen Madrid einen ähnlichen Spielverlauf.
Real Madrid ist allerdings der erfolgreichste Klub der vergangenen Jahre.
Für mich ist das der außergewöhnlichste Verein der Welt. Aber der BVB hat gezeigt, dass er sich in einzelnen Spielen zusammenreißen und jeden Gegner besiegen kann.
Wie blicken Sie auf die Leistung von Verteidiger Mats Hummels?
Es ist krass, mit welcher Souveränität er verteidigt. Es gibt Spiele, da gewinnt er jeden Zweikampf. Es tut mir leid, dass das nicht belohnt wurde und er nicht mit zur EM darf. Im Stadion sehe ich nicht immer dorthin, wo der Ball ist, sondern ganz oft beobachte ich die Spieler, die auf meiner Position spielen und frage mich dann, was ich in dieser Situation gemacht hätte. Ich weiß, wie knapp die Grenze bei einem Abwehrspieler zwischen einem tollen Spiel und einem einzigen Fehler sein kann, durch den man zum Deppen wird. Das hat mich auch bis heute geprägt. Ich ertappe mich in meinen Firmen öfter mal dabei, dass ich an die Risiken denke und nicht an die Chancen. Daran muss ich noch arbeiten.
Verspüren Stürmer mehr Lebenslust?
Ja, ich denke schon. Ich habe damals, verglichen mit anderen Offensivspielern, eher weniger Wertschätzung bekommen. Erst Jürgen Kohler hat es hinbekommen, den Posten hinten wieder salonfähig zu machen.
Martin Kree: Matthias Sammer stand ganz oben
Auch heute noch redet man beim Finale vor allem über Riedle und Ricken. Wie sind Sie mit der Rolle im Hintergrund klargekommen?
Ich könnte jetzt sagen, dass ich das gar nicht wahrgenommen habe. Aber das ist Quatsch. Wie erwähnt, standen die Offensivspieler halt immer mehr im Blickpunkt. Und wenn ich etwa gemeinsam mit Karl-Heinz Riedle und Stéphane Chapuisat irgendwo hingekommen bin, war die Aufmerksamkeit eindeutig bei den beiden. Ich war das gewöhnt, aber im Nachhinein wäre es schön gewesen, wenn auch die Abwehrspieler generell mehr Aufmerksamkeit bekommen könnten.
War das in der Kabine anders?
Wir hatten schon die Hierarchie, dass Matthias Sammer ganz oben stand. Wir haben zwar das gemacht, was Ottmar gesagt hat. Aber auf dem Platz hat dann manchmal Matthias etwas anders entschieden. Ich persönlich habe immer Respekt vor Menschen, die mehr erreicht haben als ich. Matthias war Europas Fußballer des Jahres, was sollte ich dem sagen? Aber grundsätzlich sieht die Mannschaft in der Kabine genau, wer wichtig ist und wer nicht. Diese Rangfolge ist nicht immer mit der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit deckungsgleich.
Und was passiert dann, wenn man die Königsklasse gewinnt?
Wir haben nach der Siegerehrung natürlich ein wenig Alkoholisches aus dem Pokal geschlürft. Das Feier-Problem war damals, dass wir zwar intern daran geglaubt haben, es aber keine Feiervorbereitungen gab. In der Kabine haben wir alles auseinandergenommen, haben überlegt, ob sich die Bayern jetzt wohl ärgern. Danach sind wir ins Hotel zum offiziellen Part mit den Sponsoren gefahren worden. Anschließend sind wir ins P1 in München gefahren, aber es war so voll, dass wir total auseinander gerissen wurden und keine richtige Stimmung mehr aufkommen konnte. Eigentlich sehr schade.
Martin Kree über eine Bombedrohung für den BVB-Flieger
Wie ging es weiter?
Am anderen Tag gab es dann eine Bombendrohung für unseren Flieger. Das wurde sehr ernst genommen. Meine Frau hatte sowieso große Flugangst, sie hat dann entschieden, dass sie mit Karin Sammer mit einem Mietwagen zurückfährt. Als wir in Dortmund gelandet sind, war aber gefühlt schon am Flughafen die erste halbe Million an Menschen. Da weiß man, wofür man diesen Beruf ausübt. Fußball kann ein harter Job sein, wenn zum Beispiel die eigenen Kinder in der Schule belästigt werden, weil man einen Fehler gemacht hat. In diesem Moment weiß man, wofür man es macht. Champions-League-Sieger bleibt man.
Schafft es Dortmund wieder?
Der BVB hat die 97er-Mannschaft eingeladen, was ich als eine sehr schöne Geste empfinde. Wir werden uns das Spiel in London ansehen und der Mannschaft natürlich die Daumen drücken.