Dortmund. Gegen Mainz braucht der BVB einen Sieg, um unruhige Weihnachten zu vermeiden – ausgerechnet gegen den Gegner, der den Absturz auslöste.
Edin Terzic schüttelt den Kopf. „Das spielt keine Rolle in der Vorbereitung auf das Spiel“, sagt der Trainer von Borussia Dortmund. Das – damit ist das Spiel gegen Mainz 05 gemeint. Und das Spiel – damit ist ebenfalls das Spiel gegen Mainz 05 gemeint. Einmal geht es um die Partie, die an diesem Dienstag (20.30 Uhr/Sat.1 und Sky) als letztes Bundesligaspiel vor der Winterpause ausgetragen wird. Und einmal um jenes schicksalhafte Aufeinandertreffen im Mai, als der BVB durch ein 2:2 die Meisterschaft verspielte, die doch zum Greifen nah war.
Doch das spielt ja sieben Monate später keine Rolle mehr, sagt Terzic: „Es ist eine neue Saison mit neuen Zielen – und diesen Zielen näher zu kommen, darum geht es in dem Spiel.“ Aber ist es wirklich so einfach? Lassen sich die Gedanken, die Erinnerungen, die Bilder so einfach ausblenden, die sich am 27. Mai so tief ins kollektive schwarz-gelbe Gedächtnis fraßen? Edin Terzic, wie er am Spielfeldrand stand, den Oberkörper auf den Knie abgestützt, die Last der Erwartungen auf seinen Schultern und wie diese Schultern mit Schlusspfiff absackten? Mats Hummels, wie er regungslos und mit leerem Blick ins Nichts starrte, Marco Reus, wie er in Tränen aufgelöst auf dem Rasen kauerte und Terzic, wie er später weinend vor der Südtribüne stand. Und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke sagte noch im November: „Das war der schrecklichste Tag in meinem Leben.“
Und das soll nun keine Rolle mehr spielen in einer Woche, in der eine seltsame Laune des Schicksals oder der Spielplangestalter dafür sorgt, dass das Bundesligajahr 2023 genauso endet wie die Saison 2022/23? Nämlich mit einem Auswärtsspiel beim FC Augsburg und dem abschließenden Spiel gegen Mainz. Da aber enden die Gemeinsamkeiten: Im Mai spielte der BVB um den Titel, jetzt ist die Spitze längst außer Reichweite und die Dortmunder wären schon froh, wenn der Rückstand auf Platz vier von aktuell fünf Punkten nicht noch weiter wachsen würde. Der Druck ist gewaltig beim Wiedersehen, und auch wenn der Trainerstuhl von Edin Terzic noch nicht akut wackelt und auch bei einer Niederlage nicht kippt: Alles andere als drei Punkte gegen die Kellerkinder aus Rheinhessen brächte äußerst unruhige Weihnachten in Dortmund mit sich.
Das Mainz-Spiel wirkt bei Borussia Dortmund noch immer nach
„Wir sind schon zweimal durch eine solche Phase gegangen und haben bewiesen, dass wir uns daraus befreien können“, sagt Terzic fast trotzig. Aktuell aber sieht wenig danach aus, dass die Klubs, die vor dem BVB stehen, eine ausgedehnte Schwächephase einlegen – und die Dortmunder machen nun wirklich nicht den Eindruck, sie könnten eine Siegesserie hinlegen. Und damit ist man zurück beim Mainz-Spiel im März, das natürlich noch nachwirkt. Immer mal wieder wurde es auch von den Verantwortlichen herangezogen als Erklärung, warum die Mannschaft sich immer wieder schwertat in den Wochen und Monaten danach, weil sich nämlich diese bittere Erfahrung nicht so einfach abschütteln ließ.
Und nicht nur psychologisch, auch fußballerisch hatte dieser 27. Mai Folgen, er bestärkte die BVB-Macher nämlich in der Idee eines Kurswechsels: „Wir haben letzten Sommer unsere Schlüsse gezogen, wir haben diesen Sommer unsere Schlüsse gezogen“,hatte Terzic schon im Oktober erklärt: „Weniger sexy, mehr Erfolg.“ Im Oktober nämlich stimmten die Ergebnisse noch. Inzwischen aber, nachdem endlich auch die Spiele gegen die Bundesliga-Spitzenmannschaften gespielt sind, gilt nur noch: weniger sexy.
Die BVB-Verantwortlichen überschätzten ihren Kader
Im Sommer hatte der BVB seinen Plan, dem Kader mehr Robustheit und Widerstandsfähigkeit beizumischen, konsequent weiter verfolgt, hatte die spielstarken Raphael Guerreiro und Jude Bellinghamersetzt durch Ramy Bensebaini, Felix Nmecha und Marcel Sabitzer. Vielleicht unterschätzten die Bosse, wie groß der spielerische Aderlass durch die beiden Abgänge sein würde, vielleicht überschätzten sie ihre Neuzugänge auch ein wenig, vielleicht verleitete sie auch die richtig gute Rückrunde dazu, den Kader stärker zu sehen, als er sich nun darstellt. Sicher ist: Die Parole „weniger sexy, mehr Erfolg“ geht aktuell nicht auf.
Und ausgerechnet gegen den Gegner, gegen den der schleichende Absturz begann, gegen den man von der Tabellenspitze stürzte und danach nicht mehr dorthin zurückkehrte – gegen diesen Gegner soll nun die Trendwende gelingen. Terzic gibt sich auch da zuversichtlich: „Die Mannschaft hat richtig gute Schritte gemacht in den vergangenen Tagen“, sagt er. „Das gibt uns Mut, dass es gelingt, das Jahr mit einem Sieg abzuschließen.“ Am Mut allerdings hat es auch damals im Mai nicht gefehlt – zumindest nicht vor dem Spiel.