Leverkusen. Beim 1:1 in Leverkusen zeigt der BVB in Taktik und Spielweise, dass er aktuell nicht zu den Bundesliga-Spitzenmannschaften zählt.

Im Laufe des Sonntagabends hatten sich die Emotionen dann wieder ein Stück heruntergepegelt. Als Edin Terzic bei der Pressekonferenz im Bauch des Leverkusener Stadions saß, gab sich der Trainer von Borussia Dortmund sehr viel ruhiger als gleich nach dem Spiel, nach dem schmeichelhaften 1:1 bei Spitzenreiter Bayer Leverkusen, als er sich erst einen Disput mit Schiedsrichter Daniel Siebert geliefert und später am DAZN-Mikro seinem Frust freien Lauf gelassen hatte. Terzic war nun ruhiger im Ton – aber nicht weniger klar in der Sache: „Es fällt mir schwer, das zu akzeptieren“, haderte der BVB-Coach. „Was mich geärgert hat, war die Elfmeterszene mit Karim.

Bei einem der seltenen Dortmunder Angriffe hatte sich BVB-Flügelflitzer Karim Adeyemi in den Strafraum gedribbelt, wo ihn Edmond Tapsoba und Exequiel Palacios in die Zange nahmen, der Leverkusener Palacios traf Adeyemi am Schienbein. So weit so unstrittig, Siebert und Video-Assistent Benjamin Cortus allerdings wertete den leichten Kontakt nicht als ursächlich für Adeyemis spektakulären Sturz – und das konnte man durchaus so sehen.

BVB: Zahlen untermauern deutliche Überlegenheit von Bayer Leverkusen

Zwei Terzic-Sätze in diesen Minuten gingen etwas unter neben der scharfen Schiedsrichter-Kritik, waren aber für die Gesamtschau deutlich wichtiger. „Das Ergebnis bleibt gerecht, darum geht es nicht“, räumte der 41-Jährige ein. Das klang versöhnlich, war aber dennoch falsch: Aus Leverkusener Sicht musste sich dieses Ergebnis wie eine schreiende Ungerechtigkeit anfühlen. 68 Prozent Ballbesitz waren ein deutliches Zeichen der Leverkusener Überlegenheit, mehr noch aber die 23:5-Torschüsse und die 16:1-Ecken. Die Bayer-Elf aber betrieb Chancenwucher, während der BVB gleich mit dem ersten und lange einzigen sauber zu Ende gespielten Angriff zur Führung traf (5.). Bayer dagegen schoss aus allen Lagen, aber selten präzise, bis am Ende Victor Boniface zum Ausgleich einschob (79.).

Am Mittwoch wartet Stuttgart im DFB-Pokal

Über 90 Minuten war der Tabellenführer dem entfernten Verfolger drückend überlegen, die Partie zeigte deutlich auf, weshalb aktuell zehn Punkte zwischen Bayer-Elf und BVB-Truppe liegen. Und so gewann ein weiterer Terzic-Satz in Richtung Schiedsrichter an Bedeutung: „Ich kann es nicht mehr ändern.“ Tatsächlich wäre der BVB nach diesem Spiel gut beraten, sich auf jene Dinge zu konzentrieren, die er ändern kann, denn schon am Mittwoch (20.45 Uhr/ZDF und Sky) steht das DFB-Pokal-Achtelfinale beim VfB Stuttgart an – jener Mannschaft, die die Dortmunder vor gut vier Wochen noch viel gründlicher zerlegt hatte als Leverkusen und gründlicher, als es die Dortmunder 1:2-Niederlage aussagte.

Und damit war man schnell bei Julian Brandt gelandet: „Ich fände es fatal, sich nur auf diese Szene zu stürzen“, sagte der Mittelfeldspieler, der auf dem Feld deutlich weniger präzise agiert hatte als später am Mikrofon. „Denn das Spiel hat 90 Minuten gedauert, es gab 16 Ecken für die Leverkusener, dazu viele Chancen und Abschlüsse. Ja, es gab die Elfmeter-Szene, aber im Großen und Ganzen hat es Leverkusen deutlich mehr verdient, das Spiel zu gewinnen als wir.“

BVB-Profi Julian Brandt am Ball.
BVB-Profi Julian Brandt am Ball. © firo | Ralf Ibing

Aber warum waren die Gäste aus Westfalen den rheinischen Gastgebern derart unterlegen? Wie schon sein Mannschaftskollege Niclas Füllkrug in Stuttgart fand Brandt die Ursache in der Dortmunder Herangehensweise begründet: „Wir haben unsere Aufmerksamkeit so sehr dem Verteidigen gewidmet, dass wir bei unseren Ballgewinnen sehr eng standen, mit einer tiefen Viererkette, zwei Sechsern dicht davor und davor drei engen Mittelfeldspielern. Da kamen wir nicht schnell genug in die Breite, wir standen ja alle sehr eng.“ Brandts Fazit: „Erschreckend“ habe das Dortmunder Offensivspiel ausgesehen.

BVB immer wieder mit Zeitspiel

Tatsächlich hatte sich der BVB eine echte Außenseitertaktik zurechtgelegt: Den Ball überließ man bereitwillig den Leverkusenern, zum tiefen Verteidigen kamen viele lange Bälle im Spielaufbau, eine Manndeckung gegen Leverkusens Kreativzentrale Florian Wirtz und Jonas Hofmann – und schon in der ersten Halbzeit immer wieder Zeitspiel bei Abstößen, Einwürfen, Freistößen. Die vorsichtige Herangehensweise deutete an, dass die Dortmunder vorher schon wussten, was diese Partie allzu deutlich offenbaren sollte: Aktuell ist Dortmund nicht auf Augenhöhe mit den Bundesliga-Spitzenmannschaften, auch wenn das Ergebnis anderes sagte.

Natürlich stimmte alles, was Brandt noch geradezu schwärmerisch über das Spiel des Gegners sagte, die hohe technische Qualität, das Tempo und vor allem das betörende Pass- und Positionsspiel, das klar erkennen ließ, wie was Trainer Xabi Alonso Woche für Woche mit seinen Spielern im Training einstudiert. Eine Erklärung für die Dortmunder Unterlegenheit war das aber nicht, denn weder beschäftigt die Werkself Spieler, die für den BVB unbezahlbar wären, und schon gar nicht sollte es Trainer Terzic und seiner Mannschaft unmöglich sein, ähnliche Automatismen zu erarbeiten.

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Aber es blieb das respektable Ergebnis, auf das man sich aus BVB-Sicht berufen konnte: Bislang hatte Leverkusen in dieser Bundesligasaison nur beim FC Bayern Unentschieden gespielt und die übrigen Spiele gewonnen. Entsprechend räumte Sportdirektor Sebastian Kehl auch ein: „Mit dem Punkt können wir sehr gut leben.“ Das fehlerhafte bis fehlende Offensivspiel war ihm auch aufgefallen, aber: „In der Gesamtbetrachtung war der Fokus heute ein anderer“, sagte Kehl und bezog sich auf die über weite Strecken richtig gute Defensivleistung. „Das hat die Mannschaft sehr gut umgesetzt.“ Ein BVB, der sich allein aufs Verteidigen konzentrierte – auch das sagte viel aus über die aktuelle Kluft zwischen dem Spitzenreiter und Borussia Dortmund im Winter 2023.