Essen. Fußball-Profis schlagen Alarm. Es gibt schlimme Verletzungen. Die Wissenschaft ist besorgt. Die Spiele werden mehr. Gibt es ein Zurück?
Vielleicht habe er mit seinen Worten nun seine Vorgesetzten verärgert, sagt Nuri Sahin, als das Mikrofon, in das er gerade noch gesprochen hat, bereits abgeschaltet ist. Dann aber muss Borussia Dortmunds Trainer lächeln, weil er ja weiß, dass seine Meinung von vielen anderen genauso vertreten wird. Die Meinung nämlich, dass der Fußball mittlerweile eine Grenze erreicht habe.
„Wenn Spieler schon anfangen, über Streiks zu reden, dann müsste es eigentlich ‚Klick‘ machen bei jedem einzelnen“, hatte Sahin zuvor an einem Septembertag gesagt. Er habe jedoch das Gefühl, „je mehr wir darüber reden, desto mehr spielen wir. Wenn die Organisationen oder die Leute sich keine Gedanken machen, dann müssen wir uns die Gedanken machen.“ Die Botschaft: Stoppt die Überbelastung.
Es formiert sich gerade eine Bewegung im europäischen Spitzenfußball. Immer mehr Topspieler beklagen sich öffentlich darüber, dass immer mehr Spiele in den Kalender gequetscht werden. All diese Spieler erhalten eine enorme Aufwandsentschädigung. Sie sind Multimillionäre, aber eben auch Menschen, deren Körper eine Grenze erreichen kann. Unterstützt werden sie deswegen von ihren Trainern; so hatte etwa Jürgen Klopp, als er noch beim FC Liverpool angestellt war, gewarnt: „Wenn wir nicht lernen, mit unseren Spielern umzugehen, töten wir dieses wunderbare Spiel.“
EM-Star Rodri warnt, dann reißt sein Kreuzband
Wann ist es zu viel? „40 bis 50 Spiele seien das Maximum“, meinte der spanische Europameister Rodri und brachte einen Streik ins Gespräch , ansonsten „sinke das Niveau“, denn es sei „nicht möglich, so viele Spiele auf höchstem Level“ zu machen. Kurze Zeit später, so zynisch ist dieses Geschäft manchmal, riss sich jener Rodri das Kreuzband. Ein Warnsignal, auch wenn nie mit absoluter Gewissheit gesagt werden kann, dass eine schwerwiegende Verletzung aus einer Überbelastung resultiert. Fest steht: Seit 2019 hatte Rodri die meisten Pflichtspiele aller Premier-League-Profis absolviert, 50 waren es in der Saison 2023/24, 56 in der Saison 2022/23. Bereits während seiner herausragenden Europameisterschaft in diesem Sommer hatte Rodri gesagt, dass er einen Punkt erreicht habe, an dem er nicht mehr könne.
Doch: Es ändert sich nichts. Im Gegenteil. In dieser Saison hat die Europäische Fußball-Union durch ihre Champions-League-Reform weitere Begegnungen obendrauf gepackt. Im kommenden Sommer veranstaltet zudem der Weltfußballverband Fifa seine neue Klub-WM. Die Funktionäre scheinen nur eine Maßnahme zu kennen: Noch mehr Partien anzupfeifen.
Anfang September hat die Gewerkschaft FIFPro in einem Bericht daher Schutzmaßnahmen für die Spieler gefordert. Die Forderungen: Reisen sollen beschränkt, Pausen und eine angemessene Erholung ermöglicht werden. Auch Professor Hans-Georg Predel von der Deutschen Sporthochschule Köln spricht gegenüber dieser Redaktion von „einer gewissen Sorge, dass es getriggert durch die zunehmende Kommerzialisierung im Profifußball eine massive Ausweitung der Wettbewerbe und damit der Spiele gibt“. Wobei der Wissenschaftler klarstellt, dass diese Ausweitung nur die Topspieler betreffe. „Im Schnitt hat sich die Anzahl der Pflichtspiele für die meisten Profifußballer gar nicht erhöht.“
Uefa und Fifa: Mehr Spiele bedeuten mehr Einnahmen
Predel hält es für vertretbar, alle fünf Tage zu spielen. Doch „in Wahrheit sind die Spiele ja verdichtet in bestimmten Saisonphasen. Das werden wir jetzt auch im Spätherbst erleben. Da bin ich voll aufseiten der Spieler, die Belastung ist in diesen Phasen zu hoch.“ Zudem hätten die mediale Aufgeregtheit und die Intensität innerhalb der Begegnung zugenommen. Es werde mehr und schneller gerannt, dadurch wiederum müsse das Training härter gestaltet werden. Sein Vorschlag: „Man könnte Einsatzzeiten reglementieren und das Rotationsprinzip verpflichtend machen.“ Denn: „Wir bewegen uns auf die Grenzen der körperlichen und mentalen Belastbarkeit zu. Noch spielen da keine KI-gesteuerten Roboter, sondern Menschen.“
Das Problem liegt auf der Hand. Für die Uefa und die Fifa bedeuten mehr Spiele mehr Einnahmen. Hans-Georg Predel gibt aber zu bedenken, dass Überbelastung das Risiko für schwere Verletzungen erhöht. Und ein verletzter Star kann keine Fans ins Stadion locken. Ob die Hilferufe also erhört werden? Fraglich. Kevin De Bruyne, Topstar von Manchester City, meint: „Wir können Bedenken äußern, aber es werden keine Lösungen gefunden. Es scheint, dass das Geld lauter spricht als die Stimmen der Spieler.“