Dortmund. Julian Brandt soll das neue Gesicht von Borussia Dortmund werden. Eine BVB-Alternative fehlt. Was, wenn der Plan misslingt?
Seit fünf Jahren befindet sich der Arbeitsplatz von Julian Brandt bereits in Dortmund, also an spielfreien Tagen in Brackel, dem Vorort, indem der wichtigste Klub der Stadt, der BVB, trainiert. Seine Gesichtszüge sind seitdem härter geworden, seine Haare klemmt er sich nun hinter die Ohren, und er redet nicht nur wie schon immer bemerkenswert redegewandt über Fußball, sondern kritisiert neuerdings auch mal die eigene Mannschaft, wenn ihm die Einstellung nicht gepasst hat.
Aus dem Emporkömmling ist im Alter von 28 Jahren ein Führungsspieler geworden.
Das liest sich wie ein stringenter Aufstieg, doch ganz so einfach ist es wie so häufig eben nicht. Denn während der gebürtige Bremer, 47 Länderspiele hat er in seinem Lebenslauf stehen, beim BVB in die Rolle des wichtigsten Offensivspielers geschoben wurde, hat ihn Bundestrainer Julian Nagelsmann in dieser Länderspielpause erneut nicht eingeladen. Genauso wie seinen Mannschaftskollegen Niklas Süle. „Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich beide in den Arm nehmen muss. Sie wissen, was sie zu tun haben und was von ihnen erwartet wird“, kommentierte Trainer Nuri Sahin.
Julian Brandt: Zweiter BVB-Kapitän hinter Emre Can
Trotzdem scheint die deutsche Nationalelf Brandts Fähigkeiten nicht zu benötigen. Und auch im schwarz-gelben Umfeld spielt der Rechtsfuß gegen die Zweifel an, ob er, der früher oft schwankend in seinen Leistungen war, einen Spitzenklub wirklich konstant anführen kann. Dortmunds neuer Trainer Sahin hat den Zehner von Beginn an in der Hierarchie nach oben gehievt, ihn hinter Emre Can zum zweiten Kapitän ernannt, ihn öffentlich gestärkt, gesagt, dass Brandt ein „Schlüsselspieler und auch eine Persönlichkeit“ sei. Dabei allerdings verschwiegen, dass ihm als Trainer gar keine andere Wahl bleibt, weil sich im Kader keine richtige Alternativen zu dem Gelobten befindet. Ein Risiko. Obendrauf bekam Brandt noch die Nummer 10 auf dem Trikot verliehen und muss nun die Fußstapfen von Klubgrößen wie Andreas Möller und Tomas Rosicky ausfüllen. Eine Bürde.
Ob er diesem Druck standhält, muss er in den kommenden Wochen beweisen. Bereits am Freitag (20.30 Uhr/DAZN) wird im Dortmunder Stadion das Flutlicht angeschmissen, der Überraschungs-Tabellenführer 1. FC Heidenheim reist an und muss erst mal bezwungen werden in einer Partie, nach der sich die Stimmung aufhellen soll. Die BVB-Fans sehnen sich nach dem ruckeligen Auftakt nach einem Befreiungsschlag und einem Zeichen, dass sich der Verein unter Sahin auf dem richtigen Weg befindet.
Julian Brandt - der BVB hofft auf Ideen und Tore
Die ersten Standortbestimmungen gegen Frankfurt (2:0) und Bremen (0:0) kamen spielerisch mau daher, auch weil Brandt noch nicht der Faktor war, der er sein soll. Sahin schwebt vor, dass Angriffe durch das Zentrum aufgebaut werden. Pascal Groß soll dabei den Ball aus der Defensive nach vorne dirigieren, dorthin, wo sich Brandt befindet als derjenige, der dann die entscheidenden Ideen hervorkramt, um Tore vorzubereiten oder sie selbst zu erzielen.
In Bremen mangelte es jedoch an der Abstimmung zwischen ihm und Neuzugang Maximilian Beier, zudem fremdelte Marcel Sabitzer mit seiner Rolle auf der Außenbahn. All dies ließ das Dortmunder Spiel behäbig und mutlos wirken. Weit entfernt vom erhofften Spektakel. Hoffnung macht allerdings, dass Serhou Guirassy, vom VfB Stuttgart gekommen, vielleicht schon gegen Heidenheim nach seiner Knieverletzung zum ersten Mal mithelfen kann und dieser dann durch seine Präsenz im Sturmzentrum Räume öffnet für die Spieler, die sich hinter ihm befinden.
BVB: Felix Nmecha und Giovanni Reyna? Zu schwach
Wie eben Brandt, der keinen richtigen Konkurrenten bei der Borussia hat. Marco Reus verdient sein Geld jetzt viele Kilometer von Ruhrgebiet entfernt bei Los Angeles Galaxy. In der Theorie kämen Giovanni Reyna und Felix Nmecha infrage, die Zehnposition mit Leben auszufüllen, doch beide hecheln ihrer Bestform schon lange hinterher.
Da bleibt nur Julian Brandt, der das neue Gesicht des Klubs werden soll. „Ich hoffe, ich wachse da rein“, hat er gesagt und ergänzt, dass er bereit sei, Verantwortung zu übernehmen. „Man lernt mit den Jahren dazu, da sehe ich mich selbst in der Pflicht.“ Nach fünf Spielzeiten möchte der nun Erwachsene aus dem Schatten vergangener Klubgrößen treten – und so selbst eine werden.