Madrid. Das neue Ligen-System im Europapokal sorgt für mehr Vielfalt und bringt in der Champions League auch Favoriten in Bedrängnis.
Poltern ist Programm. Zumindest bei Florentino Perez, dem mächtigen Präsidenten bei Real Madrid, der die Jahreshauptversammlung am Sonntag nutzte, um vor allem in eigener Sache zu argumentieren. Ein Thema seiner (Wut-)Rede: das neue Format der Champions League. Der 77 Jahre alte Bauunternehmer, in einer zweiten Amtszeit am königlichen Ruder, findet den neuen Modus nicht wirklich besser als den alten: „Da es mehr Spiele gibt, ist der Wert eines jeden Spiels um fast 30 Prozent gesunken. Mehr Spiele, aber weniger Wert. Dieser Wettbewerb wird erst am Ende Begeisterung wecken und nicht am Anfang. Die Anzahl der Spiele wirkt sich auf die Gesundheit der Spieler aus.“
Was der Patron Perez vergaß: Gerade Großklubs wie Real Madrid waren es ja, die mit der bis heute nicht verschwundenen Drohkulisse einer Super League die Europäische Fußball-Union (Uefa) erst dazu getrieben haben, eine grundsätzliche Reform der Europapokalwettbewerbe anzugehen. Die Einführung der Liga-Phase war ein wesentlicher Kernpunkt. Nun ist gerade Halbzeit – und ausgerechnet der Titelverteidiger kommt nicht richtig in Gang. Die Königlichen sind erstmals seit 2008/2009 mit nur sechs Punkten aus den ersten vier Spielen gestartet. Vielleicht ist Perez auch deshalb so in Rage.
Paris Saint-Germain steht in der Champions League unter Druck
Auch der FC Bayern hat vor seinem Heimspiel gegen Paris St. Germain (Dienstag 21 Uhr/Prime Video) erst sechs Zähler auf dem Konto. Das hatte Vorstandschef Jan-Christian Dreesen eigentlich nicht gemeint, als er seine Vorfreude auf eine „neue Erfahrung“ formulierte. PSG (vier Punkte) steht noch mehr unter Druck. Der aktuelle Platz 25 würde sogar das Aus für das aus Katar alimentierte Konstrukt bedeuten. Auch die Ausbeute von Manchester City (sieben) liest sich angesichts der finanziellen Möglichkeiten sehr bescheiden.
Da muss sich der eine oder andere Renommierverein also an den verbleibenden vier Spieltagen im Dezember und Januar mächtig strecken, um als Top Acht der Endtabelle direkt ins Achtelfinale einzuziehen. Dennoch ist nicht zu erwarten, dass die Global Player die Playoffs im Februar 2025 verpassen, für das sich eben die Teams bis Rang 24 qualifizieren. Unter den ersten 14 Plätzen befindet sich mit Sporting Lissabon nur ein Team, das nicht aus einer der Top-5-Ligen (England, Spanien, Deutschland, Italien und Frankreich) kommt. Letztlich werden 144 der 189 Spiele in der Champions League und Europa League nur dazu gespielt, um zwölf von 36 Teams auszusortieren. Vor allem Fangruppierungen kritisieren diese Aufblähung.
Spannung vor allem am letzten Spieltag der Champions-League-Gruppenphase?
Ist wirklich die Spannung gestiegen? Spätestens am letzten Spieltag, der zeitgleich am 29. Januar 2025 über die Bühne geht, könnten sich einige Dramen abspielen. Die neue Vielfalt mit acht unterschiedlichen Gegnern kommt bei allen Beteiligten richtig gut rüber. Auch bei den deutschen Klubs ist viel Zustimmung zu den unterschiedlichen Herausforderungen zu vernehmen. Gleichwohl muss die Bundesliga aufpassen, dass ihr das System nicht bei der Premiere um die Ohren fliegt. Mit nur 1,3 Punkten im Schnitt hat die Bundesliga in der Königsklasse einigen Nachbesserungsbedarf, bei den 20 Einsätzen des Quintetts setzte es zehn Niederlagen. Selbst Doublesieger Bayer Leverkusen hat jüngst beim Tabellenführer FC Liverpool viel Lehrgeld gezahlt, sollte gegen RB Salzburg (Dienstag 21 Uhr/DAZN) dringend punkten. Englands Quartett verbuchte als beste Nation 2,19 Zähler pro Spiel.
Das Leistungsgefälle ist nach wie vor immens – da schafft auch die Reform keine Abhilfe. Fünf Teams sind noch punktlos: Bei Sturm Graz, Young Boys Bern, Roter Stern Belgrad und Slovan Bratislava ist das nicht wirklich eine Überraschung, wohl aber bei RB Leipzig. Der aktuelle Bundesliga-Dritte steht bei Inter Mailand (Dienstag 21 Uhr/DAZN) unter Zugzwang. Immerhin: In der für die Vergabe der Europapokalplätze wichtigen Uefa-Fünf-Jahres-Wertung steht Deutschland bei bisher gesammelten 8,375 Punkten halbwegs ordentlich dar, weil Eintracht Frankfurt und TSG Hoffenheim in der Europa League und überraschend auch der 1. FC Heidenheim in der Conference League auf Achtelfinalkurs sind. Beim Außenseiter von der Schwäbischen Ostalb gastiert nun sogar der zweimalige Champions-League-Gewinner FC Chelsea (Donnerstag 18.45 Uhr/RTL+). Geschäftsführer Holger Sanwald schwärmte im ZDF-Sportstudio: „Das hat niemand für möglich gehalten, dass Chelsea für ein Pflichtspiel nach Heidenheim kommt.“ Das Liga-System macht es möglich. Soll Florentino Perez doch ruhig meckern.