Hamburg. Der bosnische Nationalstürmer Ermedin Demirovic vor dem Spiel gegen Deutschland über seinen schwierigen Weg, Barbarez und seine HSV-Liebe.

„Hallo, hier ist Demi“, sagt Ermedin Demirovic, als er sich zum Telefoninterview mit dieser Redaktion meldet. Der bosnische Nationalstürmer vom VfB Stuttgart wird bei seinem Bundesligaclub und in der Nationalmannschaft von allen so genannt. In Hamburg kennt man den 26-Jährigen dagegen nur unter „Medo“. In seiner Heimatstadt wurde Demirovic beim HSV groß. Doch das große Talent erkannten seine Ausbilder nicht. Über viele Umwege wechselte er in diesem Sommer für 20 Millionen Euro vom FC Augsburg nach Stuttgart und spielt dort jetzt Champions League. Am Sonnabend will er nun in der Nations League in Freiburg an alter Wirkungsstätte gegen Deutschland (20.45 Uhr/RTL) den ersten Sieg für seinen Nationaltrainer Sergej Barbarez erreichen. Zuvor sprach Demirovic über seine Jugend in Hamburg, seinen schwierigen Karriereweg und seinen aktuellen Traum.

Herr Demirovic, Sergej Barbarez hat uns vor vier Wochen im Interview erzählt, dass Sie als kleiner Junge ein Foto mit ihm gemacht haben und es ihm 20 Jahre später bei der Nationalmannschaft gezeigt haben.

Ermedin Demirovic: Ja, das Foto habe ich noch auf meinem Handy. Ich kann es Ihnen auch gerne zeigen. Als Bosnier war ich natürlich ein großer Fan von ihm. Wir haben viele Spiele von ihm gesehen und haben auch beim Training vor der Kabine auf ihn gewartet. In meiner Familie waren alle HSV-Fans. Jetzt ist Sergej Barbarez mein Trainer. Das ist eine krasse Story.

Ermedin Demirovic (l.) als kleiner Junge mit seinem HSV-Idol Sergej Barbarez.
Ermedin Demirovic (l.) als kleiner Junge mit seinem HSV-Idol Sergej Barbarez. © privat | privat

Wie ist es, ihn jetzt als Trainer zu haben?

Es ist etwas ganz Besonderes und eine große Zusatzmotivation für mich. Er war ein Weltklasse-Stürmer. Für ihn geht man durchs Feuer. Er hat auch wieder ein Feuer entfacht im ganzen Land mit seinem Trainerteam um Zlatan Bajramovic, der auch aus Hamburg kommt. Wenn du solche Legenden an der Seitenlinie siehst, bekommst du noch eine Extrapower auf dem Feld. Und jetzt spielen wir in Deutschland gegen Deutschland, was für viele von uns die zweite Heimat ist.

Sie haben als Kind schon mit sechs Jahren beim HSV gespielt. Wie kam das?

Ich wurde ein halbes Jahr vorher bei einem Hallenturnier mit dem SV Lurup entdeckt. Der Weg zum HSV-Trainingsgelände von Lurup nach Norderstedt war damals aber zu weit, daher haben meine Eltern ein Haus in Norderstedt gesucht und auch gefunden. Wir sind für den HSV umgezogen, obwohl wir vorher schon ganz nah am Volksparkstadion gewohnt haben. Die Verbindung zum HSV war immer da, daher war es auch immer ein Traum, irgendwann für den HSV zu spielen. Leider habe ich erst vor zwei Jahren mit Freiburg im Pokalhalbfinale das erste Mal im Volksparkstadion gespielt.

Sie waren auch Balljunge beim HSV, stimmt das?

Das stimmt. Ich wurde oft gefragt und habe es immer gerne gemacht, auch wenn die Gegner nicht so attraktiv waren. Irgendwann wurde ich belohnt und durfte mal gegen Borussia Dortmund Balljunge sein. 2014 war das. Der HSV hat 3:0 gewonnen und Hakan Calhanoglu hat dieses berühmte Freistoßtor aus 40 Metern geschossen.

Es gibt ein Foto von Ihnen als HSV-Spieler bei einem Hallenturnier 2014 mit Vitaly Janelt (Brentford FC), Mats Köhlert (SC Heerenveen) und Stephan Ambrosius (FC St. Gallen). Sie hatten einen richtig starken Jahrgang.

Wir waren DER Jahrgang überhaupt. Das war in der U16. Wir waren so gut, dass uns gefühlt keiner schlagen konnte. Wir haben nur den Nike-Cup im Finale gegen Dortmund verloren. Wenn man sieht, wer es alles zu den Profis geschafft hat, ist das schon stark.

Goldener Jahrgang: Ermedin Demirovic (4. v. r.) 2014 bei einem Hallenturnier mit der U16 des HSV. Auch mit dabei: Vitaly Janelt (r./FC Brentford), Mats Köhlert (2. v. l./SC Heerenveen) und Stephan Ambrosius (M., FC St. Gallen).
Goldener Jahrgang: Ermedin Demirovic (4. v. r.) 2014 bei einem Hallenturnier mit der U16 des HSV. Auch mit dabei: Vitaly Janelt (r./FC Brentford), Mats Köhlert (2. v. l./SC Heerenveen) und Stephan Ambrosius (M., FC St. Gallen). © Imago | Michael Schwarz

Nur der HSV hat nicht erkannt, wie gut Sie werden können.

Leider nicht. Ich bin HSV-Fan. Der HSV ist mein Verein. Ich leide mit, wenn ich sehe, dass sie in der Zweiten Liga spielen und es nicht schaffen, wieder hochzukommen.

Ihnen wurde damals gesagt, dass es nicht reicht für eine Profikarriere. Wer hat Ihr Potenzial verkannt?

Da will ich keine Namen nennen. Aber ich habe damals immer wieder gehört, dass nicht auf mich gebaut werde, dass ich auf der Kippe stehe, zu langsam sei, mir etwas Neues suchen oder aufhören solle, mich auf die Schule konzentrieren müsse. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Mein Trainer Daniel Petrowsky und der damalige Nachwuchskoordinator Sebastian Schmidt haben mir dann einen Platz in der U16 angeboten. Das war mein goldenes Jahr, ich habe mehr als 20 Tore geschossen. Doch selbst danach wurde mir nicht der Vertrag angeboten, den ich mir erhofft hatte. Da war klar, dass ich den Absprung finden musste.

Sie sind dann 2014 gemeinsam mit Vitaly Janelt zu RB Leipzig gewechselt. War das Zufall?

Ich wusste von Vitaly gar nichts, obwohl wir mit Patrick Williams denselben Berater hatten. Leipzig wurde über den Nike-Cup auf mich aufmerksam. So kam meine Entscheidung zustande. Viele beim HSV haben später gemerkt, dass sie einige Fehler gemacht haben. Nicht nur bei mir. Es gibt noch andere Beispiele. Der HSV hat es nicht geschafft, zu erkennen, welche Spieler es draufhaben. Das ist schade, weil der Verein es verdient hätte, solche Spieler zu haben.

Auch in Leipzig wurde Ihnen nach drei Jahren gesagt, dass es nicht reicht für die Profis.

Das konnte ich sogar verstehen. Ich hatte mit 18 noch nicht die Qualität, um bei den RB-Profis zu spielen. Es hätte keinen Sinn gehabt, in Leipzig zu bleiben. Manchmal musst du es über Umwege schaffen und schwere Zeiten überstehen.

Sie sind mit 18 von Leipzig nach Spanien zu Deportivo Alavés gewechselt. Ein ungewöhnlicher Schritt.

Auch das war ein Zufall. Ich habe mit der U19 von Bosnien in Serbien in einem Dorf gespielt vor 200 Zuschauern. Wir haben 5:0 gewonnen und ich habe zwei Tore gemacht. Alavés hat mich dort offenbar entdeckt und dann mehrfach angerufen. Ich dachte, das kann nicht stimmen, die wollen mich verarschen. Sie haben dann meinen Vater genervt, dann meinen Berater. Irgendwann rief mich Patrick an und sagte: Ich habe zwei Flugtickets nach Spanien. Wollen wir es uns anschauen? Ich habe es dann einfach riskiert. Selbst im Flugzeug konnte ich noch nicht glauben, dass ein spanischer Erstligist mich haben wollte.

Sie haben in Spanien eine wilde Zeit erlebt mit drei Leihen in drei Jahren. War der Wechsel ein Fehler?

Mit 18 hätte ich gesagt: Ja. Im Nachhinein war es genau richtig. Auf jeder Leihstation habe ich etwas gelernt. In Frankreich die Härte der Zweiten Liga, in Spanien das Fußballerische. Ich habe das alles in mein Spiel reingebracht und bin dankbar, dass ich diese Erfahrungen machen konnte.

2020 hat Sie dann Freiburg verpflichtet. Am Sonnabend kehren Sie mit der Nationalmannschaft dorthin zurück. Mit welchen Erinnerungen? Ihre letzte Aktion war der entscheidende Schuss an die Latte im Elfmeterschießen 2022 im Pokalfinale gegen Leipzig.

Ich denke eher daran, dass wir das Finale erreicht haben. Freiburg war der erste Club, der es mir ermöglicht hat, in der Bundesliga zu spielen. Christian Streich war ein Riesentrainer, der mich geprägt und auf eine höhere fußballerische Stufe gehoben hat. Auch wenn das zweite Jahr und das Ende nicht so gut liefen.

Sein letzter Schuss für den SC Freiburg: Ermedin Demirovic traf im DFB-Pokalfinale 2022 im Elfmeterschießen nur die Latte. Leipzigs Torwart Peter Gulacsi jubelt über den Titel.
Sein letzter Schuss für den SC Freiburg: Ermedin Demirovic traf im DFB-Pokalfinale 2022 im Elfmeterschießen nur die Latte. Leipzigs Torwart Peter Gulacsi jubelt über den Titel. © picture alliance | contrastphoto | O.Behrendt

Wer hat in all diesen schweren Zeiten an Sie geglaubt?

Meine Familie. Mein Vater, meine Mutter, mein Bruder. Und natürlich meine Frau, die ich schon in Leipzig kennengelernt habe und die mich immer unterstützt hat.

Sie haben mal erzählt, dass Sie nach einem Dreierpack nach Hause kamen und Ihr Vater sagte: Dein Spiel war sehr bescheiden.

Das war auch in meiner HSV-Zeit. Er war schon immer mein schärfster Kritiker und hat mich immer wieder auf den Boden geholt. Er war aber immer da und weiß auch, wann und wie er mich aufbauen muss, wenn ich es brauche.

Spricht Ihr Vater mit Ihnen bosnisch?

Ja, er ist in Bosnien geboren, aber in Hamburg aufgewachsen. Er kam zum Glück schon vor Beginn des Krieges nach Deutschland. Hier lebt jetzt meine ganze Familie. Wir sind alle Hamburger durch und durch.

Haben Sie auch noch Familie in Bosnien?

Wenig. Viele sind damals geflüchtet, als der Bosnienkrieg begann. Und die meisten, die geblieben sind, sind nicht mehr am Leben.

Zerreißt sich für Bosnien: Für die Nationalmannschaft gibt Demirovic sein letztes Hemd.
Zerreißt sich für Bosnien: Für die Nationalmannschaft gibt Demirovic sein letztes Hemd. © picture alliance | Markus Gilliar

Der erste Sieg für Bosnien unter Barbarez in Freiburg gegen Deutschland – das wäre eine schöne Kitsch-Geschichte, oder?

Ein sehr schöne. Wir wollen den Trainer und sein Team belohnen für den Aufwind, den sie erzeugt haben. Wir wollen es Deutschland so schwer machen wie möglich.

Sie sind im Sommer für 20 Millionen Euro von Augsburg zum VfB Stuttgart gewechselt, spielen jetzt in der Champions League gegen Real Madrid, Juventus Turin und Paris St.-Germain. Leben Sie gerade Ihren Traum?

Absolut. Dafür bin ich Profi geworden. Ich spiele gegen die größten Mannschaften für einen ganz besonderen Verein vor 60.000 Zuschauern. Es ist gerade die schönste Phase in meiner Karriere. Natürlich würde ich die schweren Phasen gerne streichen, aber die gehören dazu.

Im September spielte Demirovic (r.) in der Champions League gegen Real Madrid im berühmten Bernabéu gegen den Brasilianer Éder Militão .
Im September spielte Demirovic (r.) in der Champions League gegen Real Madrid im berühmten Bernabéu gegen den Brasilianer Éder Militão . © picture alliance | Pressefoto Rudel | Michael Treutne

Wie fühlt es sich an, wenn ein Club plötzlich 20 Millionen Euro für einen bezahlt?

Da musste ich schon schlucken. Natürlich ist das ein Rucksack, den man mit sich trägt. Viele Leute sprechen darüber. Wenn man nicht trifft, heißt es schnell, der 20-Millionen-Transfer trifft nicht mehr. Ich versuche es auszublenden, wie viel ich gekostet habe. Und ich weiß, wie hart ich dafür arbeiten musste.

Es war mal zu lesen, dass Sie irgendwann in den Bergen leben wollen. Können Sie sich auch vorstellen, nach Hamburg zurückzukommen?

Ich weiß gar nicht, wo das mit den Bergen herkommt. Ich mag die Berge, aber meine Heimat ist Hamburg. Mein Ziel ist es, dort nach der Karriere wieder zu leben.