Turin. Der zweimalige Champion Alexander Zverev startet am Montag in die ATP-Finals. Kann er die WM für die eigene Genugtuung nutzen?

Es ist der letzte große Showdown für die besten Tennisprofis der Welt. Alexander Zverev ist auch mittendrin bei der ATP-Weltmeisterschaft – nicht nur dabei, sondern Mitfavorit. Und eigentlich könnte er sich selbst und seinen vielen Kritikern nach dem fast beendeten Jahr 2024 sagen: Was wollt ihr denn überhaupt? Schließlich ist Zverev aktuell die Nummer zwei der Welt, er gilt als Mitfavorit beim Titelrennen in Turin; er hat bisher so viele Matches in dieser Saison gewonnen wie kein anderer, 66 an der Zahl. Und er kommt mit der Empfehlung eines Pokalcoups beim Masters-Turnier in Paris zum Treffen der stärksten Saisonkräfte.

Tennis-WM in Turin: Zverev trifft zum Auftakt auf Rublew

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Aber nichts von alledem kann darüber hinwegtäuschen, dass es für Zverev eine Spielserie der unerfüllten Hoffnungen, der reichlich vergebenen Chancen gewesen ist. Wie in all den Jahren zuvor war der Frust am größten, weil der inzwischen 27 Jahre alte Hamburger bei den alles entscheidenden Grand-Slam-Turnieren gleich mehrmals einen Centre-Court-Alptraum erlebte, massive Führungen in Topmatches verlor – auch und gerade deswegen, weil er nicht mit seinen Kräften haushielt und in Anfangsrunden zu viel Energie vergeudete. „Vom ersten Punkt an mein bestes Tennis zu spielen“, in jedem einzelnen Match, sei die Devise für das Saisonfinale in Italien, sagt Zverev und weiß selbst, „dass dies eine Einstellung ist, die ich auch in die Slams mitnehmen muss.“ Am Montagabend (Sky) trifft er in seinem Auftaktmatch auf den Russen Andrej Rublew. Die weiteren Gruppengegner im Turiner Pala Alpitour sind Carlos Alcaraz (Spanien) und Casper Ruud (Norwegen).

Aufschlag Alexander Zverev.
Aufschlag Alexander Zverev. © dpa | Matthieu Mirville

Worum es beim letzten Höhepunkt des an Höhepunkten reichen Tennisjahres geht, wurde Alexander Zverev schon eindrücklich vorgeführt: Als er sich im Training in Turin vorbereitete, strahlte auf den Anzeigetafeln in allen Ecken der silberne Siegerpokal. „Hoffentlich kann ich die Saison stark beenden“, sagt Zverev. „Es war das erste Jahr, in dem ich bei großen Events wieder konkurrenzfähig war. Ich bin zufrieden damit, wo ich bin.“

Tennis: Kronprinz Zverev ist von Alcaraz und Sinner überholt worden

Vor ein paar Jahren hätte man noch geglaubt, Zverev müsste in einer Saison wie dieser eine absolut zentrale Rolle spielen, vielleicht sogar die Hauptrolle. Roger Federer zurückgetreten, Rafael Nadal bestenfalls nur noch mit halber Kraft und selbst vor der Abdankung, Novak Djokovic sichtlich mit Schwächen und vielen Motivationsproblemen – ein Ereignisfluss, wie geschaffen für den vermeintlichen Kronprinzen der Großen Drei. 

Doch wie so oft in seiner Karriere erwies sich der deutsche Frontmann dann als widersprüchliche Erscheinung auf den Centre-Courts. Auf keinen Fall aber als Mann, der energisch das Kommando im Welttennis an sich gerissen hätte. Andere übernahmen diese Position im Verbund, der Südtiroler Jannik Sinner zuvorderst, dazu auch der zweimalige Grand-Slam-Sieger 2024 Carlos Alcaraz. Da konnte ihn auch nicht trösten, dass Zverev als Vielspieler erstmals die Barriere von 60 Saisonsiegen durchbrach.

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Die wichtigen, wesentlichen und die Karriere definierenden Erfolge erzielte der Schlaks nicht, bei drei seiner vier seiner Grand-Slam-Niederlagen vergab er mehr oder minder komfortable Vorsprünge – auch im French-Open-Finale gegen Alcaraz lag er 2:1 nach Sätzen vorne. Besonders bitter geriet Zverevs Rausschmiss in New York, gegen Local Hero Taylor Fritz. „Bodenlos“ sei sein Auftritt bei diesem Viertelfinal-Knockout gewesen, gab Zverev später selbst zu Protokoll, „ohne jedes Gefühl im Schläger, nullkommanull“. US-Medien verpassten ihm den Beinamen „Der Unvollendete“. 

Zverev-Ziel für 2025: Endlich ein Grand-Slam-Turnier gewinnen

Oft wirkte der aktuelle Weltranglisten-Dritte über die letzten Wochen und Monate kränklich, matt, beinahe malade. Im Herbst teilte er mit, an einer Lungenentzündung zu laborieren. Er nahm sich eine vergleichsweise kurze Pause, reiste dann doch zur üblichen Asien-Tour an. Für die Davis-Cup-Endphase sagte er nun schon ab, verwies auf die „Probleme mit der Lunge“ und die nötige Erholungszeit nach den ATP-Finals. In Australien, im Januar 2025, wolle er wieder „zu 100 Prozent fit sein.“ Erstaunlich genug, dass er jüngst beim Pariser ATP1000-Wettbewerb die versammelte Konkurrenz hinter sich ließ.

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Das Saisonfinale der stärksten Tennis-Asse war für Zverev bisher nicht die schlechteste Bühne. 2018 landete er seinen ersten Coup in der Weltklasse mit dem Titelgewinn in London, am Finalwochenende schlug er damals zunächst Roger Federer in der Vorschlussrunde, dann Novak Djokovic im Finale. 2021 wiederholte er den Erfolg mit Siegen auf der Zielgerade gegen die Nummer eins (Djokovic) und Nummer zwei (Daniil Medwedew). Im Vorjahr schied er unglücklich in der Vorrunde aus, trotz einer 2:1-Bilanz. „Ich bin voll motiviert. Ich will hier angreifen und um den Sieg spielen“, sagt Zverev. Mit möglichst noch einmal fünf weiteren Matches zum Titelerfolg.

Sein Training hat Zverev auch schon auf 2025 und das Ziel ausgerichtet, dann endlich eines der vier Grand-Slam-Turniere gewinnen zu können. Regeneration spielt dabei nach einigen gesundheitlichen Rückschlägen eine große Rolle. Um nach dem Urlaub mit den Topstars Jannik Sinner und Alcaraz Schritt Schritt halten zu können, müsse er „ein paar Dinge verbessern. Ich denke, wenn sie einen leichten Ball bekommen, wenn sie in einer Angriffsposition sind, ist der Punkt in 90 Prozent der Fälle vorbei. In diesem Aspekt kann ich mich verbessern.“ Wie weit er ist, werden die Tage in Turin zeigen.