München. Der dominante Ansatz von Vincent Kompany beim FC Bayern ist nicht frei von Risiken und Nebenwirkungen. Doch das System will niemand infrage stellen.
Es war die letzte Frage im schwarz getünchten Presseraum der Frankfurter Arena, als Vincent Kompany noch einmal Auskunft über seinen Gemütszustand geben sollte. Was der neue Trainer des FC Bayern wohl gedacht habe, als sich dieses Stadion in der vierten Minute der Nachspielzeit nach dem dritten Geniestreich eines Omar Marmoush in ein Tollhaus verwandelte. „Ruhig bleiben. Weitermachen. Das ist Fußball. Ich freue mich auf das nächste Spiel.“ Dabei grinste der Belgier breit, stand auf, nahm den Kollegen Dino Toppmöller nach dem spektakulären Spitzenspiel bei Eintracht Frankfurt (3:3) noch mal kräftig in den Arm, ehe sich die Münchener Entourage aus dem Stadtwald verabschiedete.
Unvermeidbar, dass rund um die Säbener Straße in der Länderspielpause eine vertiefende Systemdebatte geführt wird. Wie viel Risiko verträgt der deutsche Rekordmeister? Dass der aktuelle Ansatz einem konterstarken Gegner eine offene Flanke bietet, kann niemand mehr abstreiten. Nach dem ersten Nackenschlag in der Champions League bei Aston Villa (0:1) kassierten die Bayern nun gleich drei Gegentore nach Gegenstößen. Trotzdem war Sportvorstand Max Eberl hochzufrieden. „Wann hat Bayern mal so dominant in Frankfurt gespielt? Das ist der Zweite der Bundesliga gewesen und wir erdrücken sie. Das einzige, was uns richtig ankotzt, ist das Ergebnis.“ Man brauche „nicht viel negative Dinge finden - außer die drei Gegentore“.
Balance bei den Bayern stimmt (noch) nicht
Dabei wurden die Münchener allerdings durch Pässe in die Schnittstellen gegen die weit aufgerückte Hintermannschaft fast mit Ansage überrumpelt. Min-Jae Kim und Dayot Upamecano trugen sich zwar in die Torschützenliste ein, hetzten aber in den entscheidenden Momenten hinterher. Die Balance bei den Bayern stimmt (noch) nicht. Mit ihrem extremen Gegenpressing wird zwar eine erdrückende Dominanz erzeugt, aber die für ein Spitzenteam markante Stabilität fehlt. In Birmingham hatte Vorstandschef Jan-Christian Dressen in seiner Bankettrede herausgestellt, wie froh man über die Art sei, „wie wir wieder Fußball spielen, dass wir Freude am Spiel haben“, aber gerade dieser Verein gibt sich eigentlich nicht mit Schönheitspreisen zufrieden. Zählt auf einmal für die FCB-Bosse nicht mehr nur das, was in die Vitrine kommt?
Der überragende Marmoush, der auch noch für Partner Hugo Ekitiké auflegte, genoss zuletzt wohl in der Jugend auf einem staubigen Bolzplatz in Kairo so viele Freiheiten. Nun gewährten ihm die Bayern auf dem oft gescholten Frankfurter Rasen eine riesengroße Spielfläche. Es ist ein Spiel ohne Netz und doppelten Boden, dass der Spitzenreiter betreibt. Doch für eine Grundsatzdebatte sind weder Vorstand, Spieler und erst recht nicht der Trainer zu gewinnen.
Bayerns Kompany: Müssen das verbessern
Kompany ging auf entsprechende Nachfrage erst gar nicht auf mögliche Konstruktionsfehler ein, als der 38-Jährige bei seinen Erklärungen vom Deutschen ins Englische wechselte. „Letztendlich arbeiten wir an kleinen Details. Klar ist, dass wir das verbessern müssen.“ Man soll ruhig bleiben, „das war eine tolle Leistung der Mannschaft.“ Immerhin: Der Coach hat sein Team augenscheinlich hinter sich. Gerade seine Offensivkräfte fühlen sich in ihren Stärken wertgeschätzt. Der wieder zur Nationalmannschaft berufene Serge Gnabry insistierte: „Wir spielen guten Fußball. Das wird auf lange Sicht belohnt.“
Ähnlich argumentierte Wortführer Thomas Müller. „Es war ein Genuss, wie wir den Gegner eingeschnürt hatten. Frankfurt kann maximal vier Tore schießen. Wenn wir dieses Spiel genauso 15 Mal spielen würden, dann würden wir es 13 Mal gewinnen.“ Der 35-Jährige will auch nichts von einem Negativtrend wissen. „Das ist eine gute Spielweise, wenn du so einen starken Gegner auswärts so dominierst. Wir haben jetzt dreimal nicht gewonnen, aber in dieser Krise befinde ich mich sehr gerne“, sagte der Ex-Nationalspieler dem Streamingdienst DAZN.
Der gemeine Beobachter wird dem bayerischen Sprachrohr zustimmen. In Frankfurt waren die Menschen ohnehin völlig aus dem Häuschen. Das Publikum intonierte noch lange nach Schlusspfiff den Hochgesang: „Deutscher Meister wird nur die SGE.“ Im Mittelpunkt der Huldigungen stand Marmoush, dem auch Kompany großen Respekt zollte: „Was er gemacht hat, war nicht normal: Er hat große Qualitäten. Frankfurt hat eine junge Mannschaft mit viel Potenzial. Da wächst etwas heran.“ Die Eintracht darf sich nach der Länderspielpause beim Meister Bayer Leverkusen beweisen, während Bayern am 19. Oktober gegen Vizemeister VfB Stuttgart ja einfach so weitermachen will wie bisher.