Madrid/Barcelona. Real Madrids Kader lässt auf den ersten Blick kaum Wünsche offen und doch fehlt einer ganz besonders: Toni Kroos. Nachfolger noch nicht gefunden.

Vorige Woche kam es im Madrider Fußball zu einem aufsehenerregenden Comeback. Toni Kroos wurde wieder in der Szene gesichtet. Allerdings besuchte der Deutsche nur die „Toni Kroos Academy“ – seinen neuen Ausbildungsklub im wohlhabenden Vorort Boadilla del Monte. Vergebens blieben Hoffnungen, der Mittelfeldstratege könne selbst wieder die Schuhe schnüren.

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Zwanzig Kilometer weiter östlich im Zentrum der Hauptstadt gastiert heute der VfB Stuttgart bei einem Real Madrid, das Kroos schmerzlich vermisst. „Unersetzbar“ nannte Trainer Carlo Ancelotti seinen Spielmacher schon, als er noch hoffte, ihn zum Weitermachen überreden zu können. Doch in zwei lange abgewogenen Entscheidungen optierte Kroos schließlich für ein letztes Turnier mit der deutschen Nationalelf und gegen eine elfte Saison mit Real. Und wer in Ancelottis damaligen Worten eine düstere Prophezeiung erblicken mochte, darf sich soweit bestätigt fühlen.

Real Madrid ohne Kroos holprig, vier Punkte hinter Barcelona

Wie die Madrider Sportzeitung „As“ findet, „rumpelt“ Real bisher durch die Saison. Die Ausbeute von elf Punkten aus fünf Partien ist noch das Positivste, bedeutetet aber trotzdem schon vier Zähler Rückstand auf Barcelona. Zuletzt gelang am Samstag bei Real Sociedad in San Sebastián nur deshalb ein Sieg, weil der Gegner dreimal Latte und Pfosten traf, ehe er zwei unnötige Elfmeter verursachte. Der etablierte Klubstar Vinícius Júnior und der neue Klubstar Kylian Mbappé verwandelten je einen, und Ancelotti räumte ein: „Wir hatten wahrscheinlich nicht verdient, zu gewinnen.“

Carlo Ancelotti, Trainer von Real Madrid.
Carlo Ancelotti, Trainer von Real Madrid. © AFP | THOMAS COEX

So kleinlaut erlebt man den stolzen Titelverteidiger von Liga und Champions League selten. Dabei sah sich Real nach dem in allem Pomp zelebrierten Mbappé-Transfer für die neue Spielzeit erst recht als Meister aller Klassen. Doch noch plagen den Franzosen gewisse Anpassungsprobleme. Obwohl er im Schnitt pro Match 5,8 Torschüsse abgibt, weit mehr als jeder andere in La Liga, hat Mbappé erst einmal aus dem Spiel heraus getroffen. Wohl der typische Übereifer eines Neuen und damit durchaus erwartbar – wie auch die zahlreichen Blessuren bei Profis, die im Sommer kaum regenerierten und diese Saison wegen neuer und erweiterter Wettbewerbe bis zu 70 Matches allein im Klub bestreiten müssen.

Real Madrid: Wirbel um Vinícius Junior und Rodrygo

Andere Konflikte überraschen, zuvorderst einer um Vinícius und sein Standing im Verein. Der seit jeher streitbare Brasilianer ist manchen offenbar zu weit gegangen, als er kürzlich anregte, Spanien die Ausrichtung der WM 2030 zu entziehen, sollten die rassistischen Beleidigungen in den Stadien (zuvorderst gegen ihn) nicht abnehmen. Vinícius sei zu sehr mit Dingen außerhalb des Fußballs beschäftigt, wird nun lanciert. Gleichzeitig wird bestritten, dass die Ankunft des neuen Galaktischen wie von Skeptikern befürchtet das sensible Ego-Gleichgewicht im Team durcheinander gebracht haben könnte. Vinícius’ Verhältnis zu Mbappé sei einwandfrei. Der Landsmann und angestammte Sturmpartner Rodrygo beklagte sich dagegen zuletzt schon auffallend häufig, nicht mehr ausreichende Würdigung zu erfahren.

Toni Kroos, hier bei der Icon League.
Toni Kroos, hier bei der Icon League. © Max Ellerbrake / firo Sportphoto | Max Ellerbrake

Doch fußballerisch steht über allem die Lücke, die Kroos hinterlassen hat. Ohne ihn fehlen Sinn und Struktur – das Gespür für Pausen und Beschleunigungen, für die Wechsel zwischen direktem und elaboriertem Angriffsspiel. Sowie die Souveränität am Ball, diese Erfordernisse und Ideen auch präzise umzusetzen. Nicht zufällig folgten in San Sebastián die ersten beiden Lattentreffer der Basken jeweils Fehlern in Reals Spieleröffnung – ein Ressort, für das Kroos federführend zuständig war.

Real Madrid: Noch ist kein Kroos-Nachfolger gefunden

Ist der Deutsche also der bitterste Verlust in einem Verein, der in den letzten Jahren schon Abgänge wie von Cristiano Ronaldo, Sergio Ramos oder Karim Benzema zu kompensieren hatte? So wurde es Ancelotti gefragt. „Man kann ihn nicht ersetzen“, wiederholte der Italiener da: „Wir müssen nach vorn schauen.“ Mit dem vielseitigen Jude Bellingham, dem jungen Arda Güler, dem Veteranen Luka Modric und dem Reservisten Dani Ceballos hat er bisher allerlei Alternativen als Ballverteiler ausprobiert. Doch wirklich überzeugt hat im Mittelfeld bislang nur der dynamische Federico Valverde, ein anderer Spielertyp als Kroos, kein Organisator. Kroos nimmt, Mbappé gibt – was überwiegt? Die Zeit wird es zeigen. In Madrid herrscht leichte Nervosität. Aber noch keine Panik. Die Saison ist lang, die Champions League neuerdings noch länger, und am Ende hat man es ja immer irgendwie hinbekommen.

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