Herzogenaurach. Die DFB-Auswahl will im einst ungeliebten Wettbewerb ein neues Selbstverständis entwickeln, das 2026 zum WM-Titel führen soll.
Ziemlich genau zwei Jahre ist es her, dass der deutsche Fußball eine herbe Enttäuschung erlebte. 0:1 verlor die Nationalmannschaft ihr Nations-League-Heimspiel in Leipzig gegen Ungarn. Es war die erste Niederlage von Hansi Flick als Bundestrainer und zugleich das vorzeitige Ende der Halbfinal-Chance. Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnte: Zwischen diesem Spiel im September 2022 und September 2023 sollte die DFB-Auswahl nur drei von zwölf Länderspielen gewinnen (Oman, Costa Rica, Peru). Sechs Spiele gingen verloren. Das 1:4 gegen Japan im September 2023 war der endgültige Tiefpunkt und das Ende der Ära Flick.
Im September 2024 sieht die Welt rund um die Nationalmannschaft wieder anders aus. Zwar sind es noch keine rosaroten Wolken, auf denen Bundestrainer Julian Nagelsmann zwei Monate nach dem Viertelfinal-Aus bei der Heim-EM schwebt. Doch beim Deutschen Fußball-Bund ist wieder von einem „Pflänzchen mit viel Potenzial“ die Rede, wie es Nagelsmann zu Beginn dieser Woche in Herzogenaurach stellvertretend formulierte.
Die Stimmung in der Nationalmannschaft hat sich gedreht
Was sich in jedem Fall bereits feststellen lässt: Zwei Jahre nach dem Rückschlag gegen Ungarn hat sich die Stimmung vor der Neuauflage am Samstag in Düsseldorf (20.45 Uhr/ZDF) gedreht. Nur noch drei Nationalspieler aus der Startelf von 2022 sind diesmal wieder dabei. Nicht nur die Fans, auch die Spieler verspüren plötzlich eine neue Lust auf die Nations League. Der ungeliebte Wettbewerb, in dem Deutschland seit 2018 dreimal den Gruppensieg verpasste (zweimal Dritter), soll für die neu formierte Nationalmannschaft endlich mal wieder mit einem Titel enden. Mindestens Platz zwei und damit der Einzug ins Viertelfinale – der Modus wurde von der Uefa einmal mehr verändert – ist in einer Gruppe mit Ungarn, Niederlande und Bosnien Pflicht.
„Meine Generation hat nichts mehr zu verschenken“, sagte der neue Kapitän Joshua Kimmich vor dem Start der Nations League. Kimmich steht symbolisch für eine hochveranlagte Generation, die in den vergangenen acht Jahren als größten Erfolg den Einzug in das Viertelfinale der Heim-EM 2024 feierte. Der eine oder andere Spieler hat 2017 zwar noch den letzten Confed-Cup gewonnen, unter anderem Kimmich und die neue Nummer eins Marc-André ter Stegen, doch nach vier großen Turnieren ohne Titel soll nun also die Nations League herhalten, um mal wieder etwas zu gewinnen.
Kein aktueller Nationalspieler hat einen großen Titel gewonnen
„Jeder Fußballer hält gerne einen Pokal nach oben. Die Gier muss da sein, diese Liga gewinnen zu wollen. Das ist ganz, ganz wichtig“, sagte Mittelstürmer Niclas Füllkrug (31), der in der Nationalmannschaft ebenfalls noch titellos ist. Gerade haben Manuel Neuer, Thomas Müller und Toni Kroos, die letzten Weltmeister von 2014, ihre DFB-Karriere beendet.
Dass die einst als lästige Pflicht angesehen Nations League nun in den Fokus der Titeljäger rückt, hat auch viel mit Spanien zu tun. 2020 erlebte Joachim Löw in diesem Wettbewerb gegen den späteren Finalteilnehmer beim 0:6 in Sevilla seine schlimmste Niederlage als Bundestrainer. Weniger schlimm, dafür aber deutlich schmerzhafter war die Viertelfinal-Niederlage gegen Spanien bei der EM in diesem Sommer. Die Iberer waren zwar nicht die bessere oder gefährlichere Mannschaft, wie Nagelsmann auch zwei Monate später meint. Womöglich habe sie aber am Ende der Verlängerung gewonnen, weil sie über das größere Selbstverständnis verfügte. Ein Selbstverständnis des Siegens, das Spanien als Gewinner der Nations League 2022/23 zuvor über zwei Jahre entwickelt hatte.
Kimmich will die Nations League gewinnen
Den Deutschen ist dieses Gefühl in den vergangenen Jahren abhandengekommen. Die Nations League war insbesondere für Flick vor allem eine Experimentierwiese. Der sportliche Erfolg war eher zweitrangig. „Man redet man sich so einen Wettbewerb unwichtig, wenn man nicht erfolgreich ist. Die Spanier fanden es wahrscheinlich ganz cool, die Nations League zu gewinnen“, sagte Kimmich und leitete mit diesen Worten eine verbale Kehrtwende ein.
Vor allem will die Mannschaft das Gefühl in Deutschland, das während der EM entstanden ist, fortführen. Die Einheit, die zwischen den Menschen und der Mannschaft entstanden ist, wollen die Spieler und Verantwortlichen aufrechterhalten. Und das funktioniert vor allem über Siege.
Prämien in der Nations League noch einmal gestiegen
Gleichzeitig bietet die Nations League auch finanziell einen Anreiz. 7,5 Millionen Euro konnte eine Nation durch den Titelgewinn verdienen. Die Prämien sind nach Informationen dieser Zeitung jetzt auf 10,5 Millionen gestiegen, was für den Deutschen Fußball-Bund kein unbedeutender Nebeneffekt ist. Doch auch den Verantwortlichen um Präsident Bernd Neuendorf, Geschäftsführer Andreas Rettig und Sportdirektor Rudi Völler geht es nicht primär um die monetären Möglichkeiten in der Nations League. Wichtiger sei es, die Aufbruchstimmung im deutschen Fußball, die seit der EM durch steigende Mitgliederzahlen zu spüren ist, aufrecht zu erhalten.
Nagelsmann hat bereits deutlich gemacht, dass es für die Nationalmannschaft auch in der Nations Legaue vor allem um eines geht: Siege. „Spiele sind dafür da, sie zu gewinnen“, sagte Nagelsmann, der mit sieben Siegen aus 13 Länderspielen bereits auf die richtige Siegerstraße abgebogen ist. Das Gewinnen wollen gilt für die Nations League genauso wie für die WM-Qualifikation, die im Dezember ausgelost wird und im März beginnt. „Die Nations League hat keinen Rieseneffekt auf die WM-Quali. Aber sie hat einen Effekt auf unsere Entwicklung“, sagte Nagelsmann.
Das neue Selbstverständnis des Siegens soll am Samstag beginnen. Und spätestes 2026 vollständig ausgereift sein, wenn Deutschland womöglich wieder gegen Spanien spielt. Vielleicht ja sogar um den WM-Titel.