New York. Eigentlich schien der Weg ins Finale vorgezeichnet. Doch bei den US Open scheiterte der Tennis-Star an sich selbst. Die Zeit tickt.

Ganz am Ende seines letzten US Open-Tages kam Alexander Zverev noch selbst auf das Thema, über das sonst nur alle anderen sprechen. Auf das ewige Ringen um einen Grand-Slam-Titel, die vielen Spielserien der verpaßten Chancen, das wiederholte Scheitern im Pokalrennen. „Ich bin 27 Jahre alt, ich werde 28 nächstes Jahr“, sagte der Hamburger nach seiner 6:7 (2:7), 6:3, 4:6, 6:7 (3:7)-Viertelfinalniederlage gegen den Amerikaner Taylor Fritz geknickt. Und deutete damit für sich selbst das ungute Gefühl an, dass nicht nur die große Meute hungriger Centre-Court-Rivalen gegen ihn anspielt, sondern inzwischen unerbittlich auch die Zeit. 

Zehn Jahre ist er nun schon im großen Tourzirkus unterwegs, erst als Greenhorn, dann als hoffnungsvoller Newcomer, schließlich als etablierter Weltklassespieler, der viele wertvolle Titel gewann – und auch bei den Olympischen Spielen von Tokio stolz die Goldmedaille eroberte. Und dennoch blieb immer ein Traum, eine Sehnsucht, ein heißer Wunsch unerfüllt – der Coup bei einem Grand-Slam-Turnier, bei den kostbaren Branchentreffen, die Wert und historischen Status eines Profis definieren. „Alles andere als ein Titel interessiert mich nicht“, sagte Zverev, als er nach der Abfuhr durch Fritz an gute Grand-Slam-Auftritte in diesem Jahr erinnert wurde.

An Selbstkritik war an diesem 3. September kein Mangel bei dem deutschen Frontmann, der im Augenblick verlockender Titelperspektiven nicht zupackend, entschlossen, mutig auftrat. Sondern verkrampft, blockiert, in einer Verteidigungshaltung von den allerersten Spielminuten an. „Bodenlos“ sei sein Auftritt gewesen, „ohne jedes Gefühl im Schläger, nullkommanull“. Wie „gebremst“ sei ihm Zverev erschienen, kommentierte TV-Experte Boris Becker, „dabei war Sascha in seiner Turnierhälfte der klare Favorit auf den Finaleinzug“. Nicht nur Tenniskanzler Becker registrierte kopfschüttelnd, wie sich der Weltranglisten-Vierte stundenlang weit hinter der Grundlinie abrackerte und eher monoton sein Pensum abspulte.

Alexander Zverev: Doch kein Kronprinz

Bei den drei vorherigen Grand Slams in dieser Saison war Zverev stets nach mehr oder weniger starken Führungen noch ausgeschieden, doch gegen Fritz wirkte der Schlaks nie wie ein Siegaspirant. Fritz hat im Normalfall nicht das Potenzial, um den athletischeren, schlaghärteren, begabteren Deutschen zu schlagen – doch mit stärkerer Mentalität und intelligenter Taktik gelangen ihm nun sogar zwei Triumphe gegen Zverev, erst in Wimbledon im Frühsommer, jetzt auf Heimterrain in New York. „Sehr schmerzhaft“ sei das, bekannte Zverevs Bruder und Manager Mischa, „ich glaube, das nagt schon ein bisschen an ihm jetzt“.

Fakt ist: Im Jahr eines nicht nur herbeispekulierten, sondern tatsächlichen Umbruchs im Herrentennis spielt Zverev nicht die Rolle, die ihm sehr viele Experten zugedacht hatten – des Kronprinzen der Großen Drei, Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djokovic, die 2024 keinen Grand-Slam-Pokal mehr einstreichen konnten. Andere holten sich im Zuge der aufgelösten Dominanz der Altvorderen die wichtigen Trophäen, der Südtiroler Jannik Sinner in Australien, der Spanier Carlos Alcaraz bei den French Open und in Wimbledon. 

Alexander Zverev: „Ich habe keine Antworten, was passiert ist“

In New York häufte Zverev das größte Frustpotenzial an, da sowohl Djokovic wie Alcaraz bereits in der ersten Turnierwoche sensationell ausschieden und er selbst den Finaleinzug als Mindestziel klar vor Augen hatte. Zverev aber blieb sich zum Abschluß der Major-Spielserie 2024 auch im Scheitern treu, als Akteur, der bei den Big Points zu zaghaft und zaudernd wirkte. Beide klar verlorenen Tiebreaks gegen Fritz schloß Zverev mit der Prüfungsnote „Ungenügend“ ab, dabei ratlos beäugt von seiner Entourage in der Riesenschüssel des Arthur Ashe-Palasts. „Ich habe keine Antworten, was passiert ist“, sagte Zverev.

Ratlos dürfte Zverev erst einmal den Ärger über all die ausgelassenen Möglichkeiten mit sich herumschleppen, auf den weiteren Etappen der unbefriedigenden Saison 2024. Es warten noch die ungeliebten Ausflüge nach Asien, Masters-Turniere in Schanghai und Paris, das ATP-Finale in Turin. Nichts aber wird noch etwas daran ändern können, dass es wieder ein Jahr der Wenns und Abers und Eigentlichs für Zverev ist, des Spielers, der mit dem Beinamen „Der Unvollendete“ durch die Tenniswelt zieht.