New York. Nach ihrem starken Auftritt bei Wimbledon 2022 durchlebte Jule Niemeier eine Dauerkrise. Bei den US Open ist das Tennis-Ass nun wieder in Form.

Als Jule Niemeier vor zwei Jahren das Tennis-Heiligtum Wimbledon als stolze Viertelfinalistin verließ, hätte man kaum gedacht, dass ein Drittrundeneinzug bei den US Open 2024 als mittelschwere Überraschung gelten würde. Niemeier galt damals als das „nächste große Ding“ im deutschen Tennis, als Talent, dass umstandslos die Lücke hinter der Goldenen Generation mit Angelique Kerber, Andrea Petkovic und Co. schließen könnte.

Doch dann kam alles ganz anders: Das zweite richtige Jahr auf der großen Profitour war gefühlt eine Dauerkrise, in der Weltrangliste vollzog sich ein schleichender, lange unaufhaltsamer Absturz bis hinunter auf Position 175. „Tennis“, sagt die 25-jährige Niemeier, „hatte für mich den Spaß verloren. Aber ich habe auch nicht verrückt gespielt und alles in Frage gestellt. Ich weiß, was ich mir zutrauen kann.“

Niemeier trifft nun auf Zheng

In der Achterbahnfahrt ihrer noch jungen Karriere geht es nun aber wieder nach oben. Nicht mit Mordssprüngen, sondern beharrlich und stetig. „Das Selbstvertrauen, die Zuversicht sind da“, sagt Niemeier, die sich am Freitag in der dritten Runde der Offenen Amerikanischen Meisterschaften gegen Olympiasiegerin Qinwen Zheng (China) bewähren muss, die aktuelle Nummer 7 der Hackordnung.

Keine einfache, aber auch keine unlösbare Aufgabe für die Dortmunderin, die für Hoffnungsschimmer in der Frauentennis-Tristesse hierzulande sorgt und nach dem letzten Major-Wettbewerb des Jahres zur deutschen Nummer eins aufsteigen wird, vor den Altvorderen wie Tatjana Maria (37) oder Laura Siegemund (36). Die Bestenwertung, ob national oder global, interessiert die Westfälin allerdings nur am Rande: „Ich will konstant gut spielen, dann kommt alles von alleine. Und da fühle ich mich auf einem guten Weg.“

Auch bei den US Open erfolgreich

Niemeiers turbulente Geschichte ist alles andere als ungewöhnlich für Newcomerinnen in diesem schnelllebigen, rasanten Hochleistungsgeschäft. „Wie in einem Rausch“ habe sie sich nach den starken Auftritten in Wimbledon und auch bei den US Open 2022 (Achtelfinale) gefühlt, sagt Niemeier, „man schwebt wie auf einer Wolke, alles ist neu und macht Freude.“

Gilt es dann, die Spitzenauftritte zu bestätigen und zugleich eigene wie öffentliche Erwartungen zu bestätigen, wird es schwierig. „Du weißt, dass du einfach viele Spiele verlierst auf der Tour. Und doch stellst du einiges auf den Prüfstand, kommst ins Grübeln“, sagt Niemeier, die sich dennoch nie „total runterziehen“ ließ: „Ich fühlte mich immer stark genug, um bestimmte Dinge an mir abprallen zu lassen.“ Auch diverse Hassbotschaften und Hetze in den oft Asozialen Medien, die gern mal ihren optimalen Fitnesszustand anzweifelten.

Niemeier, die schon auf Ranglistenplatz 61 stand, hatte vor drei Jahren ihren Trainingsschwerpunkt nach Regensburg verlagert, dort, wo das renommierte Betreuungsteam um Michael Geserer und Florian Zitzelsberger (Physiotherapeut) wirkt. Geserer arbeitete in der Vergangenheit höchst produktiv mit Spielerinnen wie Julia Görges, Jennifer Brady oder Petra Martic zusammen, für Niemeier agierte er anfangs nur als Geschäftsbesorger neben dem Court.

Parallelen zu Borussia Dortmund

Als Niemeier sich nach dem sportlichen Abschwung von Christopher Kas trennte, sprang Geserer als Coach ein. Zitzelsberger, der auch für die mehrfache Grand-Slam-Siegerin Naomi Osaka tätig ist, kümmert sich um die körperliche Fitness. „Ich spüre, dass ich da sehr, sehr gut aufgestellt bin“, sagt Niemeier, die glühende BVB-Anhängerin, die im übrigen augenzwinkernd Parallelen zwischen der eigenen Leistungskurve und der ihres Lieblingsklubs entdeckte: „Die Berg-und-Talfahrt bei mir und der Borussia war irgendwie abgestimmt.“

Die langjährige Mutter der Frauentennis-Kompanie, die Leverkusenerin Barbara Rittner, sieht bei Niemeier die Grundlagen für einen Sprung unter die Top 50 gelegt: „Sie hat sich wieder aufgerappelt und eine richtig gute Reaktion gezeigt“, so die Ex-Bundestrainerin, „sie hat so viele Möglichkeiten in ihrem Spiel, da muss sie sich eigentlich vor niemandem verstecken.“

Auch der jetzige DTB-Coach Rainer Schüttler lobt Niemeier, „wie sie sich nach einem schwierigen Jahr wieder hochgekämpft hat“: „Sie hat das Potenzial, um viel weiter vorne mitzumischen.“