Essen. In der Nationalmannschaft verschiebt sich bis zur WM 2026 die Hierarchie. Ein neuer Kapitän muss gefunden werden. Die Kandidaten.
Seine Pflichten hat Ilkay Gündogan bis zum Ende erfüllt. Der Kapitän geht als Letzter von Bord, so war es auch bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Am 6. Juli verließen die Spieler ihr EM-Quartier in Herzogenaurach, am Abend zuvor erlebten sie in Stuttgart das bittere Turnier-Aus gegen Spanien. Gündogan blieb, bis alle Kollegen abgereist waren. „Bei der Verabschiedung hat er gesagt: Bis bald!“, erzählte Julian Nagelsmann später auf einer Pressekonferenz, auf der ein tiefergriffender Bundestrainer gegen die Tränen ankämpfen musste.
In zwei Wochen trifft sich die DFB-Elf erneut auf dem Gelände von Adidas, um sich auf den Beginn der Nations League vorzubereiten – allerdings ohne Gündogan. Der 33-Jährige hatte am Montag seinen Rücktritt aus dem wichtigsten Team des Landes verkündet, weil er eine „gewisse Müdigkeit in meinem Körper, aber auch in meinem Kopf“ spürt. 13 Jahre lang spielte Gündogan in 82 Partien für Deutschland. Eine Zeit, in der Gündogan lange um Versöhnung ringen musste. Anders als im Klub, vor allem bei Manchester City, war der gebürtige Gelsenkirchener nie der prägende Kopf der Mannschaft. Gündogan wurde hin- und her verschoben auf dem Spielfeld, auf dem er im Verein so viele geniale Momente hatte. Erst die Europameisterschaft brachte Künstler und Publikum eng zusammen.
DFB-Team: Sportlich ist Ilkay Gündogan zu ersetzen
Und dieses letzte Bild von Gündogan im weißen, respektive pink-lilanen Trikot mit der schwarz-rot-goldenen Armbinde wird bleiben. Darin repräsentierte der Sohn türkischer Einwanderer ein vielfältiges Land, ein buntes Team. Seine Auftritte abseits des Platzes waren eloquent, auf Deutsch wie auf Englisch. Das Kapitänsamt interpretierte er anders als viele seiner Vorgänger. Nicht raubeinig, nicht laut, sondern nahbar – und fußballerisch ja ohnehin erhaben. „Ich habe mich extrem gefreut, dass er das erste Mal nicht nur Gegenwind gekriegt hat als Nationalspieler. Er ist ein stiller Leader, der eine große Erfahrung hat. Er hat ein gutes Gespür für eine Gruppe“, sagte Nagelsmann nach der EM.
Dies wird es auch so knifflig machen, Gündogan zu ersetzen. Sportlich dürfte das zu schaffen sein. Jamal Musiala, 21, trägt ja passenderweise schon die Rückennummer 10. Der gleichaltrige Florian Wirtz ist nicht weniger talentiert. Borussia Dortmunds Julian Brandt, 28, dessen Fehlen bei der EM zum Härtefall deklariert worden ist, dürfte eine neue Chance erhalten. Doch bis zur Weltmeisterschaft in den USA, Kanada und Mexiko wird Nagelsmann vor allem eine neue Hierarchie finden müssen. Gündogan zwingt den vier Jahre älteren Nagelsmann nun, den Umbruch konsequenter als erhofft zu vollziehen.
DFB-Team: Mehrere Kandidaten für das Kapitänsamt
Toni Kroos, 34, hat seine Karriere beendet, Regie wird nun der neue Dortmunder Pascal Groß führen, der aber auch schon 33 ist. Thomas Müller, 34, war bei der EM nur Ergänzungsspieler. Dass er entschieden hat, nicht mehr für die DFB-Elf auflaufen zu wollen, wird besonders die Kabine verändern. Manuel Neuer, 38, hat noch offiziell noch keine Zukunftsentscheidung getroffen, laut Bild möchte er aber auch bei der WM 2026 noch Bälle halten, dann mit 40 Jahren. In Person von Marc-André ter Stegen, 32, stünde ein Weltklasse-Torwart bereit, der den Münchener jederzeit beerben kann.
Beide Torhüter sind wie Abwehrchef Antonio Rüdiger, 31, Kandidaten, um Führungsrollen einzunehmen, gegebenenfalls sogar die Binde zu tragen. Erster Anwärter aber ist Joshua Kimmich, der sie während Neuers langer Verletzungspause schon trug und Gündogans Stellvertreter war. Ohne Binde, hinten rechts, statt im Mittelfeld und damit aus dem Fokus gerückt war der 29-Jährige allerdings von höherer Bedeutung für das DFB-Team. Aus dem Kreis des hochtalentierten deutschen 1995/96er-Jahrgangs käme sonst nur noch Innenverteidiger Jonathan Tah (28) in Frage. Der Generation um Borussia Dortmunds Nico Schlotterbeck (24) gehört die Zukunft nach dem Turnier in Nordamerika.
DFB-Team: Nagelsmann hält Gündogan die Tür offen
Am 7. September trifft die deutsche Elf in der Nations League in Düsseldorf auf Ungarn, es geht im kommenden halben Jahr darum, den Kern zu finden, mit dem Nagelsmann die konkrete Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft angehen möchte. Ganz abgeschrieben hat der Bundestrainer noch nicht. „Die Tür bei der Nationalmannschaft ist nie ganz geschlossen“, sagte er. Auch Kroos hatte Nagelsmann schließlich von einer Rückkehr überzeugen können. Bei Gündogan, der die hohe Belastung beklagte, dürfte dies ungleich schwerer werden. Zunächst muss Gündogan seine Vereinszukunft klären, der FC Barcelona soll laut Medienberichten nicht mehr mit ihm planen.