München. Die Zeichen stehen auf Abschied. Rekordmeister FC Bayern will Leon Goretzka loswerden. Der will nicht gehen und trainiert verbissen.
Beim FC Bayern läuft mit dem neuen Trainer Vincent Kompany einiges anders als unter seinem Vorgänger Thomas Tuchel. Davon konnte sich das Publikum am Freitag wieder überzeugen, als die Münchner beim Zweitliga-Aufsteiger SSV Ulm 1846 durch ein 4:0 souverän in die zweite Runde des DFB-Pokals einzogen. Doch nicht allein die höhere Intensität im Spiel und das forcierte Pressing fallen als Neuerungen auf, sondern auch die veränderte Kommunikation. Geblieben ist eine Parallele zum vergangenen Sommer: Wie schon 2023 wird Leon Goretzka auch in diesem August ans Herz gelegt, sich einen neuen Verein zu suchen. Diesmal aber nicht nur in erster Linie vom Trainer, sondern auch von Sportvorstand Max Eberl und Sportdirektor Christoph Freund.
Bayern-Vorstand Eberl: „Wir haben einfach einen sehr, sehr guten Kader“
„Es ist so, dass wir mit Spielern ganz offen sprechen. Wir haben einfach einen sehr, sehr guten Kader. Wir haben im Mittelfeld nochmal nachgelegt, Joshua Kimmich kommt ins Mittelfeld zurück“, sagte Eberl zum Thema Goretzka, „die Spieler wissen, wenn ihre Situation schwierig sein kann. Das haben wir klar kommuniziert.“ Kompany äußerte sich zwar allgemein, aber ebenso unmissverständlich. „Ich glaube, dass wir als Verein immer sehr, sehr deutlich sein wollen mit den Spielern“, sagte der 38 Jahre alte Belgier. Man führe diese Gespräche intern, „das heißt, wir machen das in unserer Familie. Kann ich das so sagen?“
Leon Goretzka: Einzeltraining beim FC Bayern
Auch wenn Kompany, der seine Deutsch-Kenntnisse aus seiner Zeit als Innenverteidiger des Hamburger SV (2006 bis 2008) schnell wieder aufgefrischt hat, diese Frage aus sprachlichen Gründen stellte, hatte sie auch eine inhaltliche Berechtigung. Denn ein bisschen verstoßen dürfte sich der langjährige Bayern-Profi Goretzka ja schon vorkommen. Nachdem er nicht für den Kader für Ulm nominiert worden war, trainierte er für sich an der Säbener Straße. Auch am Wochenende wurde er dort gesichtet. Sein Leiden verstärken dürfte die quälende Frage, warum eigentlich überall dort, wo er jahrelang zum Stamm zählte, nun kein Platz mehr sein soll für ihn, erst in der Nationalmannschaft und jetzt auch beim FC Bayern. Am Dienstagvormittag, wenn die Münchner zu ihrem kurzfristig vereinbarten letzten Test am Campus gegen den Grasshopper Club Zürich antreten, wird Goretzka wohl erneut nicht im Kader stehen. Zu groß ist die Konkurrenz mit Kimmich, Zugang João Palhinha, Aleksandar Pavlovic, Konrad Laimer und Raphaël Guerreiro.
Goretzka will eigentlich gar nicht wechseln
Der frühere Bochumer und Schalker Goretzka, der 2018 ablösefrei von den Königsblauen zum FC Bayern übergelaufen war, erlebt gerade die wohl härteste Zeit seiner Profi-Karriere. Dabei liegt hinter ihm trotz der Debatten des Vorsommers je nach Erhebung seine beste Bundesligasaison beim FC Bayern oder zumindest eine seiner besten, jedenfalls gemessen an Toren (sechs) und Vorlagen (je nach Zählweise sieben bis neun). Ohnehin will Goretzka eigentlich gar nicht wechseln will, sein Vertrag läuft noch zwei Jahre. Zusetzen dürfte ihm die aktuelle Situation auch deshalb, weil er sich stets vorbildlich verhalten hat und sein Horizont weiter reicht als nur bis zum nächsten Strafraum. Hinterfragt hat Goretzka das oberflächliche Fußball-Business schon immer. Womöglich tut er das derzeit besonders. Schon nach seiner Nicht-Berücksichtigung von Bundestrainer Julian Nagelsmann für die EM hatte sich Goretzka in die Stille Norwegens zurückgezogen und fast schon demonstrativ Beiträge in den sozialen Netzwerken gepostet, in denen es nicht um Fußball geht.
Lob von Thomas Müller für Leon Goretzka
Die Kollegen fühlen mit Goretzka, der 57 Mal für die deutsche Nationalelf auflief (14 Tore) und 221 Mal für den FC Bayern (40 Tore). „Er hat keine einfache Situation gerade, aber er trainiert trotzdem wirklich exzellent“, sagte Offensivspieler Thomas Müller, der in Ulm mit zwei Toren und einer Vorlage herausgeragt hatte. Der 34-Jährige nutzte die professionelle Phrase, wonach es in einem Kader „immer wieder Härtefälle“ gebe, man werde sehen, was passiert. Aber Müller sagte auch: „Leon ist einer von uns. Er zeigt uns als Mitspieler, wie wichtig wir ihm sind, und das ist gegenseitig genauso da.“
Auch Kimmich war von Tuchel im Sommer 2023 deutlich angezählt und später nach hinten rechts versetzt worden. Unter Kompany ist er ins Mittelfeld zurückgekehrt, also dorthin, wo er jahrelang ein Tandem auf der Sechs und Acht mit Goretzka gebildet hatte, beim FC Bayern und in der Nationalelf. Aus Spielersicht könne er nur sagen, „dass ich es sehr gerne mag, mit Leon auf dem Platz zu stehen“, sagte Kimmich und betonte, „dass wir sehr gute Freunde sind. Dementsprechend tut’s mir für ihn ein bisschen leid.“ Das sehen auch andere im Kader so. Doch in München hat Goretzka keine Perspektive mehr. Angeblich zeigen der SSC Neapel und Atlético Madrid Interesse. Bis zum 30. August muss vor allem Goretzka entscheiden, wie es weitergeht.