London. Barbora Krejcikova erinnert nach ihrem Coup im Damenfinale von Wimbledon an Jana Novotna: „Sie war immer da, wenn ich sie brauchte.“

Die Kameras sind inzwischen auch in Wimbledon immer dabei, unerbittlich selbst in den exklusiven Kulissen des altehrwürdigen All England Lawn Tennis and Croquet Club. Und so wurden am Samstagnachmittag Millionen Tennisfans Zeugen einer protokollarischen Plauderei zwischen Wimbledon-Chefin Debbie Jevans und der frisch gekürten Major-Turnier-Siegerin Barbora Krejcikova vor der hölzernen Siegerinnentafel im Foyer. Plötzlich zeigte Jevans auf einen Namen, auf die Gewinnerin des Jahres 1998: Jana Novotna.  

Wimbledon-Sieg rührt Barbora Krejcikova zu Tränen

Wimbledon-Siegerin Barbora Krejcikova (links) und ihre Finalgegnerin Jasmine Paolini.
Wimbledon-Siegerin Barbora Krejcikova (links) und ihre Finalgegnerin Jasmine Paolini. © Getty Images | Julian Finney

Die 64-Jährige löste damit ein emotionales Gewitter bei Krejcikova aus. Ein paar Minuten lang vergoss die 28 Jahre alte Tschechin Tränen, Jevans musste ihr sogar eines ihrer Taschentücher reichen. Ein, zwei Anläufe für ein gemeinsames Foto scheiterten, bevor Krejcikova sich ein Lächeln abringen konnte. Später sagte sie: „Ohne Jana wäre ich nicht hier. Sie hat mir immer Mut gemacht für meine Karriere, hat mir den Glauben gegeben, dass ich es schaffen kann.“ 

Selten war ein Triumph wie der von Barbora Krejcikova auf dem heiligen Tennis-Grün so eng und anrührend mit der Historie verknüpft, mit einer einprägsamen Siegerin aus früheren Zeiten. Als Krejcikova an diesem 13. Juli 2024 ihren unwahrscheinlichen Lauf zum Ruhm an der Church Road mit dem 6:2, 2:6, 6:4-Sieg gegen Jasmine Paolini (Italien) krönte, wanderten die Gedanken automatisch zurück in die 90er Jahre. Zu Krejcikovas Mentorin und mütterlicher Ratgeberin Jana Novotna.

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Jana Novotna gewann 1998 den Titel in Wimbledon

1993 hatte sie einen haushohen Vorsprung im Finale gegen Steffi Graf abgegeben und war später, in Tränen aufgelöst, von der Herzogin von Kent bei den offiziellen Zeremonien getröstet worden. Fünf Jahre später, 1998, gewann sie aber doch noch den erträumten Titel aller Titel, gegen die Französin Natalie Tauziat. Kurz vor ihrem viel zu frühen Tod – 2017 starb sie im Alter von 49 Jahren an einer Krebserkrankung – habe sie ihr einen Rat gegeben und einen Wunsch ausgesprochen, sagte Krejcikova: „Genieß dein Tennis und versuche, einen Grand Slam zu gewinnen.“ Jetzt tatsächlich Siegerin des Major-Turniers in Wimbledon zu sein, sei aber komplett „unwirklich“, so Krejcikova: „Ich habe den Titel, den auch Jana hat. Das ist unglaublich, einfach unglaublich.“ Immer wieder habe Jana Novotna ihr die entscheidenden Ratschläge gegeben auf dem Weg ins große Tennis, auch die Aufmunterung, nicht zu verzagen nach den unvermeidlichen Rückschlägen: „Sie war da, wenn ich sie brauchte.“ 

Jana Novotna bei ihrem Wimbledon-Sieg 1998. 2017 starb die Tschechin an einer Krebserkrankung.
Jana Novotna bei ihrem Wimbledon-Sieg 1998. 2017 starb die Tschechin an einer Krebserkrankung. © dpa | Neil Munns

Krejcikovas erstaunlicher Triumph lenkte aber auch erneut ein Schlaglicht auf die tschechischen Erfolge im Damentennis – einer kleinen Nation, die immer wieder groß herauskommt auf den größten Bühnen dieses Sports. Und auch wiederholt Sensationsmomente produzieren kann: Schon im vergangenen Jahr hatte Marketa Vondrousova den Wimbledon-Titel als Spielerin mit der niedrigsten Ranglisten-Platzierung (42) abgeräumt; nun schaffte es Krejcikova mit der zweitniedrigsten Einstufung (32). Da konnte Legende Billie Jean King mühelos ihre Einschätzung wiederholen, „dass man das Gefühl hat, die Pipeline in diesem Land nie leer wird.“  

Tschechien mit sieben Spielerinnen in den Top 50

Martina Navratilova, einst aus der kommunistischen Tschechoslowakei geflohen und neunmal siegreich im legendären All England Club, wies auf das „effektivste Sichtungs- und Fördersystem“ hin: „Hier geht kein Talent verloren. Und nirgends wird so brillant ausgebildet.“ Während Traditionsländer im Tennis straucheln, ihre Hoffnungsvollen in der Weltspitze anzusiedeln, gelingt es dem tschechischen Verband gleich serienweise über viele Generationen hinweg: Aktuell stehen allein sieben Tschechinnen unter den Top 50. „Das Modell, übers Tennis sozialen Aufstieg und Wohlstand zu schaffen, ist absolut intakt“, sagte die frühere Weltklassespielerin Daniela Hantuchova (Slowakei), „die Tschechinnen haben die richtige Mentalität und den brennenden Ehrgeiz, den es braucht.“

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Krejcikovas Sieg kommt keineswegs aus dem absoluten Nichts, sie gewann schon 2021 die French Open als Solistin. Sie ist auch eine der erfolgreichsten Doppelspielerinnen der Welt, hat bereits alle vier Major-Turnier-Pokale in der Pärchenkonkurrenz mindestens einmal in die Höhe gereckt. Und doch steht die eher unscheinbare Akteurin auch für eine gewisse Beliebigkeit in dieser neuen Wimbledon-Ära im Damentennis. Während bei den Herren seit zwei Jahrzehnten nur die strahlenden Frontleute den Titel für sich reklamieren, gab es im Damenwettbewerb zuletzt acht verschiedene Gewinnerinnen. Oft erscheint das Turnier wie ein Lotteriespiel mit seltsamen Kapriolen und Kuriositäten. Der letzte dieser unvermuteten Höhenflüge gehörte nun Barbora Krejcikova – denkwürdig auf den Spuren der unvergessenen Jana Novotna.