Paris. Nach seinem Dreisatzsieg gegen Alex de Minaur trifft Alexander Zverev im Halbfinale auf Caspar Ruud. Ihre Biografien ähneln sich.
Das Lotteriespiel des Tiebreak war auf dem Centre Court angebrochen – und für Alexander Zverev sah es in der hitzigen Schlussphase des zweiten Viertelfinal-Satzes nicht gerade verheißungsvoll aus. 0:4 lag er ruckzuck und scheinbar aussichtslos hinten, eine weitere sehr lange Nachtschicht drohte, ausgerechnet gegen den australischen Ausdauerspezialisten Alex de Minaur.
Was dann aber passierte, brachte Zverevs bisherige French-Open-Mission noch einmal symbolisch auf den Punkt: Der Olympiasieger wurde nicht hektisch, nicht nervös, nicht fahrig. Er blieb ruhig und entschlossen. Holte auf, ging schließlich mit 7:5 über die Ziellinie. Es war der kleine Triumph vor dem größeren Triumph, vor dem 6:4, 7:6, 6:4-Erfolg und dem vierten Halbfinaleinzug hintereinander bei den Grand-Slam-Festspielen im Stade Roland Garros.
„Ich schaffe es im Moment, immer einen Weg zu finden. Weil ich fokussiert bin, klar im Kopf“, sagte Zverev, der sich mit dem Drei-Satz-Durchmarsch wichtige Energiereserven zunächst fürs Halbfinal-Duell gegen den Norweger Casper Ruud aufsparte. Der Nordländer war nach dem Rückzug von Novak Djokovic spielfrei in die Vorschlussrunde durchgewunken worden.
Marathon-Einsätze in Paris
Auch 2023 hatten sich Zverev und Ruud im Halbfinale Auge in Auge auf dem Pariser Centre Court gegenübergestanden – Ruud gewann damals klar 6:3, 6:4 und 6:0 gegen den leicht angeschlagenen Hamburger, der sich im Aufwärmtraining am Oberschenkel verletzt hatte. Nun aber ist Zverev trotz mancher Marathoneinsätze bei diesen French Open 2024 schmerz- und beschwerdefrei, will zum ersten Mal ins Finale: „Ich will mir endlich eine Chance geben, den Titel zu gewinnen.“
Ruud, ein gern unter dem Radar laufender Top Ten-Spieler (ATP 7), kam in starker Form nach Paris. Und als einer der erfolgreichsten Akteure in der laufenden Sandplatzserie. Siege in Barcelona und Genf und der Endspieleinzug beim Masters in Monte Carlo stempelten den 25-jährigen schon vor den ersten Roland Garros-Ballwechseln zu einem der Mitfavoriten. Der French Open-Finalist der beiden Vorjahre (Niederlagen gegen Rafael Nadal bzw. Novak Djokovic) sei ein „ganz unbequemer und zäher Gegner“, urteilt TV-Experte Boris Becker, viele in der Szene neigten trotz aller Erfolge Ruuds auch dazu, „ihn immer noch zu unterschätzen.“
Zverev dürfte nicht dazugehören, er weiß um die Qualitäten eines Mannes, dessen Biografie stark an seinen eigenen Lebenslauf erinnert. Der Norweger, der sich einmal als so „exotisch im Tenniszirkus wie ein Jamaikaner im Bobkanal“ bezeichnete, ist auch ein Kind des Tourbetriebs. Schon als Kleinkind reiste Ruud im Tross des Profi-Papas Christian in der Weltgeschichte umher, mit vier Jahren schlug er die ersten Bälle gemeinsam mit dem Vater und heutigen Trainer. Dass sein Leben etwas mit Tennis zu tun haben würde, sei „unvermeidlich“ gewesen, sagt er.
Tennis bei Zverev und Ruud eine Familienangelegenheit
Tennis ist bei den Ruuds genau wie bei den Zverevs immer eine Familienangelegenheit geblieben. Eine Vater-Sohn-Partnerschaft, in der es Reibungspunkte, Auseinandersetzungen, Meinungsverschiedenheiten gibt. Aber in erster Linie Harmonie und gegenseitiges Vertrauen. „Wo ich heute bin, verdanke ich ihm“, sagt Ruud junior. 1992 übrigens hatte Daddy Ruud in Barcelona mal einen gewissen Boris Becker am Rande einer olympischen Niederlage.
Ruuds großes Vorbild ist Matador Rafael Nadal, den Zverev in der ersten Pariser Runde spektakulär besiegt hatte. In Nadals mallorquinischer Akademie hat der 25-jähriger seit längerer Zeit einen Trainingsschwerpunkt. Was er von Nadal auch in manch gemeinsamer Übungsstunde gelernt habe, beschreibt Ruud so: „Immer 100 Prozent geben, keine halben Sachen machen. Dir selbst als Mensch und Profi treu bleiben.“ Er habe im übrigen noch nie einen Schläger kaputtgehauen, sagt Ruud, „so wie Rafa.“
Als sich Ruud beim Laver Cup 2022 im Kreise der Titanen der Tenniswelt bewegte, zusammen mit Roger Federer, Novak Djokovic, Andy Murray und Nadal, fühlte er sich wie ein „staunendes Kind“ und fragte sich: „Ist das wirklich wahr. Ich mit diesen Spielern?“ Sein eigener großer Grand Slam-Moment könnte dennoch kommen. Ob schon in diesem Jahr und in Paris, wird schon gegen Alexander Zverev zur Diskussion stehen.