Berlin. Der Bundestrainer legt beim EM-Kader großen Wert auf ein gutes Miteinander. Der sportliche Leistungsstand ist aber noch nicht greifbar.

Für Stadionatmosphäre ist die pulsierende Friedrichstraße im Herzen Berlins nicht bekannt, doch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) gab sich gemeinsam mit seinem Partner Volkswagen größte Mühe, sie in die Repräsentanz des Automobilkonzerns zu holen. Passierte man am Donnerstag das Licht durchflutete Eingangsfoyer, huschte man durch die versteckte schwarze Tür, die an den Eingang zu einem Kinosaal erinnerte, dann hörte man Fangesänge. Auf eine riesige 360-Grad-Leinwand war eine Arena projiziert, feiernde, animierte Menschen hüpften auf den Tribünen auf und ab. Hier und da blitzten Kameras auf.

Julian Nagelsmann betrat pünktlich das virtuelle Stadion, er hatte schließlich einiges auf der Agenda stehen für die nun folgenden 60 Minuten. Zunächst verkündete der Bundestrainer, dass sein gesamtes Team neue Verträge bis zur Weltmeisterschaft 2026 unterschrieben habe, der Chef selbst war vor einigen Wochen ja mit einem guten Beispiel vorangegangen. Dann kam er zum Wesentlichen: der Kader-Bekanntgabe für die Europameisterschaft, die in rund einem Monat beginnt.

DFB-Team bei der EM mit BVB-Profi Nico Schlotterbeck

Zunächst zeigte der DFB die viel beachteten Clips, mit denen der Verband in den vergangenen Tagen die ersten EM-Fahrer auf kreative Weise verraten hatte. Abschließend war auch Nagelsmann selbst im Video zu sehen. „Super Truppe, könnte von mir sein – ist aber unser Kader“, sagte der Bundestrainer und ließ ein verschmitztes Grinsen folgen. Der Verband will verschiedene Gesellschaftsgruppen ansprechen. Die Image-Politur, sie geht dieser Tage voll auf.

Bundestrainer Julian Nagelsmann gibt in Berlin den EM-Kader bekannt.
Bundestrainer Julian Nagelsmann gibt in Berlin den EM-Kader bekannt. © Getty Images | Alexander Hassenstein

Jetzt muss eigentlich nur noch der Fußball stimmen, um einen erfolgreichen Sommer zu erleben. 27 Fußballer stehen im vorläufigen EM-Aufgebot, darunter sind vier Torhüter, die allesamt mit zum Turnier fahren werden – darunter erstmals der Stuttgarter Alexander Nübel (27), der den verletzten Bernd Leno ersetzt (32/FC Fulham). Dies war die einzige Neuigkeit am Donnerstag. Dass Nico Schlotterbeck (24/Borussia Dortmund) und Aleksandar Pavlovic (20/Bayern München) einen Platz erhalten werden, hatte der DFB bereits zuvor kommuniziert. Bis zum Abend des 7. Juni muss noch ein Spieler gestrichen werden.

Bundestrainer Nagelsmann bleibt damit seinen Ankündigungen treu, nur marginale Änderungen vorzunehmen. Der Kader für die EM ist praktisch derselbe, dem im März gegen Frankreich und die Niederlande die Trendwende gelungen ist. Mit einer klaren Rollenverteilung, einer festen Achse aus Antonio Rüdiger und Toni Kroos von Real Madrid, die für Stabilität sorgt – und ohne die Arrivierten wie Mats Hummels (35/Borussia Dortmund) oder Leon Goretzka (29/Bayern München).

DFB-Elf: Nagelsmann legt großen Wert auf die Charaktere

„Wir glauben, dass die Spieler die für sie definierte Rolle bestmöglich erfüllen“, sagte Nagelsmann am Donnerstag. „Da haben wir einen sehr guten Mix gefunden aus starken Persönlichkeiten, zwischen Persönlichkeiten, die sich unterordnen können und die andere pushen können.“ Der 36-Jährige hatte sich schon vor dem 2:0 in Lyon bei Köchen, Physios und Team-Mitgliedern Einschätzungen abgeholt. „Da war das Feedback, dass es mit Abstand die beste Maßnahme der vergangenen Jahre war, was die Punkte Stimmung, Arbeitsklima, Umgang miteinander und dem Staff zu tun hat“, versicherte Nagelsmann. Vielleicht beschreibt Thomas Müllers Rolle beim Turnier dies am besten. Der Münchener, 34, sei laut Nagelsmann der Verbindungsmann zwischen den einzelnen Gruppen, den verschiedenen Charakteren, den „Rappern und Jodlern“.

Fehlen bei der EM: Leon Goretzka (links) und Mats Hummels.
Fehlen bei der EM: Leon Goretzka (links) und Mats Hummels. © DPA Images | Christian Charisius

Konkurrenzkampf und die „nötige Harmonie als Fundament für eine gute Leistung“ erhofft sich Nagelsmann durch seine Kader-Zusammenstellung. Wie weit aber die DFB-Elf nach schwierigen Monaten mit dem März als einzigem Lichtblick bereits ist, wird sich erst beim Turnier zeigen. „Es gibt gar nicht den einen Punkt, der die Fragilität beschreibt, sondern der Faktor Zeit“, sagte Nagelsmann über die zehn Tage im März. „Ich glaube, dass Stabilität gewachsen ist, die aufgrund der Zeit gar nicht so stabil sein kann, dass es ausgeschlossen ist, dass es wieder etwas bröckelt.“ Aber es sei wie mit einer jungen Pflanze. „Die pflegt man“, so Nagelsmann. „Das heißt nicht, dass sie direkt wieder einstürzt. Man muss sie pflegen, dann wird sie meistens auch größer.“

DFB-Elf: Erfolgreiche EM ist nicht zu definieren

Wie groß, wie schön? Das hängt von den Ergebnissen genauso wie vom Auftreten ab. „Ich will, dass es mitreißend, begeisternd wird“, kündigte Nagelsmann an. „Wir versuchen, den Titel zu gewinnen. Das kann ich euch versprechen. Aber es kann auch sein, dass wir in irgendeiner K.o.-Phase ausscheiden und sagen, dass es trotzdem eine erfolgreiche EM war.“ Andererseits: „Wenn es der Titel ist und wir haben jedes Spiel schlecht gespielt, werde ich mich trotzdem freuen.“