Madrid. Für Tennis-Star Novak Djokovic läuft es aktuell nicht rund. Kommt jetzt die schon so oft prophezeite Wachablösung an der Weltspitze?
Novak Djokovic war gerade 24 Jahre alt, als er im Frühjahr 2012 zum ersten Mal die „Laureus“-Trophäe entgegennahm, als inoffizieller „Weltsportler des Jahres“. Es war die verdiente Belohnung für die Fabelsaison 2011, in der er den Platzhirschen im Tenniscircuit, Roger Federer und Rafael Nadal, regelmäßig die schönsten Trophäen geklaut hatte. Nun, Ende April 2024, stand Djokovic wieder im Blitzlichtgewitter der „Laureus“-Festivitäten, zum fünften Mal erhielt er die Auszeichnung, und wieder war es die Anerkennung für vergangene Großtaten, für das Jahr 2023, in dem er auf seine älteren Tage der Konkurrenz ein ums andere Mal die lange Nase gezeigt hatte – nicht zuletzt mit drei Grand Slam-Triumphen. „Unglaublich“ fühle sich das alles an, „was habe ich für eine wahnsinnige Reise hinter mir.“
Tatsächlich hätte sich kaum jemand vorstellen können, dass die Karriere des gebürtigen Belgraders einmal in solch stratosphärische Höhen führen würde – noch vorbei an den Altvorderen Federer und Nadal, auf Platz eins der ewigen Grand Slam-Titelwertung. Und, gerade zuletzt, als älteste Nummer 1 in der langen Historie der Weltrangliste, am 8. April mit 36 Jahren und 321 Tagen. Aber der Glanz und Glamour der jüngsten Ordensdekoration, das Schaulaufen auf dem roten Laureus-Teppich, haben eins nicht verdecken können – die äußerst schwierige Startmission in die Saison 2024, die manche in der stets aufgeregten Tennisszene schon von einer Art Götterdämmerung sprechen läßt. Über Djokovics ersten vier Monaten schwebt die Frage: Was ist mit dem Dominator der Tour bloß los? Nagen nun doch - nach den vielen Jahren in der Tretmühle des Tingelbetriebs – die Verschleißerscheinungen am Capitano? Er sei ein wenig überrascht, dass Djokovic „im Moment kein Tennis spielt“, befand sein langjähriger Coach Boris Becker aktuell, „obwohl er Spiele braucht, um Sicherheit zu gewinnen.“
Epochenwecchsel nach der Ära der Großen?
Der deutsche Tenniskanzler spielte damit auf den paradoxen Umstand an, dass Djokovic sich zwar für seine „Weltsportler“-Auszeichnung in Spaniens Kapitale aufhielt, aber gleichzeitig den Masters-Schauplatz Madrid mied – ohne wirklich zwingende Gründe. Oft schon wurde in der jüngeren Vergangenheit die Wachablösung an der Weltspitze ausgerufen, ein Epochenwechsel nach der Ära der Großen Drei, doch 2024 könnte es nach vielen falschen Alarmen nun wirklich so weit sein: Federer ist ohnehin schon in der wohlverdienten Rente, der verletzungesgeplagte Nadal kämpft darum, einen halbwegs versöhnlichen Abschied zu finden. Und Djokovic steht nach dem ersten Saisondrittel nur im Schatten der Jungen Wilden um Australian Open-Champion Jannik Sinner oder dem spanischen Phänomen Carlos Alcaraz.
Noch profitiert Djokovic von den Meriten des Gestern, in der Weltrangliste, die stets die letzten zwölf Monate leistungstechnisch abbildet – da ist er weiter unangefochten die Nummer 1. Aber in der Jahreswertung 2024 steht der bald 37-jährige Serbe bloß noch auf Platz 9. Dass selbst Verfolger aus der sehr erweiterten Weltspitze Schwächen beim Frontmann wittern und wahrnehmen, war zuletzt offenkundig. Der Italiener Luca Nardi (seinerzeit ATP 123) bekannte nach seinem Sensationssieg im März in Indian Wells gegen Djokovic, dass das berühmte Gegenüber „natürlich etwas von seiner Aura“ verliere, wenn die Ergebnisse nicht stimmten: „Dann rechnet man sich schon mehr aus.“ Damals, in der kalifornischen Wüste, hatte Djokovic selbst von der ungewohnten Situation gesprochen, zu so einem großen Turnier zu kommen, „ohne vorher etwas gewonnen zu haben.“ Das fühle sich „irgendwie auch seltsam“ an.
Ende der Liaison mit Trainer Ivanisevic
So ist Djokovics laufende Spielzeit von vielen Spielpausen gekennzeichnet. Im Februar war der 24-malige Grand Slam-Gewinner bei gar keinem Turnier im Einsatz, nach dem Debakel in Indian Wells sagte Djokovic dann die Masters-Teilnahme in Miami ab. Aus den Schlagzeilen war er damit allerdings nicht, wenn auch aus den falschen Gründen. Denn in der sportlichen Krise ging eine höchst gedeihliche Partnerschaft zu Ende – die Liasion mit Trainer Goran Ivanisevic, dem einst so gefürchteten „Herrn der Asse.“ Die Begründung, die auch Ivanisevic dafür lieferte, wirkte etwas schal: Man habe sich nichts mehr zu sagen gehabt, die Impulse hätten von beiden Seiten gefehlt. Jüngst in Monte Carlo wurde Djokovic mit dem früheren Doppelspezialisten Nenad Zimonjic an seiner Seite gesichtet, wahrscheinlich eher eine Interimslösung.
Djokovics Parteigänger machen sich derweil mit der Interpretation Mut, dass der Seriensieger der letzten Jahre die Kräfte für die ganz heiße Saisonphase aufspare – für die Monate von Mai bis Ende September. Mit den Grand Slams in Paris, Wimbledon und New York. Und mit dem olympischen Tennisturnier im Stadion Roland Garros. In Djokovics Trophäenschrank fehlt tatsächlich noch eine Goldmedaille, vor allem die im Einzel. Aber Stärke und Selbstbewußtsein für die ganz großen Tennismomente gewann Djokovic stets aus anderen Turniersiegen, aus Dominanz und einschüchternder Statur. 2024 ist davon nichts zu sehen und zu spüren, jedenfalls noch nicht.