Frankfurt/Main. Dem Verband gelingt zwei Monate vor der Heim-EM ein Coup, indem er den Trainer von einer Verlängerung überzeut - zum Leid der Bayern.
In Julian Nagelsmanns Worten schwang eine Menge Pathos mit. „Eine Entscheidung des Herzens“ sei es, „eine große Ehre“ – so begründete der aktuelle Bundestrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, dass er auch ihr zukünftiger sein wird. Am Freitagmorgen verkündete der Deutsche Fußball-Bund (DFB) die Vertragsverlängerung des 36-Jährigen bis einschließlich der Weltmeisterschaft 2026. Rund zwei Monate vor Beginn der Europameisterschaft im eigenen Land hat der Verband damit das pikante Thema der offenen Zukunft seines wichtigsten Angestellten vom Tisch.
„Es ist ein starkes Signal für den DFB und die Nationalmannschaft, dass Julian Nagelsmann über die Heim-EM hinaus Bundestrainer bleibt. Denn er steht bei vielen großen Klubs in ganz Europa auf dem Wunschzettel“, sagte Verbands-Chef Bernd Neuendorf (62) in einer Mitteilung. „Nun herrscht Planungssicherheit, und alle können sich ganz auf ein erfolgreiches Abschneiden bei der Europameisterschaft konzentrieren.“ Sportdirektor Rudi Völler (64), der kürzlich ebenfalls seinen Kontrakt bis zum Turnier in den USA, Kanada und Mexiko ausgedehnt hat, befand: „Er ist ein herausragender Trainer, ein Taktikfuchs, der nicht nur großen Fußballsachverstand mitbringt, sondern mit seiner Leidenschaft jeden Spieler anstecken und mitreißen kann. Er brennt für die Nationalmannschaft und für den Erfolg.“
DFB-Team: So gelang Julian Nagelsmann die Wende
Der DFB hat damit seinen Wunschkandidaten gebunden. Im September des vergangenen Jahres war Nagelsmann damit betraut worden, den Scherbenhaufen, den Vorgänger Hansi Flick (59) mit der verkorksten Weltmeisterschaft in Katar und dem desaströsen 1:4 gegen Japan hinterlassen hatte, zusammenzukehren, im Optimal-Fall gar hübsch aufzubereiten, um beim Turnier im eigenen Land nicht die nächste Peinlichkeit zu erleben. Sommermärchen 2.0? Das aber wirkte zu diesem Zeitpunkt wie Hohn und Spott.
Seitdem hat sich viel verändert. Nagelsmann erlebte im Oktober eine erfolgreiche erste Dienstreise in den USA, dann aber in den beiden Spielen gegen die Türkei (2:3) und in Österreich (0:2) gleich wieder Rückschläge. Seine Handlungen wirkten widersprüchlich: erst lag in Nordamerika der Fokus auf einer stabilen Defensive, im November war wichtig, dass möglichst viel Offensivkraft auf dem Rasen steht – und wenn sie in Person von Kai Havertz den Linksverteidiger gab. Also alles zurück auf Anfang: mit mehr „Workern“ im Team, die den Künstler den Rücken frei halten. Und Nagelsmann gelang sein größter Coup: die Rückkehr von Toni Kroos im März, der gleich als Chef die DFB-Elf zu zwei mitreißenden Siegen in Frankreich (2:0) und gegen die Niederlande (2:1) führte.
DFB-Team: Julian Nagelsmann wägte Optionen ab
Reicht diese Erkenntnis schon, um langfristig mit Nagelsmann zusammenzuarbeiten? Im März, vor den beiden Erfolgen, war der DFB vorgeprescht und hatte Verhandlungen angekündigt. Einerseits, um Mitbewerber auszustechen. Andererseits, weil sich Alternativen nicht wirklich angeboten hatten. Vor allem aber: Weil die Verantwortlichen von Nagelsmann überzeugt sind.
Der Umschwärmte ließ sich Zeit, wägte all seine Optionen mit Vor- und Nachteilen ab. Es gab nach Informationen dieser Redaktion dabei nur zwei konkrete: eine Weiterbeschäftigung bei der Nationalelf sowie eine Rückkehr zu Bayern München. Nagelsmann entschied sich für den DFB – letztlich sehr kurzfristig. Zu verlockend war die Aussicht, als noch immer junger Trainer die Verbands-Auswahl auch zur WM in Nordamerika zu führen, ein attraktiver Austragungsort, anders als ein Turnier in einem Wüstenstaat. Nagelsmann fühlt sich für seinen Job beim DFB wertgeschätzt. „Die Begeisterung der Fans hat mich sehr berührt“, sagt er.
DFB-Team: Nagelsmann will Nebengeräusche verhindern
Die finanziell deutlich wohl werthaltigeren Verdienstmöglichkeiten und die sportliche Perspektive bei Bayern München hat sich Nagelsmann nach Informationen dieser Redaktion zwar angehört, doch bewusst eine Entscheidung pro DFB getroffen. Nagelsmann, der bisher 400.000 monatlich kassiert hat, ist sich nämlich sicher, dass der Job als Bundestrainer seine 100-prozentige Aufmerksamkeit verlangt. Parallel den dringend benötigten Umbruch beim FC Bayern einleiten? Unmöglich. Und dies hätte nur Nebengeräusche verursacht, schon bei Rückschlägen während des Turniers wäre Nagelsmann vorgeworfen worden, mit den Gedanken schon in München zu sein. Zudem irritierte ihn, dass nicht alle Gremien in München von Nagelsmann überzeugt sind. Vor allem der mächtige Aufsichtsrat Karl-Heinz Rummenigge (68) gilt als großer Skeptiker.
Viel mehr sieht Nagelsmann sein klares Bekenntnis zum Verband als weiteres Mosaiksteinchen für eine erfolgreiche EM. Und die Zeit danach.