Hamburg. Die EM-Auslosung ergibt für die deutsche Mannschaft eine machbare Gruppe mit stimmungsvollem Auftakt - und doch wird tiefgestapelt.

Um 16.51 Uhr ist Julian Nagelsmann endlich da: Ein dunkler Wagen fährt vor der Hamburger Elbphilharmonie vor und spuckt den Bundestrainer aus, der schnellen Schrittes über den roten Teppich ins Gebäude geht. Keine Zeit zu verlieren, Nagelsmann ist deutlich später dran als ursprünglich geplant: Das Schneetreiben am Samstagmorgen hat den öffentlichen Verkehr in und um München lahmgelegt, es fahren keine Züge und fliegen keine Flieger. „Aber Julian ist ja ein junger Mann, da setzt man sich auch mal ins Auto und fährt die Strecke“, wird Sportdirektor Rudi Völler später schmunzelnd sagen.

Denn es ist nun einmal Auslosung, am Samstagabend erfährt Nagelsmann gemeinsam mit dem deutschen Fußballvolk, gegen welche Gegner es bei der Heim-Europameisterschaft im Sommer gehen wird – da nimmt man schonmal weite Wege auf sich, selbst wenn man auch noch etwas angeschlagen, weil erkältet ist.

Am Ende des Abends wird Nagelsmann dann ziemlich zufrieden sein: Eröffnungsspiel gegen Schottland in München, dann gegen Ungarn in Stuttgart und schließlich gegen die Schweiz in Frankfurt. Es ist das, was man im Fußballjargon eine machbare Gruppe nennt – oder zumindest mal nannte, bevor sich die deutsche Mannschaft aus der Weltspitze verabschiedete. „Eine sehr interessante Gruppe, in der wir uns durchsetzen wollen“, meint der Bundestrainer. „Es ist keine Todesgruppe, aber eine sehr gute. Das Auftaktspiel wird schon ein Brett.“

München jubelt über partyfreudige Schotten

Jenes Auftaktspiel hat zuvor mit für die lautesten Reaktionen im gewaltigen Saal der Elbphilharmonie gesorgt – weil sich nämlich die Delegation der Stadt München laut vernehmbar freute, dass die Schotten zu Gast sein werden. Eine Mannschaft, die traditionell mit vielen Fans reist, die traditionell gute Stimmung verbreiten und reichlich Bierdurst mitbringen – der lokalen Wirtschaft kann nichts Besseres passieren.

Und die deutsche Mannschaft kann auch zufrieden sein beim Blick auf das, was in den unteren Lostöpfen noch gesteckt hätte: die Niederlande in Topf drei etwa, die in einer anspruchsvollen Gruppe mit Frankreich, Österreich und einem noch zu ermittelnden Play-off-Sieger landete. Oder Italien in Topf vier, die es nun in Gruppe B mit Kroatien, Spanien und Albanien zu tun bekommen. Da passt am ehesten der Ausdruck Todesgruppe, und das kann auch für die deutsche Mannschaft relevant werden: Als Gruppenzweiter und möglicherweise auch als Gruppendritter bekäme man es mit einer Mannschaft aus jener Gruppe B zu tun, als Gruppensieger dagegen mit dem Zweiten aus Gruppe C – wo Dänemark, England, Serbien und Slowenien landeten.

Gruppengegner sehen das DFB-Team als Favoriten

Der Weg in die späteren Runden wird kein leichter, aber nach den jüngsten Eindrücken hat man es sich beim DFB abgewöhnt, Turniere von hinten zu denken. „Wir sind nicht in der Situation, dass wir irgendwelche Gegner nicht respektieren oder auf die leichte Schulter nehmen“, sagt Völler. Allerdings ist der Respekt der Gegner vor der DFB-Elf immer noch ein bisschen größer als umgekehrt: „Deutschland wäre ich gerne aus dem Weg gegangen, sie sind Favorit in der Gruppe“, sagt Ungarns italienischer Nationaltrainer Marco Rossi. Und sein schottischer Kollege Steve Clarke guckt auch eher sparsam, als er sagt: „Ich kann ja nichts dran ändern, also müssen wir die Gruppe so nehmen, wie sie eben ist.“

Es ist der Tag der vorsichtigen Töne, wer will schon hinterher seine großspurigen Aussagen vorgehalten bekommen, wenn es beim Turnier dann nicht so läuft? Auch DFB-Präsident Bernd Neuendorf, der im Laufe des Abends im adretten Uefa-Jacket und mit bester Laune bei den Journalisten erscheint, bemüht die bekannten Phrasen, dass es ja keine kleinen Gegner mehr gibt und jede Mannschaft, die sich qualifiziert hat, erst einmal eine gute ist. Qualifizieren musste sich die deutsche Mannschaft bekanntlich nicht, als Gastgeber war sie gesetzt. Ein Segen, sagen die einen angesichts der aktuellen Form der Mannschaft. Ein Fluch, meinen andere, weil durch die ständigen Freundschaftsspiele gar keine Spannung aufkomme.

Das Ausland wundert sich über die Deustchen

So sehe man das auch im Ausland, berichtet Neuendorf, er werde von den Kollegen der anderen Verbände ständig gefragt, warum denn die Stimmung so mies sei im Land angesichts einiger verlorener Freundschaftsspiele. Die passende Antwort dazu hat wie immer der ewige und auch einzige Rudi Völler: „Die Wahrheit werden wir im Sommer wissen.“

Bis dahin steht noch einiges an, für den angeschlagenen Nagelsmann zunächst einmal die Rückfahrt nach München. „Aber da werde ich mich hinten reinlegen und fahren lassen“, meinte er schmunzelnd. Es war dann doch ein recht anstrengender Tag – auch für einen jungen Mann wie ihn.