München. Tennis-Ass Jan-Lennard Struff hat als 33-Jähriger erstmals ein ATP-Turnier gewonnen. So geht es nach dem München-Triumph weiter.

Als die meisten Fans noch nichts von Jan-Lennard Struff gehört hatten, war der Riese aus Warstein schon viele Jahre in der Tenniswelt unterwegs. Auf kleineren Bühnen allerdings, bei Turnieren der sogenannten Challenger- oder Future-Kategorie. Es geht dort wenig glamourös zu, junge Spieler mit glühendem Aufstiegswillen treffen hier auf alte Recken, die auf den dritten oder vierten Frühling hoffen. Das Preisgeld ist eher bescheiden, die Wettbewerbe haben einen rauen, dennoch familiären Charme. Er habe „viele Jahre hart und einsam malochen“ müssen, um immer weiter aufzusteigen, sagt Struff, „ich war nie der Hoppla-jetzt-komm-ich-Typ. Mir ist nichts in die Wiege gelegt worden.“

Seit seinem 18. Lebensjahr ist dieser unprätentiöse Arbeiter aus dem Sauerland berufsmäßig im Tennis unterwegs, 2013 bestritt er sein erstes Spiel auf der professionellen ATP Tour. Und bis zum 21. April 2024 und dem 218. Turniereinsatz musste er nun warten, um endlich einmal einen gewichtigen Pokal in die Höhe halten zu können – bei den spätwinterlichen ATP-Festspielen im schaurigen Münchener Aprilwetter. 434 Matches dauerte dieser ganz lange Marsch durch die Tennis-Institutionen, eine Wegstrecke gepflastert mit vielen Tiefen, Rückschlägen, Enttäuschungen, Verletzungspech. Aber eben auch mit einem späten, kaum noch vermuteten Aufschwung, mit dem gefestigten Platz in der durchaus engeren Weltspitze. „Wie viele Sportler in Deutschland“, so fragte unlängst mal Tenniskanzler Boris Becker mit Blick auf Struff, „können von sich behaupten, unter den 30 Besten des Planeten gewesen zu sein?“

Struff auf Platz 24 angekommen

Stolzer Sieger: Jan-Lennard Struff.
Stolzer Sieger: Jan-Lennard Struff. © Getty Images for BMW | Alexander Hassenstein

Struff ist nach seiner Großtat in München, bei der auf der Zielgeraden drei ehemalige Top Ten-Cracks (Felix Auger-Aliassime, Holger Rune, Taylor Fritz) ausschaltete, nun wieder auf Platz 24 der Bestenliste angekommen – drei Ränge über seinem Allzeithoch, Platz 21. Wie schon im Vorjahr um diese Zeit ist er, der Turm aus dem Sauerland, und nicht etwa Olympiasieger Alexander Zverev der Mann der Stunde im deutschen Tennis. Zverev verabschiedete sich in München mit einer Schimpftirade über die widrigen Bedingungen, prophezeite, er werde das Turnier in diesem Schmuddelwetter auf Jahre nicht gewinnen können. Struff tat dagegen das, was er immer tut: akzeptieren, was nicht zu ändern ist. Das Beste daraus machen, kämpfen, ackern, rackern, Meter um Meter bis ins Ziel. Sein Motto: „Anpacken, nicht jammern. Auch wenn´s manchmal eine arge Quälerei ist.“

An Struff können sich viele im nationalen Tennisbetrieb ein Beispiel nehmen und, wie Bundestrainer Michael Kohlmann findet, „eine Scheibe abschneiden“: „Jan-Lennard ist einer, der jeden Tag besser werden will. Der im Training keine Sekunde verschenkt.“ Unter Kohlmanns Anleitung und Beobachtung bei den Länderspielen entwickelte Struff oft ganz besondere Qualitäten, er rettete das Davis Cup-Team auch schon mal beinahe im Alleingang vor dem Absturz in die Zweitklassigkeit. Lebenslanges Lernen, die Bereitschaft, das eigene Spiel zu reformieren und neu zu erfinden, zeichneten den 33-jährigen Veteranen aus, sagt Altmeister Tommy Haas, inzwischen Turnierdirektor des Megaevents im kalifornischen Indian Wells, „ich bin ein Riesenfan von ihm.“ Struff ist, ganz nebenbei, auch einer der richtig guten Doppelcracks in der Szene, in München erreichte er mit dem Kölner Andreas Mies das Finale, das Duo verlor in zwei Tiebreak-Sätzen.

Der Spaß mit Struff ist vorbei

Wer den zweifachen Familienvater Struff heute spielen sieht, erkennt ihn kaum noch wieder. Denn der 1,96-Meter-Hüne war in jüngeren Profijahren oft ein ganz anderer Typ. Einer mit zuviel Phlegma, zuviel Genügsamkeit und einer schlechten Körpersprache. Über viele Saisons arbeitete der Ü30-Akteur gemeinsam mit Coach Carsten Arriens an seinem Wettkampf-Charakter, an der Standfestigkeit in kritischen Situationen, an größeren Zielen gegen große Gegner. „Struffi“ nennen ihn alle im Wanderzirkus zwar immer noch, so wie in den Zeiten, in denen er als drolliger, tapsiger Zeitgenosse ohne letzten Mumm und Mut verschrien war. Inzwischen lacht man immer noch über den trockenen, lakonischen Humor des Sauerländers, aber der Spaß mit ihm auf den Courts ist für die Gegner und deren Anhang vorbei. Struff ist zur Autorität geworden, zum Mann, der Respekt und Anerkennung in ganzer Kollegenbreite genießt. Nun auch als jener, der als drittältester Profi über die Ziellinie marschierte, der erstmals ein Tourevent gewann.

„Konsequenz und Courage“ seien Struffs Fundament beim Boom jenseits der 30, sagt sein anderer Coach Marvin Netuschil – auch er ein jahrelanger Wegbegleiter, „er muss sich vor niemandem verstecken, wenn er die richtige Mentalität und Intensität auf den Platz bringt.“ An dieser Einstellung bestehen neuerdings keine Zweifel, Struff hatte sich diesbezüglich vor ein paar Jahren mal selbst zur Ordnung gerufen und kategorisch festgestellt: „Hey, das reicht nicht, was du bringst. Du musst härter zu dir selbst werden.“ Nun macht er gern auch mal das Unmögliche möglich – und nicht etwa umgekehrt. Den ersten Finalsatz in München gewann er nach Abwehr von drei Satzbällen, die letzten elf Punkte in jenem Durchgang gingen alle an ihn. „Struffi, Du bist eine Maschine“, rief ihm aus der Ferne Legende Becker zu.

Ein paar gute Jahre gibt sich Struff noch im Tennisgeschäft, vielleicht sogar ran bis an die Vierzig. Aber eins der großen Nahziele beherrscht in dieser Saison zunächst auch seine Gedanken, die Teilnahme an den Olympischen Spielen. Nach der Geisteratmosphäre in Tokio zu Corona-Zeiten will Struff noch einmal das volle Olympiapaket mitnehmen, als Teamplayer im großen deutschen Paris-Trupp. „Es wäre der Wahnsinn, wenn es klappt“, so Struff, „dafür haue ich mich zu tausend Prozent rein.“