Leverkusen. Der Erfolg von Bayer Leverkusen hat viele Väter, allen voran Trainer Xabi Alonso. Der denkt im Triumph schon an die nächsten großen Ziele.
Spät in der Nacht zu Montag meldet sich Georg Schmitz zu Wort. „Der Rasen hat überlebt“ schreibt er kurz und knapp über ein Bild aus dem Inneren der BayArena, auf dem man viel Grün und nur noch ein paar schwarz-rote Schnipsel sieht. Schmitz muss es wissen, er trägt den Titel Headgreenkeeper bei Bayer Leverkusen, ist also Hauptverantwortlicher für den Rasen, der in der vergangenen Saison zum besten in der gesamten Bundesliga gekürt wurde und damit im Wortsinn die Grundlage für all das bietet, was sich in Leverkusen in dieser Spielzeit wundersames ereignet hat.
Dieser Rasen hatte am Sonntagabend seine bislang wohl schwerste Bewährungsprobe zu bestehen, als nach dem 5:0 (1:0)-Sieg gegen Werder Bremen geflutet wurde von den meisten der 30.210 Zuschauer, als die erste Deutsche Meisterschaft der Klubgeschichte endlich feststand, als elf Jahre Dauerherrschaft des FC Bayern beendet waren, als das Vizekusen-Etikett und damit die Erinnerungen an viele traumatisch verlorene Titelkämpfe endlich abgelegt waren.
Bayer Leverkusen jubelt, auf dem Rasen fließen Tränen
Wer nun sah, wie der schmächtige Florian Wirtz und der noch schmächtigere Jeremie Frimpong geherzt, gedrückt und fast erdrückt wurden, dem musste angst und bange werden – bis man die Gesichter sah, auf denen sich ähnlich entrückte Freude Bahn brach wie in den Mienen der Fans. Dass der Sauerstoff in der Menge immer knapper, die Hitze immer größer wurde – egal in diesen Momenten, auch dem genialischen Offensivspieler Wirtz, der mit seinen 20 Jahren die Vizekusen-Qualen nur vom Hörensagen kennt. Er feierte ebenso gelöst wie Robert Andrich, der bald nur noch in kurzer Hose und Badeschlappen und mit Fanschal um den Hals in der Mixed Zone stand, wo es kaum weniger chaotisch zuging als auf dem Rasen und wo reichlich Tränen flossen, besonders bei langjährigen Betreuern und deren Frauen, die schon so viel mit dem Klub miterlebt und oft auch miterlitten hatten. Und das waren die Momente, in denen selbst Xabi Alonso kurzzeitig die Kontrolle entglitt.
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Der Spanier saß im Presseraum der Arena, er schwärmte von dieser Spielzeit, von seiner Mannschaft, seinem Trainerteam – bis ein Spielertrupp angeführt von Jonathan Tah mit gewaltigen Kölschgläsern in den Händen den Raum stürmte und den Trainer mit dem Inhalt übergoss. Doch der hatte die Lage schnell wieder im Griff, ein paar Gesten und knappe Sätze brauchte es nur, dann waren die Spieler wieder draußen – und der klatschnasse Alonso setzte die Pressekonferenz fort. „Ein bisschen kalt“, sagte er zwar, aber der 42-Jährige aus dem baskischen Tolosa ist da in bestem Sinne preußisch: voller Disziplin, voller Professionalität und Arbeitsethos, voller Anspruch an sich selbst.
Xabi Alonso schon als Spieler herausragend
Nur das hat ihn ja dahingebracht, wo er jetzt ist, nach Leverkusen im Allgemeinen und in den nun von Biergeruch durchzogenen Presseraum im Besonderen. Alsonso war ja schon als Profi einer, der seinen Sport tief durchdrang, der nachdachte über den perfekten Fußball und der die Karriere nach der Karriere mit großer Umsicht anlegte: „Für mich ist es überhaupt keine Überraschung, dass er jetzt diesen Erfolg hat“, sagte Karl-Heinz Rummenigge, einst beim FC Bayern Chef des Spielers Alonso, schon vor einiger Zeit dieser Zeitung. „Er hat einen klaren Plan, er hat seine Laufbahn sehr systematisch aufgebaut: Er war in der Jugend bei seinem Heimatverein Real San Sociedad, dann in der zweiten Mannschaft. Er hat sich ganz bewusst die Zeit genommen, den Trainerberuf von Grund auf zu lernen. Spätestens da war mir klar, dass das mal ein großer Trainer wird.“
Ein großer Trainer – so darf man sich wohl nennen, wenn man aus Vizekusen Meisterkusen gemacht hat. Natürlich, der Erfolg hat viele Väter: den impulsiven Geschäftsführer Fernando Carro, der schon zu seinem Amtsantritt 2018 verkündete, dass er die Meisterschale nach Leverkusen holen wolle. Dafür wurde der Spanier belächelt, doch tatsächlich legte er den Grundstein für eine neue Erfolgskultur. Sebastian Rolfes baute als Sport-Geschäftsführer die passende Mannschaft dazu, mit dem Ideengeber Wirtz, mit dem Taktgeber Granit Xhaka, dem Linksaußen Alejandro Grimaldo, dem Offensiv-Tausendsassa Jonas Hofmann, mit weiteren Entdeckungen wie Frimpong, wie Odilon Kossounou und Victor Boniface. Der fehlte ja sogar monatelang, aber das Fehlen ihres besten Stürmers steckte die Werkself ungerührt weg, weil der Kader beeindruckend tief besetzt ist und weil die Mannschaft einen Fußball spielt, der bei aller Attraktivität, bei allem Funkeln erstaunlich selbstverständlich daherkommt.
Bayer Leverkusen kann noch zwei Titel holen
Ein Fußball, den der ebenfalls von Rolfes installierte Trainer Alonso in rund 18 Monaten als Cheftrainer immer weiter verfeinert hat. Ein Fußball von spanischer Prägung, mit perfekt abgestimmtem Positionsspiel und vielen schnellen, kurzen Pässen, die den Gegner auseinanderziehen und so lange hinterherlaufen lassen, bis er den Weg zum Tor irgendwann nicht mehr verteidigen kann. Ein Fußball, der Leverkusen nun ganz nach oben geführt hat – aber den Perfektionisten Alonso noch lange nicht ans Ziel. Es ist sehr besonders, hier zu feiern und deutscher Meister zu sein“, rief er noch am Sonntagabend der feiernden Menge zu. „Aber: Wir wollen mehr! Wir wollen den Pokal und auch die Europa League.“
Und natürlich denkt der umsichtige Planer Alonso längst schon weiter, längst auch an die kommende Saison. Warum, so hört man es in Leverkusen zumindest hinter vorgehaltener Hand, soll denn die kommende Saison nicht ähnlich erfolgreich laufen wie diese? Der Trainer bleibt, die Mannschaft bleibt größtenteils zusammen, die Konkurrenz um den FC Bayern hat genug mit sich und Fehlern der Vergangenheit zu tun. Man darf wieder groß denken in Leverkusen.