Essen. Der nächste Gewaltexzess im türkischen Fußball hat für Entsetzen gesorgt. Die Regierung und der Verband kündigen Konsequenzen an.
Fan-Skandal in der Türkei: Nach dem Süper-Lig-Spiel zwischen Trabzonspor und Fenerbahce Istanbul (2:3) haben gewalttätige Anhänger der Gastgeber für einen Skandal gesorgt. Nach dem Ende der Partie liefen mehrere Fans auf den Rasen des Trabzonspor-Stadions, anschließend kam es zu mehreren körperlichen Auseinandersetzungen mit jubelnden Spielern und Betreuern der Gäste.
Bilder und Videos zeigen unter anderem, wie ein Zuschauer einen Istanbuler Spieler mit einer Eckfahne bedroht. Fenerbahce-Torwart Dominik Livakovic bekam türkischen Medienberichten zufolge einen Faustschlag ins Gesicht. Der belgische Nationalspieler und frühere Dortmunder Michy Batshuayi, der den Sieg Fenerbahces in der Schlussphase mit dem 3:2 (87.) gesichert hatte, trat einen auf den Rasen laufenden Fan, wie auf einem weiteren Video zu sehen ist.
Der türkische Innenminister Ali Yerlikaya kündigte eine Untersuchung der Vorfälle an. Es sei „unter keinen Umständen akzeptabel“, dass es auf Fußballfeldern zu Gewalt komme, schrieb Yerlikaya auf X. Weder der türkische Fußballverband TFF noch die beiden Vereine reagierten am Sonntagabend unmittelbar.
Drei ehemalige Süper-Lig-Spieler beziehen Stellung
RevierSport fragte bei drei ehemaligen Spielern der Süper Lig nach und bat zu ihrer Einschätzung zu den neuerlichen Vorfällen.
Serkan Calik: „Als ich das am Sonntag gesehen habe, fehlten mir die Worte. Ich stand unter Schock. Ich konnte nicht fassen, was ich da im Fernsehen sah. Das ist ein Skandal, der niemals hätte passieren dürfen. Ganz Europa redet über uns und unsere Süper Lig - und das sehr negativ. Es reicht jetzt mit diesen Skandalen! Es muss im türkischen Fußball etwas passieren. Da muss einiges gesäubert werden. Wie? Das ist eine gute Frage. Eine Lösung habe ich nicht parat.
Das große Problem liegt ja viel tiefer als im Fußball. Das ist schon in den Genen, in der Kultur und in der Mentalität der Türken und Südeuropäer verankert. Wir sind einfach emotionalere Menschen und vergessen oft die Disziplin. Meine Familie stammt aus Trabzon und da geht es noch emotionaler als im Rest der Türkei zu. Aber wir müssen das in den Griff bekommen. Die Emotionalität kann und darf keine Entschuldigung für solche widerlichen Szenen sein. Dafür müssen jetzt drakonische Strafen folgen.“
Erhan Albayrak: „ Es muss einen radikalen Schnitt im türkischen Fußball geben!“
Erhan Albayrak: „Es ist einfach nur beschämend, was da passiert ist und was da seit Jahren geschieht. Wir blamieren uns vor der ganzen Welt - und das nicht nur der Fußballwelt. Ich schäme mich einfach nur noch für die Süper Lig! Der türkische Verband muss einen radikalen Weg gehen. So wie die Fans sich in den letzten Jahrzehnten radikalisiert haben, so radikal muss der Verband auf diesen ganzen Mist reagieren.
Ich würde sogar so weit gehen und die Spiele für ein Jahr mal komplett sein lassen. Heißt: keine Liga, kein Pokal - gar nichts. Bis die Menschen zur Vernunft kommen. Denn langsam sehe ich keine andere Alternative. Natürlich ist mein Vorschlag unrealistisch, weil einfach zu viele Menschen im Fußball beschäftigt sind. Es gibt in der Türkei zig von Zeitungen und TV-Sendern, die über den Fußball berichten. Davon leben ja auch viele Menschen. Und, es mag blöd klingen, gehört aber auch zur Wahrheit - leider: Die Berichterstattung lebt auch von solchen Skandalen. Darüber wird jetzt tage- und wochenlang geredet. Da wird jeder Spieler, jeder Experte und Ex-Profi zu befragt. Das geht rauf und runter.
Ich kann mich nur wiederholen: Es muss einen radikalen Schnitt im türkischen Fußball geben! Denn, ich bin ehrlich: Ich weiß doch auch, was da in den Amateurligen abgeht. Da gibt es Woche für Woche Abbrüche, Schlägereien und Mannschaften, die unter Polizeischutz antreten müssen. Wie sagt man so schön: Der Fisch stinkt vom Kopf her - die Süper Lig ist der Kopf, doch das Problem geht noch viel weiter. Der ganze türkische Fußball muss sich hinterfragen und die entsprechenden Personen eine Lösung für einen friedlichen Sport finden.“
Ali Bilgin: „Dass der Fußball in der Türkei gerade nicht dazu beiträgt, dass das Land nach außen hin gut repräsentiert wird, liegt ja auf der Hand. Das ist kein gutes Bild, dass die Türkei abwirft. Das Bild muss man ändern!
Das alles geht nur mit drastischen Strafen. Es gibt Beispiele in anderen Ländern, in denen das funktioniert hat. Da fällt mir sofort das Hooligan-Problem in England ein, das es in den 1980er und 1990er Jahren gab. Die Engländer haben das hinbekommen. Da ist man dann auch mal ins Gefängnis gegangen. Wenn das dazu beiträgt, was ja so ist, dann muss das auch in der Türkei angewandt werden. Fußball ist ein Sport, an dem man am Wochenende mit Freunde und Familien ins Stadion geht, abschaltet und Spaß hat. Man darf aber nie das Gehirn ausschalten. Wenn dann solche Menschen im Stadion sind und für Gefahren sorgen, dann hört der Spaß auf.
An die Vernunft wurde schon oft genug appelliert - auch vor diesem Spiel Trabzon gegen Fenerbahce. Beide Präsidenten haben betont, dass es sich hier nur um ein Fußballspiel handelt und beide Fanlager die Ruhe bewahren sollen. Das hat nicht geklappt. Ich komme aus Trabzon, bin aber Fener-Fan, weil ich für diesen Klub gespielt habe. Und ich kann die Trabzon-Fans hier überhaupt nicht verstehen. Als Galatasaray da vor Wochen gespielt hat, hat Trabzon fünf Stück bekommen und den Gala-Spielern applaudiert. Und jetzt ist es zu solch einem Skandal gekommen. Dabei haben die Fener-Spieler sich nur gefreut, schließlich spielen sie um die Meisterschaft. Trabzon hat nur um drei Punkte gespielt, sie liegen meilenweit in der Tabelle von Platz eins entfernt. Ich kann null Argumente für diese Szenen finden.“ mit sid