München. Der FC Bayern steuert auf die erste titellose Saison seit zwölf Jahren zu. Eine Analyse der vielleicht größten Krise der Münchner.

Am Montag musste es allen, die es mit dem FC Bayern halten, beim Aufwachen noch immer vorkommen wie Leon Goretzka. „Es fühlt sich an wie ein Horrorfilm, der nicht aufhört“, hatte der Mittelfeldspieler nach der 2:3-Niederlage beim VfL Bochum am Sonntag gesagt. Es war die dritte Niederlage in acht Tagen, nach dem 0:3 beim Tabellenführer Leverkusen und dem 0:1 bei Lazio Rom im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League.

Sehr viel spricht nun für die erste titellose Saison seit zwölf Jahren. Unmittelbare Konsequenzen schloss der Vorstandsvorsitzende Jan-Christian Dreesen aus. Tuchel werde am Samstag gegen Leipzig „selbstverständlich“ auf der Bank sitzen, sagte der CEO. Im Hintergrund läuft längst die Fehleranalyse. Mit der Mängelliste könnte man ja jene rund 75 Meter auslegen, über die sich Bochums Konter vorm 1:1 erstreckte. Die früh hochgelobte Generation der Jahrgänge 1995/96, von Kimmich über Goretzka und Leroy Sané bis Serge Gnabry, konnte und kann die Erwartungen nicht erfüllen. In Bochum geriet Kimmich aus Frust über seine Auswechselung mit Tuchels Assistent Zsolt Löw aneinander – ein Ausdruck des angespannten Binnenklimas.

Thomas Tuchel soll laut Bayern-CEO Jan-Christian Dreesen auch beim nächsten Spiel auf der Trainerbank sitzen.
Thomas Tuchel soll laut Bayern-CEO Jan-Christian Dreesen auch beim nächsten Spiel auf der Trainerbank sitzen. © Getty Images | Lars Baron

FC Bayern München: Immer wiederkehrende Fehler

Am Ende der übergeordneten Fehlerkette auf allen Ebenen steht die vielleicht größte Krise des FC Bayern seit der Saison 2006/07, als die Münchner die Qualifikation, für die Champions League verpasst hatten. Das aktuelle Mosaik des Misslingens setzt sich zusammen aus wiederkehrenden individuellen, aber auch mannschaftstaktischen Fehlern. Zu tun hat die allgemeine Verunsicherung wohl auch mit Tuchels Teamführung. Sämtlichen infrage kommenden Sechsern, ob Kimmich, Goretzka, Konrad Laimer, Raphaël Guerreiro oder dem Talent Aleksandar Pavlovic, sprach der Trainer im Sommer das gewünschte Profil einer „holding six“ ab. Auch Verteidiger Matthijs de Ligt und Thomas Müller seien von Tuchel „demontiert“ worden, sagen Kritiker.

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Als „zu verkopft“ bezeichnete Müller die Herangehensweise zuletzt. Auch Kimmich beklagte, es gebe kaum „Spielfreude, Kreativität, Leichtigkeit, Freiheit“. Im Spiel nach vorne lassen sich kaum Automatismen erkennen. Gewinnen die Offensivspieler ihre Duelle nicht, kommen die Bälle gar nicht erst zum Abnehmer, zu Mittelstürmer Harry Kane. Die Zulieferdienste und Angriffe versiegen oder münden gar in Kontern.

Mannschaft des FC Bayern wirkt keineswegs wie eine Einheit

Auch die Abwehrreihe wirkt wie die gesamte Mannschaft keineswegs wie eine Einheit. Es fehlt ein Kommandogeber und damit ein Bindeglied einer Achse zwischen Torwart und Mittelfeld. Auch die Verletzungsmisere muss als Grund für die Probleme genannt werden. Tuchel musste aber auch deshalb gerade in der Defensive immer wieder improvisieren, weil der Kader mit einer Unwucht konstruiert wurde. Nur drei Innenverteidiger zählten im ersten Halbjahr zur Belegschaft und nur ein echter Rechtsverteidiger.

Sacha Boey (links) kam im Winter für 30 Millionen zum FC Bayern München.
Sacha Boey (links) kam im Winter für 30 Millionen zum FC Bayern München. © Getty Images | Lars Baron

Der überteuert wirkende Kauf des Rechtsverteidigers Sacha Boey für 30 Millionen Euro war einer der Nottransfers des Winters. Ausgeliehen wurden zudem Verteidiger Eric Dier und Offensivspieler Bryan Zaragoza. Kritiker sagen, die Bayern hätten sich im vergangenen Sommer so sehr darauf konzentriert, mit dem Rekordeinkauf Kane den Fehler des Sommers 2022 zu korrigieren, als kein Nachfolger für Robert Lewandowski geholt worden war, dass die restliche Kaderarchitektur litt.

Rekordtransfer von Hernández schmeißt beim FCB die „Geldvernichtsungsmaschine“ an

Vielleicht muss man auf der Suche nach den Gründen für Bayerns Krise deutlich weiter zurückschauen. Bis zur Entlassung von Tuchels Vorgänger Julian Nagelsmann im März 2023 gegen den Willen von wesentlichen Teilen der Mannschaft. Oder vielleicht sogar bis ins Jahr 2017, als Hasan Salihamidzic Sportdirektor wurde und drei Jahre später die Beförderung zum Sportvorstand erhielt. Ein Jahr zuvor hatte der frühere Bayern-Profi den Rekordtransfer von Lucas Hernández für 80 Millionen Euro Ablöse getätigt und den Verteidiger mit einem sagenhaften Vertrag ausgestattet. Das Papier beinhaltete angeblich ein Jahresgehalt von rund 24 Millionen Euro und sorgte dafür, dass die Kollegen fortan auch deutlich mehr Lohn forderten. Mit dem Transfer von Hernández „wurde die Geldvernichtungsmaschine angeworfen“, befand das Magazin kicker.

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Und nun? Steht im Sommer wohl der nächste teure Umbruch bevor, im Kader und vermutlich auch im Trainerstab. Zuvor aber wird Max Eberl als neuer Sportvorstand erwartet. Seine Einstellung soll auf der Aufsichtsratssitzung am 26. Februar final beschlossen werden. Wie alle Akteure in der Vereins- und AG-Führung des FC Bayern bekommt Eberl seinen Job auf Wunsch des Ehrenpräsidenten Uli Hoeneß.