Las Vegas. Las Vegas bekämpft seinen Ruf als Sündenpfuhl mit großen Sportevents wie dem Super Bowl. Moralische Bedenken sind nicht der Antrieb.
Anfang des Jahrtausends befand sich Las Vegas in einer Sinnkrise. Die Stadt wollte sich von den Lastern Glücksspiel, Kriminalität und Sex lossagen, familienfreundlicher werden. Ob es eine gute Idee war, sei mal dahingestellt, aber ein zum Super Bowl 2003 platzierter Werbespot sollte den Wendepunkt markieren: Eine Frau im blauen Seidentop und auf Stöckelschuhen steigt in eine Limousine ein, flirtet mit dem Fahrer, streicht ihm durch die Haare, bevor sie im Auto verschwindet. Am Flughafen angekommen, steigt zur Verwunderung des Fahrers eine Frau im Business-Outfit und mit einem Handy am Ohr aus dem Fahrzeug. Der Spot endete spitzfindig mit den Worten „Was hier passiert, bleibt hier“ – und wurde nie während des Super Bowls gezeigt.
Super Bowl: Wie die NFL und Las Vegas doch noch zusammenfanden
Auch interessant
Es ist nicht allzu lange her, da würdigte die National Football League (NFL) Las Vegas keines zweiten Blickes. Das Glücksspiel in diesem Sündenpfuhl und der liebste Sport der Amerikaner waren laut eigenen Richtlinien unvereinbar. In der Werbung war kein glitzernder Spielautomat, kein brüllender Buchmacher zu sehen – für die NFL blieb sie ein No-Go, auch wenn der Spruch später Hollywood-Regisseure zu der Hangover-Reihe animierte und selbst die frühere First Lady Laura Bush 2004 in der Tonight Show auf Jay Lenos Frage nach dem Grund für einen beruflichen Trip in die Wüste von Nevada antwortete: „What happens in Vegas, stays in Vegas.“
20 Jahre später ist der Spruch eine olle Kamelle, seit 2020 ist er ohnehin abwandelt in „Was hier passiert, passiert nur hier“ und in Leuchtbuchstaben das erste Begrüßungskomitee am Internationalen Flughafen Harry Reid. Nebst Slotmaschinen versteht sich. Und obwohl die NFL lange ihren Prinzipien treu blieb, entwickelten sich Liga und Stadt unwissend in die gleiche Richtung: Mittlerweile sind seit 2020 die Raiders der feste NFL-Vertreter in Vegas, und der Super Bowl 58 zwischen den San Francisco 49ers und den Kansas City Chiefs in der Nacht zu Montag (0.30 Uhr deutscher Zeit/RTL) ist der nächste Meilenstein in der Transformation von Sin City zu Sports City. „Mehr Partys, mehr Events, mehr Hotels. Die ganze Show wird eine andere sein“, sagte der deutsche Raiders-Profi Jakob Johnson. „Vegas ist ja genau dafür gemacht, große Events zu hosten.“
Super Bowl bringt bis zu 700 Millionen Dollar nach Las Vegas
Dass Las Vegas nicht mehr auf dem Index der Sportwelt steht, sondern mittlerweile einer der florierendsten Märkte der USA ist, hat nichts mit gelockerten moralischen Bedenken, sondern mit Geld zu tun. Bereits das Formel-1-Debüt vor der weltberühmten Kulisse des Strips, das Weltmeister Max Verstappen aber auch erst nach seinem Sieg als „99 Prozent Show und ein Prozent Sport“ abkanzelte, soll 1,3 Milliarden Dollar in die Region gebracht haben. Der ökonomische Effekt des Super Bowls wird auf bis zu 700 Millionen Dollar beziffert. Jahrzehnte lang sollten NFL und Las Vegas wie Romeo und Julia nicht zusammenkommen, am Montag aber sprach Ligenchef Roger Goodell, den „Schutz der Integrität des Sports“ selbstredend genauso im Sinn wie die Renditenwünsche der Klubbesitzer: „Die Stadt hat sich geändert, und wir passen uns dem Umfeld an.“ Selbst durch die nikotingeschwängerte Luft der Casinos ist das Blinken des NFL-Automaten, an dem Fans je nach Gusto mit ihrem Lieblings-Team zocken können, nicht zu übersehen.
Auch interessant
Glücksspiel ist seit einigen Jahren in mehr als 30 Bundesstaaten erlaubt, Las Vegas kämpft verzweifelt um seinen Ruf als aufregendste Stadt der Welt. Die 2,5 Millionen Einwohner zählende City, in die die jährlichen 40 Millionen Besucher nicht mehr für Junggesellenabschiede, sondern für Konzerte von U2 in der futuristischen Konzertkuppel Sphere, Sterneküche und Haute Couture kommen, brüllt: Kommt hier her, habt hier Spaß, habt euer einmaliges Lebenserlebnis bei uns. Teams im American Football (NFL), Baseball (MLB) und Eishockey (NHL) sollen dabei helfen. Es ist eine Wette auf den Sport.
Profisport in Las Vegas? „Nur über meine Leiche“, wiegelte NBA-Chef Stern ab
„Es war klar: Jede Stadt, die Weltklasse darstellen möchte, braucht dazu Spitzensport“, sagte Carolyn Goodman. Die 84-Jährige ist Bürgermeisterin von Las Vegas und beerbte auf dem Stadtthron ihren Mann Oscar, der schon früh den Kontakt zu den Liga-Bossen gesucht hatte. Vor einem Vierteljahrhundert blitzte er überall ab, der damalige NBA-Chef David Stern tönte, Basketball in Vegas gebe es „nur über meine Leiche“. Eine unglückliche Wortwahl, denn Oscar Goodman vertrat vor seinem Einzug ins Rathaus als Anwalt Mafiosi und scherzte, er kenne Leute, die das einrichten könnten.
Nicht jedem gefällt der Wandel: „Was mich bis heute nervt, ist, wenn jemand sagt: Los, mach dich bereit für Sin City“, sagt Mr. Vegas höchstpersönlich, der 81 Jahre alte Showstar Wayne Newton, dessen Stern 1959 auf dem Strip aufging. „Denn es gibt hier nichts mehr, was es nicht auch in jeder anderen Stadt der USA gibt.“ Aber seitdem das Eishockey-Team der Golden Knights, aktueller Stanley-Cup-Sieger, 2017 in die Stadt kam, ein Jahr darauf die Basketballerinnen der Aces, zuletzt zweimaliger Landesmeister, und 2020 die Raiders von Oakland umgetopft wurden, besuchen immer mehr Touristen ein Sportereignis in Las Vegas.
Super Bowl: Las Vegas kauft sich den Sport mit Steuergeschenken
Auch interessant
Steuergeschenke, die zur Finanzierung der sündhaft teuren, aber spektakulären Arenen beitragen, ebnen den Weg zu Gunsten der Ligenbosse. Für den 1,7 Milliarden teuren Glaspalast Allegiant Stadium, in dem am Sonntag die Niners und Chiefs spielen, zahlt jeder Tourist bei einer 100 Dollar teuren Übernachtung 88 Cent Umlage. Genauso soll es beim Ballpark für das Baseball-Team der Oakland Athletics, die 2028 nach Vegas umziehen sollen, sein. Die Pläne, auch NBA-Basketball künftig anzubieten, sind weit gediehen: Als Investoren werden unter anderem LeBron James und Shaquille O’Neal genannt.
Für Las Vegas hat das Spiel gerade erst begonnen.