Leipzig. Der knappe 3:2-Sieg in letzter Minute belegt mentale Stärke und taktische Reife des Tabellenführers Bayer Leverkusen. So ist viel drin.
Ratlosigkeit ist kein Zustand, in dem sich Marco Rose oft befindet. Der Trainer von RB Leipzig ist ein reflektierter Mann, er hat Ahnung von seinem Job, ist selbstbewusst, und schlagfertig kann er auch sein. „Kacke“, sagte der 47-Jährige vergangenen Samstag nach dem 2:3 (1:0) im Heimspiel gegen Bayer Leverkusen, in dem sein Personal der besten Abwehr der Liga zwar zwei Tore eingeschenkt, aber auch drei habe einstecken müssen.
Für Rose und sein Team ist es die zweite Pleite im neuen Jahr und zusammen mit dem Remis gegen Bremen vor Weihnachten die dritte Partie in Folge ohne Sieg. Von hinten hat sich des Trainers Ex-Klub Borussia Dortmund bis auf die schlechtere Tordifferenz an Rang vier herangesiegt. Kommende Woche müssen die Sachsen zum Dritten VfB Stuttgart, der - aus Leipziger Sicht zm Glück - ebenfalls seine zwei ersten 2024-Spiele verloren hat. Ein Punkt trennt beide Vereine.
Bayer Leverkusen kommt zweimal zurück
Bayer hingegen surft weiter auf einer Erfolgswelle. Der Sieg gegen RB war der zweite in Folge, der den Rheinländern in buchstäblich letzter Sekunde gelang. Zuvor war das 1:0 gegen Augsburg vergangenes Wochenende in der 94. Minute gefallen. Dieses Mal kippte das Spiel in der 91. Minute in Bayers Richtung. Piero Hincapie erzielte nach einer Ecke das 3:2, nachdem RB durch Xavi Simons (7.) und Lois Openda (56.) zweimal in Führung gegangen war und Leverkusen durch Nathan Tella (47.) und Jonathan Tah (63.) jeweils ausgeglichen hatte. Tella war in der 31. Minute für den am Knie verletzten Jeremy Frimpong in die Partie gekommen; eine Diagnose der Blessur des Niederländers steht noch aus.
„So dreht man Spiele, ey!“, rief Tah nach dem Spiel durch den Kabinentrakt, während Jonas Hofmann die Comeback-Qualitäten des Tabellenführers pries. „Das muss nicht immer so sein“, sagte der Nationalspieler, aber es sei „umso schöner, so zu gewinnen. Wir waren vor allem vom zweiten Rückstand ziemlich unbeeindruckt.“
Das 18. Spiel ohne Niederlage in Serie bei nur drei Remis und 15 Siegen war nicht nur eine Machtdemonstration gegenüber dem in der Tabelle um 15 Punkte schlechteren Liga-Vierten RB. Es war auch eine Reifeprüfung des Kaders von Trainer Xabi Alonso, der den Dreier im frostigen Leipzig mit der gewohnten Zurückhaltung kommentierte: „Wir haben ein sehr intensives Spiel gesehen“, sagte der Spanier. „Es hätte am Ende alles passieren können.“
Bayer-Trainer Alonso passt Strategie an
Bayer war durch zu hohes Pressing in den ersten 30 Minuten arg in Bedrängnis gewesen. In der Pause hatte Alonso deshalb seine Strategie angepasst; er zog „Sechser“ Granit Xhaka weiter nach hinten und stellte auf Spielkontrolle um, was RB mit dem Wiederanpfiff schwindeln und taumeln ließ. Bayer setzte einen Ballbesitzfußball um, wie ihn eigentlich nur Manchester City unter Alonsos Landsmann Pep Guardiola beherrscht.
Rose nahm seinem Kollegen deshalb die rechte Einordnung der Ereignisse auf dem Rasen der Leipziger Arena ab. „Leverkusen spielt die Angriffe so lange durch, bis sie eine Chance auf eine Chance haben“, sagte der RB-Coach und markierte damit einen der entscheidenden Unterschiede zu seinem Team. Ein weiterer Aspekt war Alonsos Würgegriff-Fußball, mit dem dessen Spieler den Gegner in die Atemlosigkeit bekamen. Mit diesem Ansatz hatten sie Ende vergangenes Jahr auch den BVB aussehen lassen wie eine U-19. „Am Ende versuchen sie immer wieder Überzahl in Ballnähe im Zentrum zu schaffen, um das Mittelfeld zu kontrollieren“, analysierte Rose anerkennend – und auch verzagt. „Egal, was du machst, es ist Wurst.“
Sprich: Der Gegner kommt so gut wie nicht mehr an den Ball. Kein anderes Team in der Liga ist aktuell in taktischen Fragen so variantenreich und beherrscht den Überzahl-Ballbesitzfußball vergleichbar virtuos wie Alonsos Bayer. Auch nicht Verfolger FC Bayern, der häufig von den Talenten seiner Einzelspieler profitiert.
Hofmann bezeichnete den Sieg beim Tabellenvierten aus Leipzig deshalb auch als „Ausrufezeichen“ an den einzigen verbliebenen Konkurrenten um den Gewinn der deutschen Meisterschaft. RB-Sportdirektor Rouven Schröder pflichtete bei. „Das ist nicht mehr nur ein Flow. Das macht Bayer schon sehr, sehr gut.“