Rom. Italiens Fußball kommt nicht zur Ruhe. Die Bilanz ein Jahr nach dem sensationellen Rücktritt von Juventus-Präsident Andrea Agnelli.

Demut ist eingekehrt in Italiens Fußballszene. Der größte Star, Juventus-Profi Paul Pogba, ist wegen Dopings gesperrt. Der schillerndste einheimische Kicker, Mario Balotelli, fiel zuletzt nur auf, weil er bei einer Stippvisite in seiner Heimatstadt Brescia einen Sportwagen zu Schrott fuhr. Und in der Champions League wurde der einst führende AC Mailand von Borussia Dortmund im eigenen Stadion gedemütigt.

Juventus Turin darf sich auf europäischem Geläuf nicht einmal Niederlagen abholen. Der Serienmeister wurde für ein Jahr lang von der Uefa von allen Wettbewerben ausgeschlossen. Hintergrund sind Bilanzmanipulationen, die die Turiner Staatsanwaltschaft aufdeckte. Um mehr als 150 Millionen Euro sollen die Juventus-Manager bei Transfers Spielerwerte gen Himmel gedrückt haben, um so das Defizit von Verpflichtungen wie die von Cristiano Ronaldo weniger krass aussehen zu lassen. Schulden machte der Klub trotzdem Jahr für Jahr. 900 Millionen Euro schossen die Aktionäre um die Familienholding der Agnelli dem Wirtschaftsblatt Il Sole 24 Ore zufolge in den letzten vier Jahren nach. Die jüngste Kapitalerhöhung von 200 Millionen Euro wurde auf der Hauptversammlung im November beschlossen.

Juventus verbrennt weiter Geld, Zockerskandal beim AC Mailand

Juventus verbrennt weiter Geld, die sportliche Rendite aber ist dürftig. Der letzte Titel ist drei Jahre her. Und auch aktuell läuft es nicht toll. „Juventus hat einen Vorteil in der Serie A, weil es nicht in den europäischen Wettbewerben spielen muss und die Spieler Kraft sparen können. Das ist im Laufe einer Saison bestimmt zehn Punkte wert“, meinte Ex-Nationtrainer Arrigo Sacchi. Nun, nach etwa einem Drittel der Saison steht Juventus nicht drei oder vier Punkte vor der Konkurrenz, sondern hechelt Tabellenführer Inter Mailand hinterher. Das direkte Duell endete in Turin 1:1. Und die Juventus-Spieler vermittelten nicht den Eindruck, das Spiel noch auf ihre Seite zwingen zu können. „Die Spieler sind es nicht mehr gewohnt, um die Tabellenspitze mitzuspielen. Das ist ja auch schon drei Jahre her, dass wir zuletzt in so einer Situation waren. Jetzt waren sie einfach etwas eingeschüchtert“, versuchte Trainer Massimiliano Allegri den Angsthasenfußball zu erklären.

Ex-Juve-Präsident Andrea Agnelli.
Ex-Juve-Präsident Andrea Agnelli. © dpa | Salvatore Di Nolfi

Gegner Inter immerhin hat sich standesgemäß vorzeitig für die nächste Runde in der Champions League qualifiziert. Die Nerazzurri sind auch das einzige Spitzenteam in Italien ohne akute juristische oder sportliche Probleme. Vorjahresmeister SSC Neapel warf den Nachfolger von Erfolgscoach Luciano Spalletti schon hinaus und griff auf den länger vereinslosen Walter Mazzarri zurück. Der AC Mailand hat damit zu kämpfen, dass ein aktueller und ein ehemaliger Spieler in den Zockerskandal der Serie A verwickelt sind. Auch zwei frühere Kicker des AS Rom – einer von ihnen spielt jetzt in Mailand – gerieten in das Visier der Ermittler der Turiner Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft. Und wenn es um Skandale geht, darf die Alte Dame nicht fehlen. Der erste Spieler, der wegen illegaler Wettaktivitäten vernommen wurde, war Juves Mittelfeldtalent Nicolò Fagioli.

Super League war ein Lieblingsprojekt von Agnelli

Durchstehen muss Juventus auch noch den Strafprozess wegen Bilanzfälschung. Der ist nach Rom verlagert worden und wird frühestens im nächsten Jahr zu einem Ergebnis führen. Der alten Vereinsführung um den fast genau vor einem Jahr zurückgetretenen Präsidenten Andrea Agnelli drohen Haftstrafen von vier bis zwölf Jahren. Der Verein selbst dürfte mit einer Geldstrafe davonkommen, hieß es auf Nachfrage dieser Zeitung bei der Turiner Staatsanwaltschaft. Am 21. Dezember will der Europäische Gerichtshof (EuGH) seine Entscheidung über die Klage des Super League-Promoters A22 gegen das Wettbewerbsmonopol der Uefa bekanntgeben. Legt der EuGH – wie schon 1995 beim Bosman-Urteil – erneut die Maßstäbe der freien Wirtschaft an den Sport an, dürfte der Weg für alternative Anbieter mit großen Investoren im Rücken frei werden. Die Super League war ein Lieblingsprojekt von Ex-Juve-Boss Agnelli.

Umkämpftes Duell zwischen Inters Stefan de Vrij (l.) gegen Juventus‘ Arkadiusz Milik.
Umkämpftes Duell zwischen Inters Stefan de Vrij (l.) gegen Juventus‘ Arkadiusz Milik. © AFP | Marco Bertorello

Seine Nachfolger haben sich aus der A22 zwar zurückgezogen. „Wir beobachten das Verfahren aber genau und bewerten dann die Auswirkungen“, betonte der neue Juve-Präsident Gianluca Ferrero. Bei einem möglichen Revival der Super League will Juventus vermutlich nicht abseits stehen. Vorauszupreschen wie einst unter Industriellenspross Agnelli ist aber auch nicht angesagt. Demut eben statt Führungsanspruch.