Dortmund. Ex-Nationalspieler Bernd Schuster sieht im Interview Probleme in der deutschen Nationalmannschaft – aber auch Titelchancen bei der EM.

Es hat etwas von einem Klassentreffen: Miroslav Klose ist ins Deutsche Fußballmuseum in Dortmund gekommen, Philipp Lahm ebenso. Die Weltmeister von 2014 stehen nun gemeinsam mit dem 1990er-WM-Gewinner Jürgen Kohler in einer Ecke und fachsimpeln über die aktuelle Abwehr der deutschen Nationalmannschaft. Ein paar Räume weiter – in der Schatzkammer, wo die von den deutschen Mannschaften gewonnenen Pokale ausgestellt werden – dreht ein TV-Team gerade mit Karl-Heinz Rummenigge für einen Fernsehbeitrag. Sie alle sind nach Dortmund gekommen, weil sie frisch in die Hall of Fame des deutschen Fußballs berufen wurden – ebenso wie Bernd Schuster. Im Interview spricht der 63-Jährige über diese Auszeichnung, seine ungewöhnliche Karriere und den aktuellen Zustand des deutschen Fußballs.

Sie sollen ziemlich überrascht gewesen sein, als Sie von der Berufung in die Hall of Fame erfuhren.

Bernd Schuster: Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet, weil ich die längste Zeit meiner Karriere im Ausland war. Fünf Jahre Bundesliga und 21 Länderspiele, das ist jetzt nicht so das ganz große Ding. Aber wir haben den deutschen Fußball im Ausland vertreten. Und das auf ganz gute Art und Weise – das hat dann sicher auch eine Rolle gespielt.

In Deutschland flogen Sie tatsächlich während Ihrer Karriere oft etwas unter dem Radar, während Sie in Spanien verehrt wurden.

Das hat einen einfachen Grund: Man hat in Deutschland keine Spiele von uns gesehen. Einmal, zu einem Clásico, kam unser Bundestrainer Jupp Derwall nach Madrid und hat sich das Spiel angeguckt. Deswegen flog ich tatsächlich unter dem Radar. Heute sehen Sie Rüdiger, Kroos, Bellingham, ter Stegen alle drei Tage in Deutschland. Dann bleibt natürlich auch etwas mehr hängen.

Dabei wären Sie gerne zum FC Bayern gewechselt – aber dem waren 3,5 Millionen Mark Ablösesumme zu viel.

Leider, denn das wäre mein Traum gewesen. Aber alles über eine Million Mark als Ablöse galt damals als Skandal, das ging gar nicht. Der FC Barcelona hat das locker hingelegt – und auf einmal war ich in Spanien.

Bernd Schuster (l.) mit unserem Reporter Sebastian Weßling.
Bernd Schuster (l.) mit unserem Reporter Sebastian Weßling. © Sebastian Weßling | Sebastian Weßling

Dort hatten Sie sogar mal Ärger mit einem Trainer, weil Sie mehr trainieren wollten als er.

(lacht) Ja, das gab es auch. Helenio Herrera meinte damals, dass 45 Minuten Training am Tag vollkommen ausreichen. Ich war frisch aus Deutschland, wo vormittags und nachmittags trainiert wurde, und habe dann nachmittags einfach für mich trainiert. Das habe ich irgendwann mal in einem Interview erzählt – und das hat dem Trainer überhaupt nicht gefallen.

Seit im Februar 2019 Ihre Zeit als Trainer beim chinesischen Klub Dalian Yifang endete, sind Sie ohne Engagement. Ist das Thema für Sie durch?

Eigentlich nicht, aber es wird immer schwieriger für Leute wie mich. Wir kommen aus einer anderen Generation, es kommen junge Trainer nach, und die bekommen natürlich Chancen. Ich hätte gern noch ein paar Jahre gemacht, ich fühle mich noch richtig gut. Die ganze Erfahrung, die ich habe, würde ich gerne weitergeben. Aber wenn es dann so zu Ende gehen soll, ist es auch kein Problem.

Hat der deutsche Fußball in Ihren Augen in den vergangenen Jahren zu sehr auf junge Trainer und Akademisierung gesetzt, war die Taktik wichtiger als der Spieler?

Absolut! Die Persönlichkeiten und Talente der Spieler wurden links liegen gelassen. Man wollte zu sehr alle über einen Kamm scheren, alle sollten das Gleiche machen. Aber das geht beim Fußball nicht. Deswegen wundert mich nicht, dass das Pendel wieder ein wenig in die andere Richtung schwingt, dass die erfahrenen Trainer wieder etwas stärker involviert werden, die ein Gefühl haben für die Talente, für die außergewöhnlichen Spieler und die Freiheiten, die man ihnen geben muss. Nehmen Sie Jude Bellingham bei Real Madrid. Carlo Ancelotti hat dort als Trainer seit vielen Jahren immer nur in einer 4-3-3-Formation spielen lassen. Jetzt kommt Jude Bellingham, da hätte er ja auch sagen können: Ich spiele 4-3-3, das ist mein System, da muss ich diesen Spieler irgendwie einpassen. Aber jetzt spielt er mit Bellingham in der Halbspitze - und das funktioniert überragend. Das bekommen viele junge Trainer so noch nicht hin, weil es bei ihnen zu schematisch abläuft.

Wie gefällt Ihnen denn die Bundesliga aktuell? Man hat das Gefühl, dass wieder einige Vereine mehr auf attraktiven Ballbesitzfußball setzen, Bayer Leverkusen etwa spielt richtig stark auf.

Ja, da merkt man beiXabi Alonso die spanische Prägung, die Spielphilosophie, die Mentalität. In Spanien wurde immer Wert auf gepflegten Fußball gelegt. Das hat Alonso auch geprägt und er prägt jetzt Leverkusens Fußball. Er hat die Mannschaft wieder aufgepäppelt. Ich kenne seine Mentalität, ich habe mit seinem Vater in Barcelona zusammengespielt. Mich wundert nicht, dass das so funktioniert.

Bei der deutschen Nationalmannschaft funktioniert aktuell nicht so viel.

Im Moment fehlt einfach die Qualität. Es fehlen Spieler, die absolute Klasse haben, man ist ins Mittelmaß abgerutscht. Das wird jetzt auch dauern, sich da wieder rauszuarbeiten, das geht nicht von heute auf morgen.

Gibt es denn Mannschaften, bei denen Sie diese absolute Klasse sehen?

Gute Frage. Die französische Nationalmannschaft ist natürlich so stark besetzt, dass man sich immer fragt: Wer soll die eigentlich schlagen? Aber dann stolpern sie doch immer wieder mal. Die Engländer haben ein bisschen zugelegt, die profitieren von der starken Premier League. Die Spanier stecken im Umbruch, die kommen so langsam wieder nach oben. Einen Europameister zu tippen, ist tatsächlich schwierig. Frankreich, Deutschland, Spanien, England, vielleicht Kroatien und Portugal – im Moment sind viele Mannschaften auf ähnlichem Level, keine ragt wirklich heraus.

Entscheiden es dann doch die starken Einzelspieler wie Kylian Mbappé für Frankreich?

Oder Jude Bellingham für England. Wenn der die Saison so durchzieht – mein lieber Mann!

Und solche Typen fehlen der deutschen Mannschaft?

Absolut. Bei Jamal Musiala habe ich gedacht, dass das so einer wird, aber der stagniert ein wenig. Der macht tolle Sachen, der hat eine tolle Technik, gute Bewegungen. Aber vielleicht ist er auch wegen der vielen Turbulenzen beim FC Bayern und der Nationalmannschaft etwas stehengeblieben in seiner Entwicklung, das kommt schon mal vor.

Was trauen Sie denn der deutschen Mannschaft bei der EM zu?

Man spürt noch, dass die Enttäuschung der WM etwas nachhängt. Die darauffolgenden Spiele haben auch nicht dazu beigetragen, dass man das vergisst. Da muss man ein bisschen abwarten, das kann sich mit Julian Nagelsmann auch schnell wieder ändern. Bis zum nächsten Jahr ist ja noch Zeit, eine Mannschaft zu entwickeln. Es fehlt aber leider auf einigen wichtigen Positionen die Qualität.

Welche sind das? Mittelstürmer, Außenverteidiger?

Ja, und auch im Abwehrzentrum. Ich weiß nicht, ob das mit Mats Hummels funktioniert. Er ist ja leider ziemlich verletzungsanfällig. Aber vielleicht schafft er es ja, fit zur EM zu kommen. Dann passt es schon mit Rüdiger zusammen, das ist ja normalerweise ein tolles Pärchen.