Turin. Bei den ATP Finals ist für Alexander Zverev nach der Vorrunde Schluss. Doch die deutsche Nummer eins kommt der Spitze immer näher.
Am Ende einer langen, auszehrenden Saison machte Alexander Zverev noch einmal mit den kuriosen Besonderheiten der Tennis-WM Bekanntschaft. Das Saisonfinale ist traditionell das einzige Turnier, bei dem nach einer Niederlage noch nicht Schluss sein muss mit allen Titelhoffnungen. Und bei dem man selbst nach einem Sieg auch schon mal die Koffer packen darf. Tatsächlich gewann der Hamburger Spiel Nummer 82 seiner persönlichen Tennisserie 2023 – 6:4, 6:4 gegen den Russen Andrej Rublew am Freitagabend –, aber nach diesen letzten Ballwechseln war es dennoch ein kleines bisschen zu früh und ziemlich frustrierend beendet, das Comeback-Jahr des Olympiasiegers. „Wenn du zwei Spiele in deiner Gruppe gewinnst und trotzdem heimfährst, nervt das schon“, sagte Zverev, „ich wäre gerne am Wochenende noch dabei gewesen.“
Andererseits passte es schon ganz gut zu dieser Saison und den Machtverhältnissen in der Weltspitze, dass die ersten Vier der Rangliste im Halbfinale standen – Novak Djokovic, Carlos Alcaraz, Daniil Medwedew und Shootingstar Jannik Sinner, der WM-Lokalmatador. In der Hitliste der Tennisgrößen liegen die Top 4 ja mit gehörigem Abstand zum Rest der Welt vorn, auch zum Rest der Top 10. Dass Zverev die Akte Turin und die Akte 2023 dennoch mit einem auch mutmachenden Gefühl schließen konnte, erlaubte der Blick auf seine Leistungskurve – denn je länger die Spielzeit andauerte, umso näher kam der deutsche Spitzenmann an die absoluten Spitzenleute heran.
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In der zweiten Saisonhälfte gelangen ihm auch die bis zur WM einzigen Siege gegen Top-Ten-Konkurrenz, darunter der Achtelfinalsieg gegen Sinner bei den US Open. „Ich bin eigentlich auf dem Niveau zurück, auf dem ich sein wollte zu Saisonbeginn. In Schlagdistanz zu denen ganz oben. Fürs nächste Jahr setze ich mir keine Limits“, sagte Zverev. Wendepunkte, auch emotional, waren 2023 die French Open gewesen, die komplizierte, aber erfolgreiche Rückkehr an den Schauplatz seiner hässlichen Verletzung aus dem Vorjahr. Erst im Halbfinale schied Zverev aus. Ein paar Wochen später gewann er das Turnier-Heimspiel am Hamburger Rothenbaum, „eine Wohltat für den Kopf, für das Selbstbewusstsein“, wie Zverev feststellte.
Im Endspurt verkörperte nur Zverev Weltklasse
Auf den letzten Metern der Saison 2023 war dann in jeder Beziehung auch wieder die Hierarchie im nationalen Spitzentennis wiederhergestellt. In der anfänglichen, verständlichen Leistungskrise des zurückgekehrten Zverevs hatten Akteure wie Jan-Lennard Struff, Yannik Hanfmann oder Daniel Altmaier für teils erstaunliche Ergebnisse und Schlagzeilen gesorgt, Struff überholte Zverev sogar kurzfristig und stieg zur deutschen Nummer 1 auf. Aber im Endspurt war der Goldmedaillengewinner von Tokio wieder der einzige zuverlässige deutsche Weltklassespieler.
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Einer, auf dem nun auch zwingend die größten Hoffnungen für das besondere Jahr 2024 ruhen. „Auf diese Saison freue ich mich wie auf keine zuvor“, sagte Zverev bei seinem WM-Abschied, „ich denke, es ist ganz viel möglich für mich. Meine Motivation ist riesengroß, ganz besonders für die Olympischen Spiele in Paris.“ Dort, daraus machte der 26-jährige keinen Hehl, wolle er am liebsten auch als Fahnenträger zur Eröffnungsfeier marschieren.
Anfang des Jahres kommt es zum Prozess
Wobei der Hamburger überhaupt nur in Betracht käme, wenn er völlig unbelastet aus den juristischen Streitigkeiten mit seiner Ex-Freundin Brenda Patea hervorginge – Zverev hat gegen einen vom Amtsgericht Tiergarten wegen Körperverletzung (häusliche Gewalt) verhängten Strafbefehl in Höhe von 450.000 Euro Einspruch eingelegt. Anfang des kommenden Jahres soll es zum Prozess kommen. Am Freitagabend verabschiedete sich Zverev aus Turin mit dem ersten Kommentar zu der Causa seit längerer Zeit. „Ich habe es gesagt: Jeder, der halbwegs einen hohen IQ hat, versteht, um was es geht.“ Was offenbar nicht anderes suggerieren soll, als dass es um Geld gehe.
Ein Gala-Abend für seine Stiftung am Montagabend im Allgäu, ein paar Medientermine – dann geht es für Zverev am Mittwoch traditionell mit Freundin und Familie auf die Malediven. Dort will sich der Riese, der das Jahr als Nummer 7 der Rangliste beendete, nicht viel Zeit zum Faulenzen und Müßiggang geben, Anfang Januar geht es schon wieder beim United Cup in Australien los, unter anderem mit Comebackerin Angelique Kerber an seiner Seite. „Ich bin jemand, den es schnell wieder in den Fingern juckt, der wieder aktiv werden muss“, sagte Zverev, „ich liebe es, im Training zu sein, mich weiter zu verbessern.“ Training, so sprach Zverev schließlich noch in einem TV-Interview, sei „irgendwie auch Urlaub.“