Las Vegas. Das Formel-1-Rennen in Las Vegas soll ein teures, verrücktes Spektakel werden. Doch aus Sicherheitsgründen misslingt der Auftakt.

Ganze acht Minuten dauert es, da geht vorerst nichts mehr beim großen PS-Roulette. Das erste Training zum Großen Preis von Las Vegas (Sonntag, 7 Uhr/Sky) muss aus Sicherheitsgründen abgebrochen werden. Alles auf Rot, nachdem der Ferrari von Carlos Sainz einen heftigen Schlag von unten bekommt und stehenbleibt. Der Rennwagen hatte mit Tempo 320 einen aus der Verankerung gerissenen Deckel eines Wasserrohrs überfahren, im Unterboden des Autos klaffte ein Loch. Offenbar war die Betonumrandung des Abflusses nach nur wenigen Runden durch die Vibrationen der schweren Rennwagen bereits zerbröselt worden. Das Chassis des Alpine-Rennwagen von Esteban Ocon wurde ebenfalls zerstört, danach galt die Strecke als nicht mehr sicher genug. Jeder Deckel auf den 6,1 Kilometern musste inspiziert oder fixiert werden, das zog sich die halbe Nacht hin, erst um 2.30 Uhr konnte das späteste Training der Formel-1-Geschichte vor einer Geisterkulisse beginnen.

Gewaltiger Imagegewinn erwartet

Dieser Fehlstart in das Nachtrennen ist die größtmögliche Peinlichkeit für ein Formel-1-Rennen, das unbescheiden damit geworben hat, das größte Spektakel der Welt zu bieten. Plötzlich bekommt der so gern benutzte Begriff vom Spieler-Paradies einen bitteren Beigeschmack. Um die Sicherheit darf nie gezockt werden, da gilt auch nicht die Ausrede, dass die Piste erst in letzter Minute fertig geworden ist. „Das ist nicht akzeptabel für die Formel 1“, schimpfte der sichtlich geschockte Ferrari-Teamchef Fred Vasseur, auch wenn Ähnliches schon in Monte Carlo und Baku vorgekommen ist. Rennstreckenchefin Renee Wilm hatte zuvor ihre Planungen als monumental bezeichnet: „Für das, was wir hier tun, gibt es kein Drehbuch. Es ist wirklich einzigartig.“

Fürs erste war es daher nichts mit den spektakulären Bildern, die von einer ganz neuen Dimension sportlicher Unterhaltung zeugen sollten. Es war eher traurig, den gestrandeten Ferrari vor den Fontänen des Bellagio-Hotels stehen zu sehen, die auch prompt erloschen. Für 11.000 Dollar pro Ticket hätten sich die VIP-Gäste des Hauses zum Auftakt doch etwas mehr sportliche Unterhaltung gewünscht. Zusammen mit Formel-1-Besitzer Liberty Media erwarten sich gerade die Casino-Betreiber von der Rennpremiere einen gewaltigen Imagegewinn und Rekordumsätze.

1,3 Milliarden Euro Umsatz für die Formel 1 in Las Vegas

Mercedes-Sportchef Toto Wolff bescheinigte den Veranstaltern dennoch einen „phänomenalen Job“. Zornig verbot er sich Anschuldigungen gegen Formel-1-Betreiber Liberty Media: „Wir reden hier von einem verdammten Kanaldeckel. Ich erwarte mehr Anerkennung gegenüber denjenigen, die den Sport so groß wie nie zuvor gemacht haben!“ Von Donnerstag bis Sonntag werden bei der Premiere in Las Vegas 1,3 Milliarden Dollar Umsatz erwartet.

Carlos Sainz aus Spanien vom Team Ferrari kontrolliert sein Auto, nachdem er beim Training über einen Kanaldeckel gefahren ist.
Carlos Sainz aus Spanien vom Team Ferrari kontrolliert sein Auto, nachdem er beim Training über einen Kanaldeckel gefahren ist. © DPA Images | Nick Didlick

Ursprünglich galt das LED-Weltwunder „Sphere“ als größte Gefahr für die Rennfahrer, die in der Kurvenkombination sieben und acht direkt auf die riesige leuchtende Halbkugel zurasen. Die Betreiber mussten die Videobilder entsprechend runterdimmen, und sollten die Formel-1-Warnfarben Rot und Gelb meiden. Die Aussagen von Weltmeister Max Verstappen, seit Wochen der größte Kritiker des Spektakels in der Wüste, erscheinen nun in einem neuen Licht. Noch am Tag vor dem verpatzten Auftakt hatte er seine Verärgerung zum Ausdruck gebracht: „Das hier ist zu einem Prozent Sport und zu 99 Prozent Show.“

Formel-1-Chef Stefano Domenicali frohlockte hingegen: „Wir werden damit ein Ausrufezeichen setzen.“ Zur Jahrtausendwende war sich der Manager noch sicher gewesen, dass die Formel 1 in den Vereinigten Staaten keine Zukunft hätte. Jetzt hat sein Arbeitgeber Liberty Media, eine halbe Milliarde Dollar in den vorletzten WM-Lauf investiert. Einen ganzen Straßenblock gekauft und mit einer Boxenanlage bebaut, die die Größe von 22 Fußballfeldern hat. Unten arbeiten die Mechaniker, oben werden tausende VIP-Gäste bewirtet. Wichtigkeit lässt sich in dieser Stadt grundsätzlich kaufen, insgesamt 25.000 dieser Tickets sind zu Preisen von 8.000 Dollar an aufwärts verkauft worden. Das Top-Paket eines Hotels beläuft sich auf fünf Millionen Dollar, samt Sternekoch und Rolls-Royce. Es ist das teuerste aller Rennen, wohl auch das verrückteste.

Las Vegas will sich als Sportmetropole etablieren

Las Vegas und die Formel 1 sind Seelenverwandte, wenn es ums Geld geht. Weshalb Sport und Show verschmelzen, gleichermaßen ans Limit getrieben werden: Allein, dass ein Grand Prix mit einer eigenen Eröffnungsfeier samt Drohnenshow und hochkarätigem Musik-Aufgebot beginnt. In Monte Carlo und anderswo müssen sie sich sorgen, in den Schatten gestellt zu werden. Selbst hartgesottene Formel-1-Manager wirken angesichts des enormen Hypes leicht geschockt. Mercedes-Teamchef Toto Wolff hat seiner Truppe den Casinobesuch strikt untersagt.

Probe für die Eröffnungsfeier vor dem Grand Prix in Las Vegas: Superstar Jared Leto von Thirty Seconds to Mars.
Probe für die Eröffnungsfeier vor dem Grand Prix in Las Vegas: Superstar Jared Leto von Thirty Seconds to Mars. © DPA Images | Darron Cummings

Am Ende gewinnt immer die Bank. Das große Geschäft auf Gegenseitigkeit sieht so aus: Las Vegas als selbst ernannte Entertainment-Hauptstadt der Welt will mit dem Rennen auch den Ruf als Sportmetropole festigen und seine Familienfreundlichkeit unter Beweis stellen. Der Superbowl im Februar taugt gut zum Vergleich, vielen Zuschauer ist dabei die Halbzeitshow so wichtig wie das Spiel. Mit dem Gastspiel der Formel 1 zielt Las Vegas auf potenzielle Touristen in aller Welt ab, vornehmlich reiche, die nach der Pandemie stärker ausgeblieben sind. Liberty Media wiederum will die Sportart noch stärker in den USA verankern. Die mittlerweile drei Rennen in den Vereinigten Staaten sprechen strategisch unterschiedliche Zielgruppen an: Austin für den traditionellen Fan, Miami für die Party-Generation, Las Vegas offen für alle. Die Formel 1 als Werbekolonne, das war schon 1981 so – damals wollte Vegas dringend sein Mafia-Image loswerden. Richtig funktioniert hat das nicht, nach zwei Rennen war Schluss.