Calgary. Nach vielen Rückschlägen und einer schweren Verletzung schien Sabine Lisicki dem Karriereende nah. Jetzt hat sie sich zurückgekämpft.

Am Ende einer langen Tenniswoche in Calgary war Sabine Lisicki am Boden angekommen, der Länge nach ausgestreckt. Trotzdem war sie an diesem 12. November 2023, sonntagabends in Kanada, doch obenauf wie schon lange nicht mehr. Überglücklich, fast berauscht von ihrem Finalsieg. Auf den ersten Blick war es nur ein kleiner Sieg beim 60.000-Dollar-Challenger in der Provinz Alberta. Doch genau betrachtet war es wohl der größte und stolzeste Sieg überhaupt, den die ehemalige Wimbledon-Finalistin auf einen Court gezeichnet hatte. Ein Sieg gegen Zweifel, Ängste, Ungewissheiten. Ein Sieg nach einer scheinbar ewigen Leidenszeit, stets begleitet von der Frage: Wird das nochmal was?.

Nur ein paar Minuten nach dem spannungsgeladenen 7:6, 6:7, 6:3-Endspielerfolg gegen Lokalmatadorin Stacey Fung (in der WTA auf Position 230 gelistet) erinnerte sich die 34 Jahre alte Berlinerin selbst an ein Arztgespräch im Februar vergangenen Jahres zurück, als sie ihr Comeback nach einer Horrorverletzung am Knie gestartet hatte: „Damals wurde mir gesagt: Nach so einer Verletzung hat es noch niemand in den Spitzensport zurückgeschafft. Und jetzt stehe ich hier.“ Lisickis Triumph war auch eine echte Wohlfühlstory nach einem Pleiten-, Pech- und Pannenjahr für das deutsche Frauentennis, zuletzt noch einmal dokumentiert durch einen enttäuschenden Kurzauftritt bei den Finals des Billie Jean King Cups in Sevilla.

Tatsächlich wirkte es wie ein kleines Wunder, dass die langjährige Weltklasseathletin und Nationalspielerin überhaupt noch auf einem Tennisplatz herumjagte – wenn auch nicht immer auf den großen Bühnen, die früher wie selbstverständlich ihre Welt waren. „Es fühlt sich unwirklich an, es ist wie ein Traum, dass ich wieder ein Turnier gewonnen habe“, sagte Lisicki am Abend des kanadischen Triumphes, des ersten Pokalgewinns seit neun Jahren. Damals siegte sie beim WTA-Wettbewerb in Hongkong - in der Saison, die ihrem Vorstoß ins Wimbledon-Endspiel gefolgt war.

Sabine Lisicki im Verletzungspech

Lisicki schwebte einst förmlich voran in die Weltspitze, sorgte schon als Teenagerin in Wimbledon für Furore. Doch nach dem furiosen Auftritt 2013 im All England Club, als sie als erste Deutsche seit Steffi Graf 1999 ins Einzelfinale eines Grand-Slam-Turniers stürmte, verließ die vom Boulevard „Bum Bum Bine“ getaufte Berlinerin das Glück: Viele Verletzungen warfen sie zurück, dann setzte sie das Pfeiffersche Drüsenfieber matt. Abseits des Platzes machte sie durch die Beziehung zum Entertainer Oliver Pocher von sich reden. Schließlich folgte das Desaster im November 2020, als ihr alle Bänder im linken Knie rissen. In einer dreieinhalbstündigen Operation musste „alles erst mal gerichtet werden“, sagt Lisicki, „danach konnte ich ein Jahr lang nicht mehr richtig laufen.“ Dennoch verließ sie nie die Hoffnung, auch nicht das gewinnende Lächeln, für das sie stets bekannt war. Dazu fällt ihr der Spruch ihres ehemaligen, inzwischen verstorbenen Trainers Nick Bollettieri ein: „Wenn du lächelst, bist du stark. Dann denkst du nicht ans Scheitern.“

Stark sein musste Lisicki allerdings auch in letzter Zeit. Viel stärker als zu ihren Glanzzeiten, in denen sie es mit Serena Williams und Co. aufnahm und gern mal für Favoritenstürze verantwortlich war. Vor anderthalb Jahren startete die Mission Comeback, die Ansprüche hatte die einstige Weltranglisten-Zwölfte dabei von vornherein zurückgeschraubt. „Ich bin glücklich über die kleinen Erfolgsmomente gewesen, habe mich nicht von Rückschlägen unterkriegen lassen“, sagt Lisicki.

Wimbledon als großer Traum

Ans Ende ihrer Karriere verschwendete sie bisher nie einen ernsthaften Gedanken, dafür habe sie sich „zu hart zurückkämpfen müssen“: „Ich hatte immer das Gefühl, dass noch was Gutes für mich drin ist.“ Auch, dass ihr viele Experten und Beobachter eine viel glanzvollere Laufbahn zugetraut hatten und ihr gern mal verpasste Chancen vorrechneten, beschäftigte Lisicki selbst nicht. Oder: Nicht mehr. „Ich bin zufrieden mit dem, was ich geschafft habe. Und ich bin nicht jemand, der mit Gott und der Welt hadert. Ich schaue lieber nach vorne“, sagt sie.

Mit ihrem Sieg sprang Lisicki 95 Plätze in der Weltrangliste nach oben, auf Position 281. Die Spitze ist weit weg, aber auch nicht in unerreichbarer Ferne. Für einen besonderen Coup scheint Lisicki immer noch und immer wieder gut. Vielleicht sogar noch einmal in Wimbledon. „Ich würde gerne noch einmal dort spielen. Das ist für mich das Nonplusultra, das Tennisparadies“, sagt Lisicki.