Budapest. Deutschland hat bei der Leichtathletik-WM in Budapest nicht eine Medaille geholt. Weber und Neugebauer machen aber trotzdem Mut.

Budapest Am Tag nach dem Drama grinste Leo Neugebauer schon wieder. Doch das Strahlen, das aus dem 23-Jährigen zu kommen scheint, wirkt wie gedimmt. Der Zehnkämpfer ist erschöpft, sein Körper müde. Aber die Party, die sei geil gewesen, sagt er und lacht. Am Samstag verpasste der deutsche Hoffnungsträger bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Budapest zwar eine Medaille, zufrieden ist er als Fünfter dennoch.

Die große Sehnsucht nach einer Medaille konnte am Sonntagabend auch Julian Weber nicht stillen. Der 28-Jährige war am letzten Wettkampftag im Stadion Nemzeti Atlétikai Központ als einzig verbliebener deutscher Hoffnungsträger angetreten. Doch wie schon 2022 in Eugene/Oregon ging er leer aus, wurde undankbarer Vierter. „Ich weiß gar nicht, was heute los war“, sagte Weber nach dem Wettkampf. „Ich habe alles gegeben, er wollte nicht weiter fliegen.“

WM ohne Medaille ist für Leichtathletik-Chef Kessing „Worst Case“

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Deutschland beendet die WM damit so schlecht wie nie – ohne eine einzige Medaille. Ein „Worst Case“, sagte Jürgen Kessing, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes: „Wir hätten uns diese WM anders gewünscht.“ Zehnkampf-Legende Jürgen Hingsen nannte das medaillenlose Abschneiden „ein Trauerspiel – ohne Worte“.

Weltmeister wurde Olympiasieger Neeraj Chopra (Indien/88,17 Meter) vor Arshad Nadeem aus Pakistan (87,82) und Jakub Vadlejch aus Tschechien. Vadlejch hatte sich im vorletzten Versuch mit 86,67 Metern noch vor Weber geschoben, der seine 85,79 Meter aus dem zweiten Versuch nicht mehr verbessern konnte. „Ich hätte technisch sauberer werfen müssen. Mir hat das Feeling gefehlt“, so Weber. „Mit Gewalt wollte es aber auch nicht funktionieren. Ich habe alles versucht, aber es hat nicht funktioniert.“

Nach vierten Plätzen bei Olympia 2021 in Tokio und der Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr wollte der dreimalige deutsche Meister Weber endlich auch auf Weltniveau abräumen. Seinen Blech-Fluch hatte er eigentlich schon vergangenes Jahr in München bei der Heim-EM gebrochen, als er Europameister geworden war. Der Druck hatte sich noch einmal erhöht, weil Weber wie Neugebauer nach vielen Absagen im DLV-Team einer der wenigen Medaillenanwärter war. In Ungarns Hauptstadt zerplatzte sein Traum. Besonders bitter: Sowohl seine persönliche Bestweite (89,54) als auch seine Saisonbestleistung (88,72) hätten ihm für einen Podestplatz gereicht. Am Ende schlug Weber enttäuscht die Hände vor das Gesicht, blickte aber schon in die Zukunft zu den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris: „Nächstes Jahr zählt. Das hier ist die Motivation für nächstes Jahr.“

Leichtathletik-WM: Neugebauer ist auch ohne Medaille ein Hauptgewinn

Leo Neugebauer ist auch ohne Medaille ein Hauptgewinn für die deutsche Leichtathletik. Der Modellathlet hat das Potenzial, der großen, aber hierzulande auch angestaubten olympischen Kernsportart zu neuer Frische zu verhelfen. Dabei lebt er weit weg. Neugebauer trainiert und studiert seit 2019 in Austin/Texas. Er wurde geformt im professionellen College-System. Die Kombination aus Selbstgewissheit und Lockerheit, die viele US-Athleten verkörpern, hat er dort aufgesogen. Der 23-Jährige bringt neben Topergebnissen nicht nur deutsche Tugenden wie Fleiß, Disziplin und Leistungswillen mit – er gibt ihnen ein cooles Gewand. Neugebauer ist beinahe provokant positiv. Er weiß, was er kann, ist mental stark – und ein Showman. Bei seiner erst zweiten Erwachsenen-WM spielte er so unwiderstehlich mit dem Publikum, dass er das ganze Stadion hinter sich bringen konnte.

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Auch wenn der ganz große Leistungsbeweis auf internationaler Bühne noch aussteht: In Budapest konnte man beobachten, wie ein Athlet von Weltformat entsteht. Einer, der Starpotenzial hat. Einer, wie ihn Deutschland dringend braucht. Leo Neugebauer liefert das oft beschworene Gesamtpaket – sofern es für ihn so weitergeht, wie es sich in Budapest angedeutet hat.

Für Neugebauer und Weber zählt jetzt nur noch Paris

In Ungarns Hauptstadt erlebte er zwei Tage mit extrem viel Licht, aber auch ein paar Schatten. Unglücklicherweise reichten die weniger hellen Momente, um ihm den Traum von einer WM-Medaille zu rauben. Trotz Halbzeitführung musste er sich am Ende mit Platz fünf begnügen. Seine 8645 Punkte hätten noch 2019 in Doha zur Silbermedaille gereicht. „Es hätte besser laufen können“, sagte Neugebauer später, „aber es war meine erste Weltmeisterschaft, bei der ich als Topfavorit gestartet bin, da kann ich mit Platz fünf nicht unzufrieden sein.“ Weltmeister wurde der Kanadier Pierce Lepage (8909) vor seinem Landsmann Damian Warner (8804), und Lindon Victor (Grenada/8756).

Nach einem schwachen Start im Hürdensprint und im Diskusring musste der Schwabe, der sich selbst als „loggeren Tüpp“ bezeichnet, seine Lockerheit wiederfinden. Die Medaille war in weite Ferne gerückt. Immerhin lieferte er in seinen schwächsten Disziplinen, Speerwurf und 1500 Meter, noch Bestleistungen ab – viel mehr ging nicht. Neugebauer wusste das und schon beim Zieleinlauf breitete er die Arme zum Jubeln in Richtung der Fans aus. Die feierten ihren neuen Star.

Nun ist alles auf Paris ausgerichtet: „Olympia bedeutet mir alles“, sagt Neugebauer, „dass ich jetzt daran denken kann, sogar um Medaillen mitzukämpfen, ist einfach verrückt.“ Leo Neugebauer ist auf der großen Bühne angekommen. Und das mit einem breiten Grinsen.