Frankfurt/Main. Ilkay Gündogan ist der derzeit formstärkste deutsche Profi. Gesetzt ist er im DFB-Team unter Hansi Flick aber nicht.

Der Heilsbringer? Ilkay Gündogan schaut weg, fast schon peinlich berührt. Der 32-Jährige ist derzeit der beste deutsche Fußballer, vor ein paar Tagen erst hat er als Kapitän Manchester City zum Triple geführt. Aber der Heilsbringer der Nationalelf? „Ich kenne meine Stärken und mache daraus kein großes Tam-Tam“, sagte er am Montag. „Ich weiß, was ich kann, aber ich brauche das im Mittelpunkt stehen nicht so sehr und auch die Anerkennung von außen nicht.“

Von der gibt es momentan eine ganze Menge. Gündogan jedoch, ein Kind des Ruhrgebiets, legt zwar Wert auf Bescheidenheit. Sachlich betrachtet symbolisiert der hochdekorierte Mittelfeldspieler dennoch die letzte Hoffnung der kriselnden DFB-Auswahl auf einen ordentlichen Saisonabschluss heute Abend in Gündogans Heimatstadt Gelsenkirchen gegen Kolumbien (20.45 Uhr/RTL). Fraglich ist nur, ob auch Bundestrainer Hansi Flick das so sieht.

Gündogans Beziehung zum Nationalteam war bislang schwierig

Bislang war die Beziehung zwischen Gündogan und der Nationalmannschaft ja schwierig. Vieles davon ist auf Verletzungspech zurückzuführen. 2014 gewann die DFB-Elf ohne Gündogan den goldenen WM-Pokal. Der damals 23-jährige Profi von Borussia Dortmund durfte aufgrund einer gestauchten Wirbelsäule ein Jahr lang nicht spielen. Bei der Europameisterschaft 2016 fehlte Gündogan wegen einer Knieverletzung.

Und dann ging es plötzlich nicht mehr um Sport. Gündogan, der inzwischen zum Stammspieler bei Manchester City gereift war – ließ sich kurz vor der WM 2018 gemeinsam mit Recep Tayyip Erdogan ablichten, dem türkischen Präsidenten, der nach und nach die Demokratie im Heimatland von Gündogans Eltern ausgehöhlt hat – ein Skandal. Anders als Mesut Özil aber wollte sich Gündogan erklären. „Wir haben durch unsere türkischen Wurzeln noch einen sehr starken Bezug zur Türkei“, sagte der Mittelfeldspieler damals. „Das heißt aber nicht, dass wir jemals behauptet hätten, Herr Steinmeier sei nicht unser Bundespräsident oder Frau Merkel nicht unsere Bundeskanzlerin. Es war nie das Thema, ein politisches Statement zu setzen.“ Gündogan kam so im Gegensatz zu Özil einigermaßen unbeschadet aus der Nummer heraus.

Gündogan konnte die Nationalmannschaft auch nicht zu großen Erfolgen führen

Zu großen Erfolgen jedoch sollte Gündogan die Nationalmannschaft nicht führen. Was einerseits daran lag, dass sie sportlich langsam, aber stetig aus der Weltspitze stolperte. Drei verkorkste Turniere in Serie legte sie zuletzt hin, die Gründe dafür sind vielseitig. Auch Gündogan hat damit zu tun. Der nämlich hat sich zwar längst in der internationalen Spitzenklasse eingenistet, bloß im Trikot mit dem Adler konnte er dies nicht nachhaltig beweisen.

Gündogan sei jemand, „der mit seiner Qualität in jeder Mannschaft spielen kann“, betonte Hansi Flick am Montag. „Ilkay ist ein ruhiger Vertreter, der aber gehört wird, und das ist in so einem Team sehr wichtig.“ In der vergangenen Woche aber wollte der 58-Jährige seinem potenziellen Ausnahmespieler keine Stammplatzgarantie ausstellen: „Ich möchte nicht sagen, was alle von mir hören wollen: Ilkay spielt jetzt immer.“

Flick scheint lieber Kimmich einen Freifahrtschein auszustellen

Das eiserne, aber unausgesprochen Credo des Bundestrainers lautet viel mehr, dass Joshua Kimmich im defensiven Mittelfeld gesetzt ist. Auch auf Leon Goretzka hält der Bundestrainer große Stücke, das Duo von Bayern München soll – trotz Formschwäche – die Schaltzentrale der Nationalelf bilden. Gündogan bräuchte einen knallharten Abräumer hinter sich, einen wie Rodri bei ManCity, der sich für ihn aufopfert und Konter absichert, damit Gündogan seine Stärken ausspielen kann. „Das gibt mir eine gewisse Sicherheit, in Räume nach vorne zu stoßen und Torgefahr auszustrahlen“, erklärte Gündogan.

Beide Positionen allerdings gibt es in Flicks System nicht, und bislang macht der Bundestrainer keine Andeutungen, diese zu schaffen – weil er dann Kimmich, der ebenso die Vorstöße liebt, einbremsen oder sogar streichen müsste. Auch Flicks Vorgänger Joachim Löw hatte in der Ära Kroos-Khedira-Schweinsteiger keine Idee, was genau er eigentlich mit dem England-Legionär anfangen sollte. Mal boten sie Gündogan als Sechser auf, dann als klassischen Zehner, aber nie konnte er konstant überzeugen.

Flick gehen die Argumente aus

Doch Flick gehen inzwischen die Argumente dagegen aus, die Mannschaft nicht um Gündogan herum aufzubauen. Das Team benötigt ein Jahr vor der Heim-EM dringend Struktur, Kreativität, Führungsspieler. „Wir können viel von ihm lernen“, findet Jamal Musiala. „Es ist immer positiv, so einen Spieler auf dem Feld zu haben.“ Auch für Robin Gosens bringt Gündogan einen „riesengroßen Mehrwert als Leader“ mit. Nun liegt der Ball beim Bundestrainer.