Bad Berleburg. Seit einem Jahr sind die einst freilebenden Wisente in einem Gatter eingesperrt. Reaktionen von Befürwortern und Gegnern des Projekts.

Unaufgeregt geht es zu, wenn sich die einst durch Wittgensteiner und Sauerländer Wälder streifende freilebende Wisentherde an der Futterstelle in ihrem 20 Hektar großen Gehege bei Bad Berleburg bedient. Kein Vergleich zu den Irrungen und Wirrungen, die das in Westeuropa einzigartige Artenschutzprojekt im Rothaargebirge seit seinem Start vor elf Jahren ausgelöst hat.

Nach juristischen Auseinandersetzungen zwischen dem Trägerverein „Wisent Welt Wittgenstein“ und Sauerländer Waldbauern bis hin zum Bundesgerichtshof sind die Urviecher seit November 2023 in einem Managementgatter eingesperrt. Das Projekt steht vor dem Aus. Es hatte die Region weit über ihre Grenzen bekannt gemacht.

Wisent-Wildnis
Ein Schaugehege für Wisente: 20 Hektar groß ist das Areal der Wisent-Wildnis am Rothaarsteig. © Westfalenpost | Rudi Pistilli

So wurde auch das Schaugehege in der „Wisent-Wildnis am Rothaarsteig“ zwischen Bad Berleburg-Wingeshausen und Schmallenberg-Jagdhaus zu einem beliebten Ausflugsziel. Bevor die ersten Wisente im Rahmen des Artenschutzprojekts vor elf Jahren ausgewildert worden waren, hatte dort bereits eine andere Herde ihr Zuhause gefunden.

Wisent-Wildnis
Jade Stoelwinder aus den Niederlanden und Leonard Ghesquiere aus Belgien sind zu Besuch in der Wisent-Wildnis am Rothaarsteig. © Westfalenpost | Rudi Pistilli

Nebel liegt über den Fichten auf den Hügeln. Ab und zu lugt die Sonne durch die urwüchsige Naturlandschaft hindurch. Ein Gemälde, auf dem nur eines an diesem Morgen fehlt: die Wisente. Auf dem Rundgang durch das 20 Hektar große Areal der „Wisent-Wildnis“, entlang des vollständig umzäunten Geheges, haben sich nur einige wenige Besucher verirrt. Darunter auch Jade Stoelwinder aus den Niederlanden und Leonard Ghesquiere aus Belgien. Das Paar weilt über die Weihnachtsfeiertage in Bad Laasphe. Beide wollen die Natur genießen. „Und natürlich diese Riesen sehen“, sagt die 19-Jährige und kauft zwei Tickets für jeweils 7,50 Euro.

Katharina Einig (rechts, neben ihrem Ehemann) in der Wisent-Welt-Wittgenstein

„Wisent, Wolf - die Gesellschaft sollte sich einen Freiraum für diese Lebewesen gönnen können.“

Katharina Einig
aus Siersdorf

Katharina Einig ist mit Ehemann und den drei Kindern aus dem Kreis Düren nach Wittgenstein angereist. „Wir wollten dem Weihnachtsstress entfliehen“, gesteht sie. Durch die Flyer der „Wisent-Wildnis am Rothaarsteig“ in ihrem Gasthof seien sie auf das Schaugehege aufmerksam geworden. „Und nun wollen meine Kinder Mammuts sehen“, sagt sie und ergänzt: „Was für ein Naturschauspiel.“ Von dem Streit um das Wisent-Projekt rund um die einst freilebenden Tiere hört sie das erste Mal. „Wisent, Wolf - die Gesellschaft sollte sich einen Freiraum für diese Lebewesen gönnen können“, sagt die junge Mutter.

Gänsehaut vor dem Rundgang

Auch Felix Tadema (23) und Jennifer Mgzkuita (25) haben „Gänsehaut beim Gedanken, gleich diese riesigen Tiere zu sehen“. Die beiden gebürtigen Spanier sind aus Siegen angereist und voller Ungeduld. Sie waren bereits vor Jahren einmal in der Wisent-Wildnis. „Es war ein unvergessliches Erlebnis, auch wenn wir sie nur als daumengroße Wesen in der Ferne beobachten konnten“, erzählt der 23-Jährige.

„Freiheit für die Wisente!“

Auf dem Parkplatz vor dem Gehege gönnt sich Michael Storch eine Zigarette. „Kleine Pause“, sagt er. Der 51-Jährige ist aus Magdeburg in seine alte Heimat Bad Berleburg angereist. Er hat die Berichterstattung über die Wisente nur zum Teil verfolgt – und fordert: „Freiheit für die Wisente!“ Er sagt es und lächelt. Storch kennt dieses „erhabene Gefühl“, wenn unerwartet das größte Landsäugetier Europas vor einem auftaucht. „Ist ein paar Jahre her, das ist mit Worten kaum auszudrücken“, berichtet er. Kein anderes Tier habe Bad Berleburg weit über die Landesgrenze so bekannt gemacht.

Davon kann Georg Feldmann-Schütte ein Lied singen. Er war einer der beiden Waldbauern aus Schmallenberg-Oberkirchen, die bis zum Bundesgerichtshof dafür erfolgreich kämpften, dass die Wisente nicht mehr ihre Grundstücke betreten und Schälschäden an Buchenbeständen verursachen. „Es ist endlich Ruhe in meinen Wäldern eingekehrt“, sagt er und meint damit nur, dass es keinen ungebetenen Besuch mehr gibt. Aber: „Die ersten Buchen, die 2013 bis 2015 von Wisenten geschält wurden, kippen jetzt um. Stellen am Stamm, die angenagt wurden, sind durchgefault.“

Das Baumsterben, so befürchtet der Waldbauer, wird in den kommenden Jahren weitergehen. „Die Folgen der Wisente in unseren Wäldern werden wir noch lange spüren“, sagt er, „große Mengen des Holzes werden nicht mehr verwertbar sein.“

Waldbauer Georg Feldmann-Schütte zeigt Schälschäden an Buchen.
Waldbauer Georg Feldmann-Schütte zeigt Schälschäden an Buchen. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Feldmann-Schütte hat in der Vergangenheit immer wieder darauf hingewiesen, dass durch die Wisente Waldbestand für die nächsten Generationen zerstört werde. Natürlich habe er Zahlungen aus dem Entschädigungsfonds des Landes NRW erhalten, sagt er. Aber: „Nach der Insolvenz des Trägervereins sind alleine bei mir Forderungen in Höhe von knapp 40.000 Euro noch nicht beglichen worden.“

Wenn der Waldbauer in den vergangenen Jahren auf die wilden Wisente zu sprechen kam, ging sein Blutdruck in die Höhe. Jetzt sagt er: „Die Tiere sind mir egal, so lange sie hinter einem Zaun leben.“ Der nächste Satz verrät, dass die verursachten Baumschäden nach wie vor an ihm nagen: „Ich ärgere mich maßlos darüber, dass weiter Steuergelder für Betreuung und Versorgung der Wisente aufgebracht werden und dass die, die den Schlamassel verursacht haben, nicht zur Rechenschaft gezogen werden.“

„Keine Chance auf Vermittlung in andere Artenschutzprojekte“

Aus seiner Sicht werden die Wisente im Rothaargebirge „niemals“ an andere Artenschutzprojekte vermittelt werden können - weil sie Inzuchttiere seien. Was sollte passieren? „Die Wisente in dem Gatter sollten schnellstens letal entnommen werden. Dann ist der Spuk endlich vorbei. Als wenn wir keine anderen Probleme im Land hätten.“

Nach Angaben des Kreises Siegen-Wittgenstein befinden sich aktuellen Zählungen zufolge derzeit 36 Wisente in dem Gehege zwischen Bad Berleburg und dem Ortsteil Kühhude. Im Laufe des Jahres habe man „sechs Kälbergeburten belastbar“ feststellen können, so Kreissprecher Torsten Manges. Von ihnen habe nur eines die ersten Wochen überlebt. „Ob der in dieser Kleinstpopulation bestehende hohe Inzuchtgrad oder allein die Infektionen der Mutterkühe mit der Blauzungenkrankheit die unzureichende Vitalität der neugeborenen Wisente bedingten, kann nur spekuliert werden.“

Kreis: Wisente in einem guten Zustand

Laut Manges verfügen alle im Gatter gehaltenen Wisente „über eine gute körperliche Konstitution“ und hätten „eventuell mit der Infektion“ mit dem Virus der Blauzungenkrankheit verbundene gesundheitliche Einschränkungen überwunden. Also werden sie weiter von „Personen und Tierärzten betreut und versorgt (inklusive der Winterfütterung), die hierfür die notwendige Fachkunde bzw. Ausbildung und Erfahrung besitzen“. So lange, „bis eine endgültige Entscheidung über die Fortsetzung oder Beendigung des Freisetzungsprojektes getroffen worden ist“.

Schauplatzwechsel nach Wingeshausen: „25.000 Besucher kommen im Durchschnitt jährlich“, berichtet Jörg Sonneborn. Der 57-Jährige ist Vorsitzender des Fördervereins der Wisent-Welt-Wittgenstein. Gleichzeitig ist er auch Ranger und Scout und leitet Führungen durch das Schaugehege der Wisent-Wildnis mit seinen zwölf Tieren - die zweite Wisentherde neben der einst freilebenden. Trotz der Insolvenz des Wisent-Trägervereins nennt Sonneborn das Artenschutzprojekt einen Erfolg.

Bekanntheitsgrad von Ort gesteigert

Das „Guckloch zu einer vom Aussterben bedrohten Tierart“ sei für den Ortsteil Wingeshausen mit seinen fast 1500 Einwohnern wichtig, findet der Wittgensteiner: „Damit und durch die Anbindung zum Rothaarsteig konnten wir den Bekanntheitsgrad enorm steigern.“ Dass es in Wingeshausen fünf Gastronomiebetriebe, zwei Einzelhandelsgeschäfte und wieder einen Arzt gibt, hänge auch mit den Wisenten zusammen.

200 Führungen hat Jörg Sonneborn bislang selbst geleitet. Und viel Dankbarkeit bei Besuchern erlebt: „Wenn bei Minusgraden zugefüttert wird und eine Horde Wisente auf einen zuläuft, dann vergessen Sie das nicht.“ Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Wir Deutschen zeigen immer mit dem Finger auf andere Länder und maßregeln dort mangelnden Tier- und Artenschutz, aber wenn es um uns geht, wollen wir davon nichts wissen.“

Wisent-Wildnis
Jörg Sonneborn, Vorsitzender des Fördervereins Wisent-Welt-Wittgenstein © Westfalenpost | Rudi Pistilli