Hagen. Der berühmte Schauspieler wird aus seinem neuen Buch im Theater Hagen lesen. Warum dies für ihn ein besonders emotionaler Ort ist.
Die roten Teppiche des Kulturbetriebs sind Sabin Tambrea vertraut. Berlin, München, Cannes. Überall dort stand der berühmte junge Darsteller bereits im Blitzlichtgefunkel, hat Auszeichnungen entgegengenommen. Jetzt bereitet sich der 40-Jährige auf einen Auftritt vor, der ihm Herzklopfen macht. Sabin Tambrea kommt am 11. Januar um 19.30 Uhr nach Hause, dahin, wo alles begann: in das Theater Hagen. Dort liest er aus seinem Roman „Vaterländer“, in dem er die Fluchtgeschichte seiner Familie verarbeitet. Wichtige Passagen des Romans spielen im Theater Hagen.
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Die Lesung wird eine besondere Heimkehr. Denn seine Schwester, die Violinistin und Dozentin Alina Armonas-Tambrea, begleitet ihren kleinen Bruder Sabin mit ihrem Guadagnini-Trio. Und im Publikum werden die Eltern sitzen. Wäre das ein Märchen, man hätte es sich nicht besser ausdenken können. Aber es handelt sich tatsächlich um einen Roman, der eine wahre Geschichte erzählt.
Wer Sabin Tambrea auf der Theaterbühne oder im Film gesehen hat, der mag nicht glauben, dass in diesem großartigen Künstler einmal der kleine tollpatschige Junge aus dem ersten Kapitel des Romans steckte, der die Ankunft in Deutschland aus seiner naiven Perspektive schildert und mit seinem Ungeschick und seiner kindlichen Egozentrik einen mitunter grotesken Kontrapunkt zu den Anstrengungen seiner Familie liefert, in Deutschland Fuß zu fassen. Bela Tambrea war aus dem kommunistischen Rumänien geflohen, weil er für sich und seine Familie dort keine Zukunft sah. Nach vielen langen Monaten durfte Rodica Tambrea mit den beiden kleinen Kindern nachreisen. Sie verlor durch die Flucht viel, ihre Eltern, ihre Freunde, ihre Arbeit. Sabin Tambrea schildert aus der Perspektive des Kindes, wie sich die Mutter einzuleben versucht, wie schwer es ist, neue Wurzeln zu schlagen.
Der Ort, wo er hingehört
Der Vater arbeitet als Geiger in der Philharmonia Hungarica, die schon damals von der Schließung bedroht ist. Dann passiert ein Wunder. Und noch eins. Man könnte sagen, eine ganze Handvoll von Wunderkerzen entzündet sich über dem Geschick der Familie Tambrea. Die Mutter, Geigerin wie der Vater, erhält ein Engagement im Philharmonischen Orchester Hagen, zunächst als Aushilfe, später fest. Der junge Sabin besucht erstmals das Theater Hagen. Und findet den Ort, wo er hingehört, findet in Werner Hahn (1956-2021) den väterlichen Mentor, der ihm einen Weg aufzeigt und in dessen Sohn Dominik Hahn seinen bis heute besten Freund, der am 11. Januar ebenfalls im Publikum sitzen wird.
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„Ich habe für die Hagener Lesung auch eine Szene ausgesucht, die im Theater Hagen spielt“, verrät Sabin Tambrea im Gespräch mit unserer Redaktion. Es handelt sich um eine Schlüsselstelle. Der kleine Sabin darf auf der Seitenbühne neben der Inspizientin Platz nehmen und beobachten, wie sich das Theater auf eine Vorstellung des Musicals „Carousel“ vorbereitet. Zum spektakulären Bühnenbild gehört nicht nur ein Karussell auf der Drehbühne, sondern auch ein Weltkugel-Luftballon. Während das Orchester die Ouvertüre spielt, wird der Aufbau hereingefahren, durch eine technische Panne platzt dabei der Ballon und entzündet sich an einer heißen Glühbirne. Die Bühne brennt. Während Sabin fassungslos schaut, kommt der Hauptdarsteller und löscht den Brand. Es handelt sich um Werner Hahn, damals beliebter Bariton in Hagen, später dann Gründer und Leiter des dortigen innovativen Jugendtheaters Lutz. Der Vorhang geht hoch, die Show beginnt, das Publikum hat nicht gemerkt, welche Dramen sich hinter der Bühne abspielen. „Dann das Ende, die Musik, Stille, Applaus, Vorhang, Bravorufe. Diese Welt – ich wollte, dass sie meine wird.“
Vier Jahre lang hat Sabin Tambrea an diesem zweiten Roman geschrieben. „Ich habe das gemeinsam mit der Familie erarbeitet. Es war mir ganz wichtig, dass alle, die darin vorkommen, damit einverstanden sind“, sagt er. Seine Lesereise mit „Vaterländer“ hat ihn bereits unter anderem in die Elbphilharmonie und in die Düsseldorfer Tonhalle geführt, alles schwer zu füllende Orte, und trotzdem war das Publikum da. Das Buch steht jetzt in der 13. Woche auf der Spiegel-Bestsellerliste. Wie ist die Resonanz? „Es gibt unglaubliche Reaktionen, fast immer Beifall im Stehen. Vor allem Menschen mit Migrationsgeschichte sagen: Das ist unsere Geschichte. Und das freut mich sehr.“
Die Entscheidung, die Lesung als musikalisch-literarischen Abend zu gestalten, sei genau richtig. „Wir haben lange überlegt, welche Musik wir auswählen. Lesung und Musik sind fast gleich gewichtet. Die Szenen, die ich lese, werden durch die Musik unterstützt. Das funktioniert besser, als wir das erwartet hatten“, sagt Sabin Tambrea. „Jeder Abend ist für meine Schwester und mich auf wackligem Boden gebaut, weil wir beide dabei von unseren Emotionen eingeholt werden.“
Spezialist für komplexe Rollen
Als Rodica Tambrea festes Mitglied der Hagener Philharmoniker wird, zieht die Familie von Marl nach Hagen, das zur Heimat wird. Sabin besucht dort das Gymnasium und steht mit 11 Jahren als 2. Knabe in der „Zauberflöte“ das erste Mal auf der Bühne im Großen Haus. Dann kommen die Jahre mit Werner Hahn im Lutz, die harte Arbeit an den Uraufführungen, viele davon aus der Feder des bekannten Dramatikers Lutz Hübner, der zum Namenspaten der Jungen Bühne Lutz in Hagen wird. Endlich die Entscheidung, zur Schauspielschule zu gehen. Die ersten Rückschläge. Sabin Tambrea kämpft. Und landet schließlich bei Claus Peymann am Berliner Ensemble. Auch der wird zum Förderer.
Seit Peymanns Abschied vom BE spielt Sabin Tambrea hauptsächlich für Film und Fernsehen. Die Rolle des Märchenkönigs „Ludwig II.“ hat ihn über Nacht in der Szene bekannt gemacht, der TV-Mehrteiler „Ku‘damm“ dann einem sehr breiten Publikum. Sabin Tambrea gilt heute als Star und der Fachpresse als einer der profiliertesten Schauspieler der jungen Generation. Und doch ist er der Suchende geblieben, der Spezialist für komplexe und komplizierte Rollen, so wie im Frühling die Figur des Dichters Franz Kafka in „Die Herrlichkeit des Lebens“. Jetzt in der Weihnachtszeit ist übrigens eine gute Gelegenheit, in der ZDF-Mediathek den Märchenfilm „Rübezahls Schatz“ noch einmal anzusehen, in dem Tambrea den Rübezahl spielt.
„Jeder Abend ist für meine Schwester und mich auf wackligem Boden gebaut, weil wir beide dabei von unseren Emotionen eingeholt werden.“
Eine Begebenheit aus „Vaterländer“ beschäftigt die Leser besonders, es gibt immer wieder die Frage: „Wusste Rodica Tambrea wirklich nichts von der Flucht ihres Mannes?“ Bela Tambrea hatte sich 1985 im Rahmen einer Konzertreise abgesetzt, da war Sabin acht Monate alt. Die Mutter, die Eltern, niemand war informiert, dass er diesen Schritt plante. „Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, dass jemand sich so entscheidet“, beschreibt Sabin Tambrea die Reaktionen. „Aber es wäre viel zu gefährlich gewesen, meine Mutter einzuweihen. Sie hätte dann bei den Verhören durch die Geheimpolizei nicht glaubhaft versichern können, nichts gewusst zu haben. Mein Vater wollte sie mit dieser Entscheidung schützen.“ 1987 siedelt die Mutter mit den Kindern im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland über.
Im Jahr 2005 war Sabin Tambrea das letzte Mal im Großen Haus des Theaters Hagen zu sehen, als Perchik in dem Musical „Anatevka“ zusammen mit Werner Hahn als Tevje. Nach dieser langen Zeit erneut die Bühne zu betreten, die für ihn so viel bedeutet, das dürfte sehr emotional werden, davon geht er aus. Es ist viel passiert in den 20 Jahren dazwischen und mit das Schönste ist, dass Sabin neuerdings als junger Vater die Entscheidungen, die sein eigner Vater traf, noch einmal anders beurteilen kann.
Bei aller Vorfreude auf das Theater Hagen behält Sabin Tambrea doch die Kulturszene der Stadt insgesamt im Blick, in der er aufgewachsen ist. Am Sonntag, 12. Januar, möchte er das in Not geratene Kulturzentrum Pelmke unterstützen. Die Pelmke zeigt dann seinen Kafka-Film „Die Herrlichkeit des Lebens“, anschließend diskutiert er mit dem Publikum. www.pelmke.de
Lesung: Sabin Tambrea liest aus seinem Roman „Vaterländer“: Samstag, 11. Januar, 19.30 Uhr, Theater Hagen. www.theaterhagen.de