Iserlohn/Hagen. Wurde ein Gegner des Mullah-Regimes gezielt in Iserlohn sexuell erniedrigt? Die Ermittlungen ergeben nun ein anderes Bild.

Der brutale Fall hatte deutschlandweit für Schlagzeilen gesorgt: Nicht nur, weil in der Sauerland-Stadt Iserlohn ein 30-Jähriger von mindestens vier anderen Männern vergewaltigt worden sein soll. Sondern weil bei dieser Gruppenvergewaltigung auch eine geradezu weltpolitische Komponente mit im Raum stand: Wurde hier ein Gegner des Mullah-Regimes in Teheran auf deutschem Boden von regimetreuen Iranern gezielt sexuell erniedrigt, um ihn einzuschüchtern?

Da ein politischer Hintergrund nicht ausgeschlossen werden konnte, ermittelte von Beginn an auch die Staatsschutzabteilung des zuständigen Polizeipräsidiums in Hagen. Doch rund 14 Tage nach der brutalen Tat scheint klar: Es war wohl keine Straftat, bei der gezielt ein Oppositioneller attackiert werden sollte. „Wir gehen inzwischen davon aus, dass die Motivlage nicht in der politischen Einstellung des Geschädigten zu suchen ist“, sagt Oberstaatsanwalt Michael Burggräf von der Staatsanwaltschaft Hagen auf Anfrage der WESTFALENPOST. Es sei wohl vielmehr ein Konflikt auf zwischenmenschlicher Ebene gewesen. Dabei schließen die Ermittler nach derzeitigem Stand nicht aus, dass die politischen Ansichten des 30-jährigen Iraners auch untergeordnet eine Rolle gespielt haben könnten - sie waren aber offensichtlich nicht Auslöser oder Anlass der äußerst brutalen Tat. Denn eine solche ist und bleibt die Attacke gleichwohl, wie auch der Oberstaatsanwalt betont.

Frauen hören Schreie auf Brauerei-Brache

Rückblende: Am späten Abend des 7. Septembers, ein Samstag, hatten zwei Frauen auf der Brache der seit Jahren nicht mehr existenten Iserlohner Brauerei Hilfeschreie gehört. Sie riefen gegen 23.30 Uhr die Polizei, die auch schnell mit einem Großaufgebot inklusive Hubschrauber-Unterstützung anrückte. Vor Ort fanden die Beamten auf dem Brauereigelände den vergewaltigten und verletzten 30-Jährigen. In einem Waldstück konnte die Polizei vier Tatverdächtige im Alter von 23, 34, 42 und 46 Jahren festnehmen. Zunächst galten noch zwei weitere Männer als flüchtig, da das Opfer in seiner Vernehmung von sechs Peinigern gesprochen haben soll.

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Doch inzwischen gehen die Ermittler eher davon aus, dass es nur diese vier Tatverdächtigen gibt. Der Grund für diese Annahme ist auch ein vorliegendes Video. Die Männer hatten die brutale Vergewaltigung, bei der auch Gegenstände eingesetzt worden waren, gefilmt. Das Video hatten die Ermittler auf einem der bei den Tatverdächtigen sichergestellten Mobiltelefonen gefunden und ausgewertet. „Man kann aus dem Video keine Rückschlüsse auf weitere Tatverdächtige ziehen“, so Oberstaatsanwalt Burggräf.

Täter und Opfer kannten sich

Der 30-jährige Iraner hatte nach der Tat nicht nur gegenüber den Ermittlern angegeben, kritisch gegenüber der Staatsführung im Iran eingestellt zu sein. Auch im Gespräch mit der WESTFALENPOST hatte er dies wiederholt. Er habe in sozialen Netzwerken entsprechende Positionen veröffentlicht. Offensichtlich hätten seine Peiniger ihn deswegen erniedrigen wollen und es nur auf sein Smartphone abgesehen. Gekannt habe er die Angreifer nicht.

Michael Burggräf.

„Nach unseren Erkenntnissen haben sich die Tatverdächtigen und der Geschädigte vorher schon gekannt.“

Michael Burggräf

An der letzten Schilderung haben die Ermittler aber inzwischen Zweifel. „Nach unseren Erkenntnissen haben sich die Tatverdächtigen und der Geschädigte vorher schon gekannt“, so Oberstaatsanwalt Michael Burggräf. Und seitdem die Ermittler das wissen, hat sich die Erkenntnis manifestiert, dass es sich hier eben nicht um einen gezielten Anschlag von Teheran-treuen Männern handelt. Zur Wahrheit gehört auch: Die Staatsanwaltschaft hatte schon von Anfang an zur Vorsicht bei Spekulationen zum Fall, insbesondere zu Verwicklungen des Irans, gemahnt. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hatte aber mit der Schlagzeile, dass es sich bei den Tatverdächtigen in Iserlohn offenbar um regimetreue Iraner handele, in der bundesweiten Wahrnehmung den Ton gesetzt.

Verfassungsschutz hat Iran im Visier

Dazu beigetragen haben dürfte, dass das iranische Mullah-Regime in der Vergangenheit durchaus auch im Ausland gegen Oppositionelle vorgegangen ist. Der aktuelle Verfassungsschutzbericht NRW listet diverse Fälle auf, in denen die Machthaber direkt gegen in Europa lebende Regimekritiker vorgegangen sein sollen. Und die Verfassungsschützer warnen auch in weiteren Bereichen vor den Aktivitäten des iranischen Staates in Deutschland.

In diesem Gebäude auf dem früheren Brauerei-Gelände in Iserlohn im Sauerland soll sich die Gruppenvergewaltigung ereignet haben.
In diesem Gebäude auf dem früheren Brauerei-Gelände in Iserlohn im Sauerland soll sich die Gruppenvergewaltigung ereignet haben. © Alex Talash | Alex Talash

Wenn nun politische Beweggründe ausfallen, bleibt die Frage, warum gleich mehrere Männer mit äußerster Brutalität einen anderen vergewaltigen. Die Staatsanwaltschaft verweist bei der Frage nur auf die weiteren Untersuchungen. Aus Ermittlerkreisen ist indes zu hören, dass es bislang keine Hinweise auf eine Verwicklung der Beteiligten in Drogengeschäfte gebe - in diese Richtung waren weitere Spekulationen vor Ort gegangen. Man habe Hinweise auf ein mögliches Motiv, versuche dieses aber nun weiter zu eruieren.

Zwei Tatverdächtige aus den Niederlanden

Die vier Tatverdächtigen bleiben indes in Haft. Es bestehe weiter dringender Tatverdacht wegen des Verdachts der gemeinschaftlichen Vergewaltigung, gefährlichen Körperverletzung und Freiheitsberaubung, so Oberstaatsanwalt Michael Burggräf. Inzwischen stehe fest, dass zwei der iranischstämmigen Tatverdächtigen die niederländische Staatsbürgerschaft hätten. Bei den beiden anderen, die zuletzt in Dänemark lebten, stehe die Antwort der dortigen Behörden noch aus. Klar ist inzwischen auch, dass die Männer nicht zu den Arbeitern gehören, die aktuell mit Abrissarbeiten auf der Brauerei-Brache beschäftigt sind. Eine Anfrage an einen Anwalt der Männer blieb bislang unbeantwortet.

Das Opfer hat inzwischen Iserlohn wieder verlassen, ist aber für die Ermittler weiter erreichbar. Der 30-Jährige, zu dessen Aufenthalts- bzw. Asylstatus die Staatsanwaltschaft aktuell keine belastbaren Informationen hat, ist ohnehin nicht in Iserlohn gemeldet, sondern in einem anderen Bundesland. Er war nur zu Arbeitszwecken ins Sauerland gekommen, war auf der Brache nach eigenen Angaben nur zu einem Wachdienst eingeteilt. Der endete brutal.