Olpe. Der Musikzug Olpe hat den Komponisten Alexander Reuber gebeten, eine Gedenkmusik für die Opfer von Krieg und Gewalt zu schreiben. Erste Eindrücke.
Maria, breit den Mantel aus. Immer wieder versucht das Klavier, das bekannte Lied zu spielen. Doch die Zeiten sind gottlos. Der scheppernde Marschtritt der Nazis übertönt das Gebet. Mach Schirm und Schild für uns daraus. Die Töne fügen sich nicht zusammen. Am 28. März 1945, kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wird die Stadt Olpe zum Ziel eines verheerenden Bombenangriffes. Zum 78. Jahrestag hat der Musikzug der Freiwilligen Feuerwehr Olpe bei dem Komponisten Alexander Reuber ein Musikwerk in Auftrag gegeben, zur Erinnerung an diesen Tag der Stadtgeschichte, aber auch im Gedenken an alle Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. „13 Minuten im Frühling | Stille“ erklingt erstmals am 26. März in der St.-Martinus-Kirche in Olpe. Die Uraufführung wird ein Meilenstein in der Musikgeschichte Südwestfalens, denn das Werk ist weit über den lokalen Anlass hinaus ein künstlerisch und emotional tief berührender Beitrag zur Gattung Trauermusik.
Einzigartiges Projekt
Der Komponist Alexander Reuber (36) gehört zur berühmten Olper Musiker-Dynastie Reuber. Bereits vor 25 Jahren begann er seine Musikkarriere als damals jüngster Trompeter beim Musikzug Olpe. Heute ist er Trompeter, Arrangeur und Aufnahmeleiter beim Musikkorps der Bundeswehr in Siegburg. Sein Vetter Andreas Reuber (43), ebenfalls Trompeter, ist der Dirigent des Musikzuges. Auch Andreas war lange Jahre Profimusiker in Siegburg und wirkt heute als bekannter Trompetenlehrer und Musikschulpädagoge. Selbst für zwei so ausgewiesene Experten ist das Projekt einer zeitgenössischen Gedenkmusik einzigartig. Der Musikzug Olpe dürfte das erste Amateur-Orchester überhaupt sein, das sich eine solche Aufgabe vornimmt.
Mit den üblichen Stücken, die ein sinfonisches Blasorchester im Repertoire hat, ist „13 Minuten im Frühling | Stille“ in keiner Weise vergleichbar, weder von den technischen Anforderungen (höchste Schwierigkeitsstufe) noch von den musikalischen und emotionalen. Es handelt sich um eine große sinfonische Komposition für ein großbesetztes sinfonisches Blasorchester, um einen gleichsam an die ganze Menschheit gerichteten musikalischen Appell.
Ein unterwanderter Marsch
Alexander Reuber setzt eine Ferntrompete ein, als „Ich-Erzähler“ und roten Faden. Ein grotesker Marsch beschreibt, wie die Nationalsozialisten sich ins Stadtleben von Olpe fressen, wie sie ausgrenzen und hassen. „Ich habe den Marsch von Anfang an unterwandert, um zu zeigen, dass das System von Anfang an zum Scheitern verurteilt war.“ Eine Kontrabassklarinette färbt das anfängliche Idyll unheilvoll. Die Katastrophe selbst ist in der Tradition eines Totentanzes angelegt. „Ich versuche darzustellen, was in den Köpfen der Menschen während des Angriffs passiert. Das war mir wichtiger, als tonmalerisch oder theatralisch den Angriff selbst zu illustrieren“, erläutert Alexander Reuber.
Der Komponist hat lange gezögert. Wie könnte er als junger Mensch, der die sogenannte Gnade der späten Geburt schon in der zweiten Generation erfahren durfte, der die damalige Zeit und den furchtbaren Angriff selbst nicht erlebt hat, diese Ereignisse künstlerisch ausdrücken? Wäre es nicht anmaßend gegenüber den Opfern und Überlebenden, sich dieser Aufgabe anzunehmen? Reuber hat im Stadtarchiv Olpe nach Dokumenten zum 28. März 1945 geforscht und bindet Aussagen von Zeitzeugen ein. Aus dem Material des Stadtarchivs und mit eigenen Recherchen hat Andreas Bachmann, Hornist im Musikzug, zudem einen Film zur Werkeinführung erstellt.
Ferntrompete und Kontrabassklarinette
Der Musikzug Olpe will mit der Uraufführung daran erinnern, dass der Luftangriff auf Olpe nicht aus dem Nichts kam, dass er eine Folge des Naziregimes war, das Europa in Schutt und Asche legte, bevor dann Deutschland in den Trümmern versank.
Kompositorisch arbeitet Reuber mit verschränkten Erzählebenen, die Ferntrompete, das Klavier, der korrumpierte Marsch, der Totentanz, sie alle verdichten Zeit und Raum zu Klangbildern, die nicht illustrieren, aber sehr sprechend sind und direkt die Seele berühren. Am schmerzhaftesten ist in dem Stück die Stille. Hier setzt die Zeit aus, auch wenn sie auf dem Sekundenzeiger der Uhr weiterläuft. Am Schluss wird ganz zart etwas Unerhörtes geboren. Zukunftsmusik steigt aus den Trümmern auf.
Höchstleistung im Orchester
Taktwechsel, Tonbildung, Akkorde ohne tonikalen Bezug: „Das Stück fordert jedes Register bis ans Limit, das ist eine Komposition, die musikalisch und emotional an die Grenze führt“, so beschreibt Dirigent Andreas Reuber die Aufgabe. Sebastian Römer (41), 1. Vorsitzender und seit 25 Jahren Hornist im Musikzug, ergänzt: „Wir haben in den Hörnern dreieinhalb Oktaven zu spielen, das ist fast Profiniveau.“ Die Musiker mussten nicht lange von dem Kompositionsauftrag überzeugt werden. „Wir haben ein tolles Orchester, das sich über ein so großes Projekt freut“, bilanziert Andreas Reuber.
Gespannt auf Publikums-Reaktion
„Die erste Idee war ein Choral“, blickt Alexander Reuber auf seine Arbeit zurück. Dieser Choral scheint manchmal wie die Vision einer besseren Welt durch, und es wäre schön, wenn der Komponist aus diesem Material vielleicht noch ein weiteres Stück schreibt. Um Tragik und Mut des Überlebens geht es hingegen am Schluss von „13 Minuten im Frühling | Stille“. „Das Schlimmste, was mir als jungem Komponisten hätte passieren können, wäre, dem Thema nicht gerecht zu werden. Ich bin froh, dass es so geworden ist, wie es ist und gespannt, wie das Publikum reagiert.“
Dirigent Andreas Reuber ergänzt: „Für uns wäre es ein großer Erfolg, wenn nach dem Stück nicht sofort geklatscht wird.“
Die Uraufführung von „13 Minuten im Frühling | Stille“ ist am Sonntag, 26. März, um 17 Uhr in der St.-Martinus-Kirche in Olpe. Weitere Konzerte: Sonntag, 26. März, 20 Uhr, Montag, 27. März, 19 Uhr. Schulklassen können Schulvorstellungen anfragen. Karten ab 27. Februar bei Olpe aktiv.