Bielefeld. Hunderte mussten bei klirrender Kälte in ihren Lkw und Pkw auf der A2 in Ostwestfalen übernachten. Augenzeugen berichten.
Nur schrittweise ging es am Dienstag auf der A2 nahe Bielefeld voran. Bei klirrender Kälte mussten Hunderte die Nacht seit Montag in ihren Fahrzeugen verbringen, einige von ihnen standen bis zu 15 Stunden im Stau.
Auch am Tag danach hatte sich das Chaos noch nicht gelegt. Nach starken Schneefällen staute sich der Verkehr in Ostwestfalen zeitweise auf mehr als 70 Kilometer. Lkw und Autos standen quer, für Räum- und Abschleppwagen gab es kein Durchkommen.
Lkw-Fahrer hielten sich nicht an Fahrverbot
Das Stau-Chaos nahm seinen Lauf, so Bernd Löchter, Sprecher der Autobahn GmbH, weil sich zahlreiche Lkw-Fahrer nicht an das verkündete Fahrverbot auf der A2 hielten. Als es am Montagabend auch noch aufgehoben wurde, zogen immer mehr Lkw quasi sehenden Auges in den bestehenden Stau.
Als die ersten Lkw bei Herford quer standen, hätten sich zwar Räumfahrzeuge auf den Weg gemacht: „Aber wenn der Pflug rechts fährt, um die Fahrbahn zu räumen, und dabei links von einem Lkw überholt wird – was soll man dazu noch sagen?“, so Löchter.
Unter Druck wegen der Lieferfristen
Es seien einfach zu viele Lkw gewesen: „Die wollten ihrer Arbeit nachkommen“, sagt Fabian Rickel von der Bielefelder Polizei. Lieferfristen müssten eingehalten werden. Deshalb sei das Fahrverbot am Montagabend auch nicht verlängert worden, ergänzt Bernd Löchter. Wiederholt hätten Fahrer und Speditionen angerufen, die Waren ausliefern mussten. „Der Druck ist sehr groß. “
Immer mehr Lkw
Derweil zog der blaue Brückenbau-Kranwagen des Technischen Hilfswerks (THW) unermüdlich liegengebliebene Lkw eine lange Steigung hoch. Und doch: „Es war ein Kampf gegen Windmühlen“, sagt Janine Schweißfurth (29) vom THW-Ortsverband Bielefeld. „Wenn man einen Lkw wieder in Bewegung hatte, kamen schon 20 nach, die auch im Schnee stecken blieben.“
Nichts ging mehr nach dem heftigen Wintereinbruch: „Solche Schneemassen habe ich noch nie erlebt“, sagt die THW-Frau. Sie spricht von einer „Rutschpiste“, die sie bei ihrem Einsatz zwischen 17 und 3 Uhr erlebte. „Die festgefahrene Schneedecke wurde so glatt, dass selbst die Reifen unseres Kranwagens mit ihren Schneeketten erst zweimal durchdrehten, bis sie schließlich Griff auf dem Untergrund fanden.“ Keine Chance für Lkw mit schwerer Ladung.
In den Fahrerkabinen geschlafen
So mancher Lkw-Fahrer habe die unfreiwillige Ruhezeit mitten auf der Autobahn zum Schlafen in der warmen Fahrerkabine genutzt. Die Lkw im Fernverkehr haben in der Regel Standheizungen. Aber nur so lange der Sprit reicht.
Dass zwischenzeitlich ein Lkw-Fahrverbot verhängt wurde, hätten viele der überwiegend osteuropäischen Fahrer „nicht mitbekommen“, wie Janine Schweißfurth sagt. „Wegen fehlender Sprachkenntnisse hören sie keine Verkehrshinweise im Radio.“
Während das THW-Team Lkw abschleppte, versorgten Einsatztrupps von Arbeiter Samariter Bund, Rotem Kreuz und Johanniter Unfallhilfe aus Bielefeld die Gestrandeten mit Suppen, heißen Getränken und Decken. Janine Schweißfurth: „Die Decken gingen insbesondere an die Autofahrer, die stundenlang warten mussten, weil sie nicht an den querstehenden Lkw vorbeikamen.“
Schnee-Chaos vor zwölf Jahren
Sascha Bogdan (38) ist schon lange für den THW-Ortsverband Herford aktiv. „Vor zwölf Jahren habe ich schon einmal ein ähnliches Schnee-Chaos auf der A2 erlebt“, sagt der Helfer nach einem Einsatz von 17 bis 4 Uhr und einer nicht einmal zweistündigen Schlafphase.
Sein THW-Wagen schleppte Lkw jeweils über eine Strecke von zwei Kilometern die berüchtigten Herforder Berge hoch. „Es war eine sehr eisige Nacht“, blickt Bogdan zurück. Nicht nur deshalb ein anstrengender Job: „Das ständige Rein und Raus in unseren THW-Wagen, das Wuppen der schweren Abschleppstange: Das geht auf die Knochen.“
Lkw-Fahrer helfen sich gegenseitig
Auch an den Raststätten Lipperland-Süd und -Nord ging nichts mehr: Die Auffahrten seien dicht, in beiden Fahrtrichtungen, berichtete ein Mitarbeiter. „Ein halber Meter Schnee, hier kommt niemand mehr rein.“
Derweil versuchten Lkw-Fahrer schon den ganzen Tag, sich gegenseitig zu helfen: „Sie schüppen und schaufeln fleißig – versuchen, die Lkw und die Ausfahrten freizubekommen.“ Wenige hätten bereits Schneeketten angelegt und es so vom Rasthof geschafft.
In den kleineren Stau bei Dortmund geraten
Derweil musste Marco Hartmann von der Spedition Hartmann aus Bestwig im Sauerland warten. Nachts waren seine Fahrer aufgebrochen, aber dann auch auf der A2 in den riesigen Stau geraten. Nicht in den in Ostwestfalen. Aber in den kleineren bei Dortmund, was für stundenlange Verzögerungen reichte.
Auf den Transport von Salzen und Sand für Gießereien und die Glasindustrie ist die Spedition spezialisiert. Einfach einige Tage bei dem harten Winterwetter nicht zu fahren, wäre keine Option gewesen: „Etwa für die Glasindustrie ist die termingerechte Lieferung sehr wichtig“, so Hartmann.
Wirtschaftlicher Verlust
Andere Speditionen hatten die Fahrten in die Region um Bielefeld bereits am Montag komplett eingestellt. „Wir haben die Fahrer nur regional eingesetzt“, sagt Christoph Dahlmann, Geschäftsführer der Arnsberger Spedition ALS.
Das bedeute durchaus einen wirtschaftlichen Verlust, „aber solche Situationen muss man im Winter einkalkulieren“. Touren in diese Region seien derzeit sinnlos, so Spediteur Jörg Rüberg aus Menden. „Die Straßen sind schlecht befahrbar. Trotzdem sind Lkw unterwegs. Das ist ärgerlich, weil dann sowas passiert.“
Lkw in der Regel auf den Winterbetrieb eingestellt
Für Bernd Häger, Spediteur aus Bestwig, war es eine Ausnahmesituation auf der A2: „Es hat nichts mit strukturellen Problemen in der Speditions- und Logistikbranche zu tun.“ Die Lkw seien in der Regel auf den Winterbetrieb eingestellt. „Doch steht auf schneeglatter Fahrbahn der erste Lkw quer, ist Feierabend. Dann setzt eine Kettenreaktion ein, bei der nach und nach die folgenden Lkw zum Stehen kommen und nicht wieder anfahren können.“