Altena.. Wer ist Werner S., der arbeitslose Maurer, der Bürgermeister Hollstein in einem Imbiss angegriffen haben soll? Eine Spurensuche in Altena.

„Von einem auf den anderen Tag ist er nicht mehr zur Arbeit gekommen, war nicht mehr erreichbar“, sagt der ehemalige Chef über Werner S., den arbeitslosen Maurer, der am Montagabend Altenas Bürgermeister Andreas Hollstein in einem Döner-Imbiss mit einem Messer angegriffen und verletzt hat. Als Werner S. aufhörte, zur Arbeit zu gehen: Das muss der Zeitpunkt gewesen sein, als er die Kontrolle über sein Leben verloren hat. „Irgend etwas muss vorgefallen sein in seinem engsten persönlichen Umfeld“, mutmaßt der Inhaber des Bauunternehmens, der Werner S. bis Februar beschäftigt hat. Wirklich erklären kann er sich die Tat nicht. Eine Suche nach Spuren.

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Das Gässchen ist eng. Verwinkelt. Führt aus der Innenstadt steil bergauf. Die schmalen Häuser, mit niedrigen Türen und kleinen Fenstern, ducken sich an den Berg an der Südwestflanke unterhalb der Burg. Teils sind sie liebevoll dekoriert und gestaltet: Eine Figurenreihe aus Draht, eine Kunstinstallation, läuft über eine Fassade. Ein Haus fällt auf den zweiten Blick auf: Nicht nur wegen des schmalen, violetten Polizeisiegels an der Tür. Der Verblendung am Haussockel fehlt der Fugenputz; die Fenster scheinen lange nicht geputzt.

Mit Schutzmasken ins Haus

Am Mittag rückt ein Team der Kriminalpolizei Hagen an, entfernt das Siegel. Ein Mitarbeiter des Altenaer Ordnungsamts verteilt Schutzmasken für Mund und Nase. „Die werden Sie brauchen“, rät er den Ermittlern, die das Haus betreten. Der Eingang: helle Bodenfliesen, weiße Wände. Auf einem grauen Wischlappen ist ein Paar Outdoorschuhe abgestellt. An der linken Wand: ein Schwarz-Weiß-Poster. „Arbeiter über New York“, die auf einem Stahlträger sitzend Pause machen. Eine schmale Treppe führt ins Obergeschoss.

„Er war manchmal tagelang nicht zu sehen“, sagt eine 82-jährige Nachbarin, die drei Häuser unterhalb wohnt, über Werner S. Vor fünf Jahren, als sie ihr Geschäft in der Einkaufszone aufgegeben hat, ist sie dort hingezogen. „Es hat lange gedauert, bis er mich gegrüßt hat“, berichtet die Dame weiter über Werner S., von dem andere Nachbar sagen, er habe dort nicht gewohnt, sondern „gehaust“.

Wieder ein anderer Nachbar, der zum Rauchen vors Haus kommt, kannte ihn „überhaupt nicht“ - ihn, den 56-Jährigen, der den Bürgermeister angegriffen hat, weil er mit dessen Integrations- und Flüchtlingspolitik nicht einverstanden ist.

Dieser Bürgermeister scheint am Tag Zwei nach diesem Angriff überzeugter denn je von der Richtigkeit seiner Politik. Beim Besuch in seinem Amtszimmer im Rathaus spricht er von einem „stabilen und langfristigen Engagement für die Flüchtlinge“, getragen von der Bürgerschaft in der Burgstadt.

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Daran werde auch die Attacke nichts ändern, sagt Hollstein – und zieht den Vergleich zur Situation nach dem Brandanschlag auf das Haus einer Flüchtlingsfamilie in Altena im Oktober 2015: „Das hat einen Jetzt-erst-Recht-Effekt ausgelöst“. Dem „feigen Anschlag“ vor zwei Jahren hätten die Bürger ein „anderes Bild der Stadt und der Menschen, die hier leben“ entgegensetzen wollen und sich umso mehr engagiert: als Begleiter, Sprachlehrer, Kümmerer. „Die 300, die sich gestern zum Schweigemarsch versammelt haben, haben das nicht für mich gemacht, sondern für eine offene Gesellschaft, von der ich nur ein Teil bin“, führt er als Indiz für die Richtigkeit seiner Position an.

„Rund 500 Mails“ hat Hollstein seit dem Angriff bekommen. Genesungswünsche, Zuspruch, Bestärkung. Aber nicht nur: „Vielleicht zehn“ dieser Mails, so Hollstein, hatten das Gegenteil zum Inhalt – bis hin zum ungehemmt geäußerten Bedauern, dass der Angriff auf ihn nicht erfolgreich war. Eine Roswitha U., die sich als überzeugte Anhängerin der rechtspopulistischen AfD outet, schließt ihre Mail mit der Bemerkung: „Mein Mitleid hält sich in Grenzen – hätte seine Frau ihm mal was ordentliches gekocht, bräuchte er nicht zum Dönerladen!“

Fremdenfeindliches Motiv?

In dem Döner-Imbiss soll Werner S. den Bürgermeister aus einem fremdenfeindlichem Motiv angegriffen haben; ihm wird versuchter Mord vorgeworfen. Als politisch extrem ist Werner S. seinem ehemaligen Chef nie aufgefallen. „Der Beschuldigte hat sich zu dem Vorwurf noch nicht geäußert“, berichtet Oberstaatsanwalt Gerhard Pauli auf unsere Nachfrage. Er soll aber bei der Vernehmung die Aufforderung, „Erschießt mich doch!“, wiederholt haben.

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Nach unseren Informationen ist Werner S. mehrfach wegen psychischer Probleme in Behandlung gewesen, auch in einer Fachklinik in Hemer. Die Staatsanwaltschaft bestätigt finanzielle Probleme, die Werner S., dessen Häuschen zwangsversteigert werden sollte, gehabt hat. Und dessen Frau ihn verlassen haben soll. Womöglich ein Mix, der den Mitfünfziger zum Täter macht: Weil er die Gründe für seine Probleme bei anderen suchte.

Zu Gast bei Maischberger

In der Nacht war Altenas Bürgermeister als Gast in die ARD-Talkshow „Maischberger“ eingeladen, gemeinsam mit Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), „Spiegel“-Autor Jan Fleischhauer, der AfD-Frontfrau Alice Weidel und dem Kriminologen Christian Pfeiffer. Der Titel der Sendung: „Verroht unsere Gesellschaft?“

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