Bochum. Der Spazierstock. Für den einen ist er das endgültige Zeichen fürs Alter, andere können es gar nicht abwarten, den nächsten in ihren Händen zu halten. Ernst-Otto Stüber aus Bochum will so viele wie möglich besitzen. Er sammelt die Stöcke mit System.





Auf den ersten Blick wirkt alles wie in einem ganz normalen Wohnzimmer mit Sessel, Couchtisch und Schrankwand. Doch wer genauer hinschaut, sieht, dass sich in der Vitrine der Schrankwand Porzellanfiguren versammelt haben, darüber stehen Bergleute in Reih und Glied. Am Ende der Treppe stößt man auf eine mannshohe weitere Vitrine, in der sich unzählige Petschafte, also Siegel-Stempel, befinden. Rechts davon steht eine hohe Plastik-Säule mit exakt 16.797 Spielwürfeln. Ernst-Otto Stüber hat sie alle gezählt. Doch erst daneben steht in einer unauffälligen Halterung sein wahrer Stolz, seine Leidenschaft, sein Sammlerglück: Funktionsspazierstöcke.

Funktionsspazierstöcke? „Funktionsspazierstöcke sind viel spannender als normale Gehhilfen“, sagt Ernst-Otto Stüber. Und er präsentiert, was seine Systemstöcke so alles können. Einmal aufgeschraubt, kann der 68-Jährige den Gehhilfen so manches Geheimnis entlocken: In einem ist ein brauchbares Fernrohr versteckt, ein anderer birgt eine Pfeife, ein dritter enthält ein Glasröhrchen für den Erfrischungs-Schnaps während der Wanderung.

„Das gehört nun mal zu meiner Religion“

Die Sammlung der Systemstöcke ist mittlerweile sehr ansehnlich.
Die Sammlung der Systemstöcke ist mittlerweile sehr ansehnlich. © Unbekannt | Unbekannt





Besonders hübsch ist das Modell mit einer Sonnenuhr, die auf dem Knauf in Form einer Weltkugel angebracht ist. Ob Aschenbecher, Messlatte, Billard-Queue, Schachfigurensammlung oder Sitzgelegenheit – die Spazierstöcke sind wahre Wunderwerke. „Eine Briefmarkensammlung ist doch uninteressant. Die liegt doch nur im Schrank“, meint Stüber. Er dagegen sammle Dinge, die man in der Wohnung aufstellen und so jederzeit betrachten kann.

Neben den Stöcken mit dem Korkenzieher und dem Schreibset steht auch ein Holzstock, der mit dem Wappen eines Bergherren versehen ist. Daneben Steigerstöcke und Grubenlampen. Überhaupt schimmern überall die Themen Bergbau und Bochum durch. „Das gehört nun mal zu meiner Religion“, sagt Ernst-Otto Stüber. Kein Scherz. Schließlich war der 68-Jährige zehn Jahre lang Bochums Oberbürgermeister. Seit vier Jahren ist er nicht mehr im Amt.

Einmal angesprochen, lässt sich der Politiker nicht mehr so schnell von den Gehhilfen abbringen, kommt sozusagen von Hölzken auf Stöcksken. Der Stock mit der Tabakdose ist der älteste, von 1811. Der mit den drei Mops-Gesichtern ist bereits in einem Sachbuch für Stocksammler abgebildet. Die beiden kleinen Dirigenten-Stäbe – im weitesten Sinne ja auch Stöcke – wurden sogar von Steven Sloane, dem Generalmusikdirektor der Bochumer Symphoniker, geschwungen. Und den mit der kleinen, eingebauten Uhr, den hat sich Ernst-Otto Stüber im Tausch gegen einen medizinischen Stock mit Skalpell und Spritze zu eigen gemacht. Wie viel Geld er schon für seine Leidenschaft gelassen hat, das verrät er nicht: „Sammler reden nicht über Geld.“

Noch immer auf der Jagd

Neben den Funktionsspazierstöcken: die Glückssäule mit exakt 16.797 Spielwürfeln.
Neben den Funktionsspazierstöcken: die Glückssäule mit exakt 16.797 Spielwürfeln. © Unbekannt | Unbekannt





Nur einen Spazierstock hat Ernst-Otto Stüber noch nicht in seiner Sammlung: den Geigenstock. Unvorstellbar, aber man kann aus einem schmalen Holzstock tatsächlich eine funktionstüchtige Geige „hervorzaubern“. „Damit kann man sicherlich keine Konzerte geben, aber üben könnte man“, sagt er und strahlt. Einmal schon war der 68-Jährige diesem Schmuckstück ganz nahe. Seinem Sammlerinstinkt war er bis nach Brüssel gefolgt. Doch dann hakte es am Preis, den er jetzt doch verrät. 4.800 DM forderte der Besitzer damals für den Geigenstock. „Das war mir aber zu viel“, sagt Stüber. Ein Blitzen in seinen Augen zeigt, dass er den Traum aber noch nicht aufgegeben hat.

Genug Zeit für die Suche hat der Pensionär, auch wenn er sich ehrenamtlich für diverse Projekte in seiner Heimatstadt einsetzt. „Erst Kirche, dann Flohmarkt“, heißt es fast jeden Sonntag im Hause Stüber. Doch auch wenn seine Frau selbst überdimensionale Parfum-Flakons und gläserne Ringhalter sammelt, versucht sie, den Sammeltrieb ihres Mannes langsam zu bremsen. „Meine Frau sagt, wir haben keinen Platz mehr“, sagt Stüber. „Aber irgendwann entsteht ja auch ein Sättigungsgrad. Mittlerweile kann ich einfach hier im Wohnzimmer sitzen und mir die Stöcke anschauen. Dann denke ich: Ei, wie fein!“

Museum statt Sperrmüll

Fernab von den Spazierstöcken sammelt Bochums Ex-Oberbürgermeister auch Münzen: Aber nur die, die so heißen wie er:
Fernab von den Spazierstöcken sammelt Bochums Ex-Oberbürgermeister auch Münzen: Aber nur die, die so heißen wie er: "Stüber". © Unbekannt | Unbekannt





Was mit seiner Sammlung geschieht, wenn er sich eines Tages nicht mehr darum kümmern kann, weiß Ernst-Otto Stüber noch nicht. „Unsere drei Kinder tun unsere Sammel-Leidenschaft als liebenswerten Tick ab“, sagt er. Deswegen könnte er sich seine Systemstöcke später in einem Museum vorstellen. „Da steckt so viel Herzblut drin. Da möchte man gerne, dass es nicht auf dem Sperrmüll landet.“

Benutzen will er die wertvollen Stücke jedoch nicht. Noch ist der 68-Jährige aber auch noch sehr gut zu Fuß. Und wenn doch mal der Rollator nahen sollte? „Ein Gehwägelchen? Ist indiskutabel“, sagt Stüber und lacht. „Dann suche ich mir doch lieber aus meiner Sammlung aus, was ich gebrauchen kann.“


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